DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer
Читать онлайн книгу.beiden Kleinen und das Vieh kümmert, und er wäre bereit, mit Damilla den Traviabund zu schließen und das Würmchen als sein Kind anzuerkennen – ohne Bezahlung sogar, obwohl ich ihm natürlich ein wenig Geld angeboten habe. Denn sieh einmal: Zordans Kegel ist weitläufig auch dein Neffchen oder Nichtchen, und ein wenig Anteil an seinem oder ihrem Schicksal sollten wir schon nehmen, wenn der eigene Vater sich weigert, das zu tun.«
»Falls er der Vater ist«, warf Kusmine ein.
»Du bezweifelst das, liebes Herz? Dann glaubst du dem windigen Bürschchen – ich zitiere deine eigenen Worte – doch mehr als ein Viertel. Mindestens die Hälfte, würde ich schätzen.« Durenald konnte sich ein leichtes Kopfschütteln nicht verkneifen. »Natürlich ist Zordan der Vater! Wer denn sonst? Er hat das dumme Kind verführt, und das dürfte ihm nicht schwergefallen sein. Schlimm ist nur, daß die Kleine nach all den Monden immer noch ganz vernarrt in ihn zu sein scheint, wenn man dem Getratsche des Gesindes glauben darf, und das macht mir ein wenig Sorgen. Lechdan ist ein guter Kerl, und Damilla ist ein braves Mädchen, und ich bin sicher, daß sie einander lieben lernen, wenn sie erst eine Weile unter Travias Obhut beisammen sind. Aber was ist, wenn das Kind sich weigert, Lechdan zu nehmen? Vielleicht will sie ihrer Liebe treu sein … So etwas gibt es …« Er drückte die Hand seiner Gemahlin.
»Du siehst mich ratlos, lieber Mann«, sagte Kusmine und strich sich nachdenklich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wenn sie sich weigert, dann weigert sie sich – wir können sie nicht zu dieser Ehe zwingen. Selbst wenn sie eine Leibeigene wäre, stünde eine erzwungene Ehe rechtlich auf tönernen Füßen, aber da sie eine Freie ist …«
»Frau! Liebes Herz! Was soll uns die Juristerei? Die Kleine muß Zordan vergessen und Lechdan lieben lernen – das ist alles. Wenn sie wüßte, was dein Bruder über sie schreibt, dann würde sie auf ihn spucken, da bin ich mir sicher. Mich selbst gelüstet fast danach …«
»Aber Durenald, dann ist ja alles ganz einfach.« Kusmine strahlte ihren Gatten an. »Laß sie kommen, und lies ihr den Brief vor. Es wird sie wohl ein wenig hart ankommen, aber eine harte Kur ist oft die wirksamste.«
Als Damilla kurz darauf mit wild klopfendem Herzen die herrschaftliche Bibliothek betrat, da war sie sicher, daß sie, noch bevor sie bis hundert gezählt hätte, in Ohnmacht niedersinken würde, so flau und tödlich bang war ihr. Wenn der Magister Fuxfell geschrieben hätte, daß er sie liebe und sie und das Kleine bald zu sich zu holen gedenke, würde sie vor Freude den Verstand und die Besinnung verlieren, das war klar. Wenn er aber geschrieben hätte, daß er sie nicht mehr liebe und eine andere inzwischen den Platz in seinem Herzen eingenommen habe, dann würde sie vor Kummer den Verstand und die Besinnung verlieren, auch das war klar. Wenn aber die Nachricht besagte, daß er krank auf den Tod darniederliege, ja dann … ja dann würde auch sie nicht mehr leben wollen, aber leben mußte sie doch …
»Setz dich, Kind«, sagte Durenald freundlich und wies auf einen gepolsterten Stuhl.
Damilla gehorchte, wagte aber nicht, mehr als einen halben Spann der Sitzfläche zu beanspruchen. Mit großen Augen starrte sie ihren Herrn an.
»Nun«, begann dieser lächelnd, »jetzt ist es wohl bald soweit, nicht wahr?«
Die Magd nickte.
»Fürchtest du dich?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das mußt du auch nicht«, vernahm sie die Stimme ihres Herrn, »denn du bist jung und gesund, und Danja und Susa werden dir beistehen.« Durenald machte eine Pause, in der er einen Blick mit seiner Gemahlin wechselte.
Wenn sie gezählt hätte, müßte sie die fünfzig nun bald erreicht haben, dachte Damilla, aber noch fühlte sie keine Ohnmacht nahen.
»Du kennst doch den Bauern Lechdan, nicht wahr?« fragte Durenald unvermittelt, und obwohl das Mädchen wieder mechanisch nickte, fuhr er fort: »Der mit dem kleinen Hof am Dorfende, dem vor sechs Monden die Frau gestorben ist.«
Was hat nur der Bauer Lechdan mit dem Brief zu tun? dachte Damilla. Es müßte jetzt so gegen sechzig sein, und vermutlich fängt es schon an, daß ich den Verstand verliere.
