Die entkoppelte Kommunikation. Kurt E. Becker

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Die entkoppelte Kommunikation - Kurt E. Becker


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älter und langweiliger als die Zeitung von heute. Manche Medien und Werbeingenieure schaffen das mit grenzverletzender Skandalisierung von einfachen Sachverhalten, denn der Skandal gehört zum „modernen“ Kommunikationsgeschäft mit dazu.

      Auch der wissenschaftliche Diskurs, per se revolutionär in seinen sich stetig fortschreibenden experimentellen, mathematisch naturwissenschaftlichen oder philosophisch epistemologischen Erkenntnissen und damit verbundenen sich wandelnden Welt- und Menschenbildern, trägt sein Scherflein zu dieser Unterhaltung bei. Wissenschaftler jedweder Fakultät und Disziplin werden nolens volens zu Medienstars gehypt und damit Agenten der Unterhaltungsindustrie, die sie gelegentlich sogar mit Verve, aber vergeblich kritisieren. Auch die Kritik an der Unterhaltungsindustrie wurde nämlich problemlos dem Katalog eines umfassenden Unterhaltungsangebots einverleibt und zum informativen, meinungsbildnerischen „Must know“ des Konsumenten stilisiert. Wer Kritik übt, je pointierter, desto besser, passt gut ins Bild einer Empörungskultur, die sich letztlich nur und ausschließlich dem Ego ihrer Protagonisten verpflichtet weiß. Wusste Max Weber noch von einer Verantwortungsethik, die persönliche Verbindlichkeit einfordert, getreu dem Motto: Wer antwortet, verantwortet, so wird – nicht nur in der Kommunikation – Verantwortung heutzutage zur unverbindlichen Floskel, fernab jeglicher Verpflichtung, aus einem Irrtum oder gar einer Verfehlung auch Konsequenzen zu ziehen. „Erlaubt ist, was der Richter nicht ausdrücklich verbietet“, lautet das Credo der Unterhaltungs-Aktivisten, die der Augenblicks-Ökonomie ihr eigentliches Momentum verleihen.

      Alltägliche Sensations-dynamiken

      „Wir amüsieren uns zu Tode“, hatte Neil Postman in Anbetracht unseres massenmedialen Konsums dereinst postuliert. Heute ist das Amüsement schon längst in das bizarr skurrile Szenario einer selbstgeschaffenen Kommunikations-Geisterbahn verlagert worden, in der wir als Passagiere nicht mehr erkennen können, ob die uns im Sekundentakt begegnenden Gespenster real oder nur unserem Wahn, unserer Einbildung oder der Einredung anderer entsprungen sind. Real auf jeden Fall ist das immer wiederkehrende und sich selbst dynamisierende individuelle Erschrecken, reale Gespenster hin, eingebildete her.

      Die Fähigkeit, unterscheiden zu können, und die Kraft, Einsicht zu nehmen in die tiefen Dimensionen unseres Lebens, sind uns im Dauerstress der Bilder- und Informationsfluten verloren gegangen. Schon längst sind wir nicht nur unserer Mitte, sondern auch unserer Tiefe verlustig gegangen, werden stattdessen wie im Zeitraffer hin- und hergebeutelt im Wirbel der Sensationen und Skandale. Und die Geister und deren Gespenster, die wir riefen und die Verursacher sind dieser alltäglichen Sensations- und Skandal-Dynamiken, werden wir auch nicht wieder los.

      Wir sind gefangen im Käfig sich überschneidender und sich wechselseitig durchdringender Wahrheiten, Halbwahrheiten und Fakes. Verstehen? Fehlanzeige. Die sich mit einem inneren Automatismus selbst vorantreibende und immer gewaltiger dimensionierende Hyperkomplexität ist zu einem Alltagsphänomen mutiert, dem wir uns, dem Schicksal gleich, ergeben haben. Denn die Kommunikationsgesellschaft unserer Zeit lebt nicht zuletzt vom großen Geschäft mit Informationen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen selten die Zeit bleibt, weil der nächste Informant bereits mit einer neuen Wahrheit an die Tür klopft und Einlass begehrt. Zurückweisen können wir ihn selten, weil er die Medien als Verbündete auf seiner Seite weiß und wir als deren Konsumenten in der Regel erdulden müssen, was uns serviert wird.