»Also der Lechdan möchte dich gern zur Frau nehmen.«
»Was?!« entfuhr es Damilla.
»Er möchte dich heiraten, Kind«, hörte sie ihren Herrn sagen. »Den Traviabund mit dir schließen, ist das nicht schön?« Und da sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Schau einmal, der Lechdan braucht eine Frau und seine Kinder eine Mutter, und dein Kleines wird bald einen Vater brauchen. Du mußt dich nicht auf der Stelle entscheiden – denk ruhig ein wenig über den Antrag nach. Und falls du dich vor dem Lechdan fürchtest, weil er so wortkarg ist und genau wie Hilgert die Brauen so streng zusammenzieht, so kann ich dich beruhigen. Glaub mir, er ist ein gutmütiger und grundehrlicher Mann, er trinkt nur mäßig, und er hat mir versprochen, dich nicht zu schlagen.«
»Aber … ich …«, stammelte Damilla. Da ich ohnehin den Verstand verliere, dachte sie, kommt es nun nicht mehr darauf an, und ich sage es jetzt einfach. Also: »Aber ich kann ihn doch nicht heiraten«, sagte sie leise. Die Magd fühlte zwei aufmerksame Augenpaare auf sich ruhen. Siebzig, dachte sie, wie es sich wohl anfühlen mag, wenn man keinen Verstand mehr hat?
»Warum nicht, Mädchen?« ergriff zum erstenmal die Herrin das Wort. »Bist du mit ihm verwandt, oder was spricht sonst dagegen?«
Damilla schüttelte den Kopf, war sich jedoch bewußt, daß sie damit nur den ersten Teil der Frage beantwortet hatte. Aber wie sollte sie nur den zweiten beantworten, wie könnte sie zu der Herrin von ihrer Liebe zum Magister Fuxfell sprechen? Siebenundsiebzig, achtundsiebzig …, zählte sie leise, um sich zu beruhigen.
»Du liebst Zordan Fuxfell noch immer, nicht wahr?« hörte sie ihren Herrn sagen.
Achtzig! Zordan Fuxfell! Jetzt war der Name endlich gefallen, und das grausame Katz-und-Maus-Spiel mit Bauer Lechdan und dem Taviabund hatte ein Ende. Damilla hätte nie gedacht, daß ein Herz so schnell und heftig schlagen konnte wie das ihre, seit sie den Namen des geliebten Mannes vernommen hatte, und obwohl sie glaubte, daß es nun bald zerspringen müsse, verspürte sie zugleich so etwas wie Erleichterung. Sie nickte mit tief gesenktem Kopf. Was mochte nun weiter folgen? fragte sie sich. Ach, sie wollte es gar nicht wissen, oder doch?
»Nun …«, begann Durenald zögernd. Er wußte nicht recht, wie er dem dummen Ding die Wahrheit über Fuxfell beibringen sollte. Das ist doch Frauensache … so ein Gespräch von Frau zu Frau … über die Männer und über die Liebe …, dachte er und warf seiner Gemahlin einen hilfesuchenden Blick zu. Aber Kusmine hatte sich im Sessel zurückgelehnt, die Beine übereinandergeschlagen und betrachtete mit ihren klaren blauen Augen aufmerksam die junge Magd. Eben begann sie, mit der Rechten den Takt eines Liedes, das Durenald nicht erkannte, auf die Armlehne zu trommeln. Nun gut, liebes Herz, ich sehe, daß du mir die heikle Arbeit überlassen willst … »Heute ist ein Brief von Zordan Fuxfell gekommen«, sagte Durenald laut.
Achtundachtzig, neunundachtzig, neunzig. Damilla nickte. Ein Brief ist gekommen, ich weiß es ja schon. Nur nicht vor der Zeit die Besinnung und den Verstand verlieren …
»Der Halbbruder meiner Gemahlin bestreitet, der Vater deines Kindes zu sein.« Durenald seufzte hörbar – Endlich war es heraus! Er betrachtete das Mädchen voller Anteilnahme und erwartete, daß sie nun widersprechen oder in Tränen ausbrechen werde, aber nichts von beidem geschah. Ganz still saß sie auf der Kante ihres Stuhles, hielt den Kopf tief gesenkt, und nur ihre Lippen bewegten sich ein wenig, so als murmele sie ein Gebet. »Hast du mich verstanden, Kind? Herr Fuxfell bestreitet die Vaterschaft, und er … und er erwidert deine Gefühle auch nicht.«
Siebenundneunzig, achtundneunzig, neunundneunzig, hundert – das Zimmer war noch dasselbe wie zuvor, der Stuhl war derselbe wie zuvor, sie selbst war auch dieselbe wie zuvor …
»Am besten, du schlägst ihn dir aus dem Kopf und denkst ernsthaft über Lechdans Antrag nach«, sagte der Herr gerade.
Damilla