      Die Kommunikationsgesellschaft hat das Gros ihrer Gesellschafter entmündigt und zu passiven, aber elementar wichtigen, weil zahlenden Statisten degradiert. Nicht zu unterschätzen freilich auch der Anteil vieler Selbstdarsteller in den sozialen Medien, allen voran die sogenannten Influencer, die allerdings auch eher zur Unterhaltung und zur Kauf- und Konsumförderung, denn zur Wahrheitsfindung beitragen. Die selbstbestimmt genauso wie die fremdbestimmt Getriebenen in dieser Gesellschaft leben von und mit ihrem Kommunikationsaktivismus, dessen Zweck sich ausschließlich in sich selbst wiederfindet. Doch ganz gleich, ob aktiver oder passiver Teilhaber dieser Kommunikationsgesellschaft: Betroffen und in Mitleidenschaft gezogen von der banalen Mechanik der großen Kommunikationsmaschinerie sind wir alle. Jeder Einzelne ist Zielpunkt schwerster Kommunikationsgeschütze, die – auf Dauerfeuer gestellt – in jedem Augenblick unseres Lebens ihre Informationsgranaten auf uns abfeuern. Das Fernste wird zum Nächsten und das Nächste zum Fernsten, der Augenblick wird zur Ewigkeit, die Ewigkeit zum Augenblick. Resilienz, Resignation oder Selbstisolierung im selbstgewählten Abseits des Solipsismus sind die Folge. Je nach Perspektive und Mentalität. Im Übrigen nimmt der verantwortungslose Verbalgigantismus des Augenblicks selbstredend auch Fehlversuche, respektive „Rohrkrepierer“ in Kauf.

      KommunikationsSouveränität

      des Wählers?

      Der Einfluss dieser Entwicklungen, Rohrkrepierer inklusive, auf Gesellschaften und deren Politik ist immens. Überforderung ist die Folge – des Individuums gegenüber der Gesellschaft und vice versa. In punkto Kommunikation auf dem Prüfstand steht nichts Geringeres als der Prozess der Meinungsbildung in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen. Fragen wir nach dem Souverän in diesem Gemeinwesen, so wäre an Jean Bodin zu erinnern, der den Alleinherrscher als Souverän definiert hatte. Dieser Alleinherrscher wurde spätestens mit der Französischen Revolution de facto vom Volk abgelöst mit dem Ergebnis, dass der Einzelne seither als elementarer Teil des Souveräns gefordert ist. Der Staatsbürger soll seinerseits souverän in einer freien Wahl die Politik seines Staates mitbestimmen. Voraussetzung für die Erledigung dieser staatsbürgerlich relevanten Aufgabe ist nicht zuletzt die Kommunikationssouveränität des Wählers. Dass es mit dieser Kommunikationssouveränität allerdings nicht zum Besten steht, belegt ein Hinterfragen des Begriffs „Souveränität“, der letztlich nichts anderes meint als „Selbstbestimmtheit“.

      Ein selbstbestimmtes Individuum in der Kommunikationsgesellschaft moderner Prägung? Einmal abgesehen, dass wir alle von Geburt an fremdbestimmt werden – zunächst von den Eltern, dann in der Schule, schließlich in der Gesellschaft –, ist Selbstbestimmtheit letztlich nichts anderes als ein erstrebenswertes Ideal als selbst zu erkämpfende und zu behauptende Nische, dessen Narrativ ausschließlich von der Abgrenzung gegenüber der absoluten Fremdbestimmung im Totalitarismus lebt. Hier gilt noch immer Winston Churchills Credo: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“

      Zu hinterfragen wäre aber selbstverständlich auch und gerade in einer Demokratie, wie es denn konkret um unsere Kenntnis etwa bei den unsere Zukunft bestimmenden Themenkomplexen „Klimawandel“, „Migration“ oder „demografischer Wandel“ bestellt ist. Wissen wir denn wirklich, worüber wir bei diesen Themen konkret sprechen und was die erwartbaren Folgen dieser Phänomene sind? Verstehen wir tatsächlich, was die Begriffe zu begreifen vorgeben? Fremdbestimmt hin, selbstbestimmt her. Auch die Autoritäten unter den Experten stochern bei der Beantwortung dieser Fragen im Nebel.

      „User“ zählen in Milliarden

      Nehmen wir das große Ganze dieser gewaltigen Genese im Zusammenhang mit der Art und Weise unseres Kommunizierens in den Blick. Wer die Entwicklung der Kommunikation und ihrer Technologien speziell in unserem Kulturkreis in den letzten 500 Jahren analysiert, kommt an einigen Grundtatsachen nicht vorbei, die das heutige so und nicht anders Sein erklären. Zwei Komponenten sind wesentlich: die Entwicklung der Technologien und die Entwicklung der Weltbevölkerung.

      Zu Zeiten Martin Luthers, des ersten Publizisten von „Massenprodukten“ im Druckbereich in unserer Hemisphäre, lebten rund 500 Millionen Menschen auf der Erde, davon circa 12 Millionen im deutschen Sprachraum. Dieses erste „Massenpublikum“ erreichte Luther dank Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern. Luther musste seine Texte allerdings noch mit der Hand schreiben, ein Verfahren, das erst im 19. Jahrhundert durch die Erfindung der mechanischen Schreibmaschine eine völlig neue Qualität erhielt. Eine weitere grundlegende Innovation folgte nach dem Zweiten Weltkrieg mit Einführung zunächst der elektrischen Schreibmaschine und dann der Kugelkopf-Technik. In den 1980er-Jahren folgten die ersten elektronischen Digitalrechner mit Textspeicherung, dann Personal Computer und mit ihnen verbundene Drucker.

      Begleitet wurden die Technologieschübe seit den späten Achtzigerjahren im letzten Jahrhundert von der Kommerzialisierung des World Wide Web (WWW). Heute beherrschen digitale Techniken und


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