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      Stapfer hat nach der Exekution in den Feldpredigerschulen Vorträge gehalten über die seelsorgerische Betreuung von Todeskandidaten, welche Vorträge immer auf ein lebhaftes Interesse seiner Kameraden gestossen seien. Es seien dumme Buben gewesen, die von den Deutschen eingewickelt wurden, beide aus einfachen, zerrütteten Familien. Er als Feldprediger habe über die Berechtigung dieser Todesurteile nicht zu urteilen, sondern nur dafür zu sorgen gehabt, dass die beiden anständig aus der Welt gingen. Die beiden hätten dann ihre Sache recht gemacht, es sei eine saubere Exekution gewesen. Zwar hätten sie bis zum letzten Moment gehofft, eine deutsche Invasion werde sie kurz vor der Exekution befreien, aber dann assen sie ruhig ihre Henkersmahlzeit, nämlich Habersuppe, ein Stück Chäs und gschwellti Härdöpfel. Darauf die Sterbegebete, laut rezitiert: Befreie, o Herr, die Seele deines Dieners, wie du Lot befreit hast aus Sodoma und aus den Flammen des Feuers; und wie du die selige Jungfrau und Märtyrin Thekla von drei schrecklichen Peinen befreit hast, so befreie gnädig die Seele dieser deiner Diener, amen. Sie seien übrigens früher Messdiener gewesen, Ministranten. Darauf haben die beiden Kandidaten Abschiedsbriefe an ihre Schätze geschrieben. Die Exekution fand abends vor Sonnenuntergang statt, während gewöhnlich das Morgengrauen bevorzugt wird. Stapfer legt zwei Dokumente auf den Tisch, einen dienstlichen Befehl seines damaligen Obersten Thoma: «Sie haben sich mit den Angehörigen in Vbg. zu setzen und abzuklären, ob Sie die Leichen übernehmen wollen. Die Leichen werden in plombierten Särgen transportiert, welche nicht geöffnet werden dürfen.» Ein anderer Brief, zwei Tage nach der Exekution geschrieben: «Herr Hauptmann! Die Tatsache, dass die beiden Verurteilten ihren Tod ruhig und gefasst erwarteten, hat bewiesen, dass es Ihnen gelungen ist, ihre schwere Aufgabe voll befriedigend zu erfüllen. Ich spreche Ihnen dafür meinen Dank und meine Anerkennung aus. Oberst Thoma. ps: Ihre Dienstleistungen wollen Sie sich bitte von meinem Büro auszahlen lassen.» Zwischen den beiden Briefen liegt die Exekution. Eine der Mütter sei am Tag der Hinrichtung nach Einsiedeln wallfahrten gegangen, und ein Vater habe die Öffnung des plombierten Sarges verlangt, weil er die neuwertigen Schuhe seines Sohnes haben wollte. Daraus kann geschlossen werden, sagte der Feldprediger, dass es komische Leute waren.

      Nach dem Besuch bei Stapfer ein Telefongespräch mit Frau Pfarrer Hürlimann. Ihr Mann, der Zaugg und Schläpfer betreute, ist vor zwei Jahren gestorben. Er habe die Gerechtigkeit des Urteils nicht erwägen müssen, sondern ihnen beim Hinübergehen behilflich sein. Pfarrer Hürlimann hat nie Politik gemacht, stand aber auf dem Boden von Luther und Zwingli. Es sei nicht leicht gewesen für all die Herren, die der Hinrichtung beiwohnen mussten. Ihres Mannes Haare wurden damals innert kurzer Zeit weiss. Es habe ihn furchtbar mitgenommen, aber er musste es so annehmen, wie es ihm von der Obrigkeit gegeben war. Der Mann hat nie Ferien genommen, seine Erholung war das Militär. Er musste die beiden dazu bringen, ihre Schuld zu akzeptieren, sagt sie wörtlich. Wenn einer Krebs hat oder einen Unfall, muss der Pfarrer ja auch Trost bringen und die Verzweiflung abwehren. Ihr Mann hat immer zu den geistlichen Verrichtungen Gedichte gemacht, oft Mundartgedichte. So hat er auch die Hinrichtung im Gedicht aufgehoben. Das Gedicht darf sie nicht bekannt machen, sie ist ans Pfarrergeheimnis gebunden, aber es stehe etwas drin vom Wald, der im ersten Morgenlicht lag (es war eine Morgenexekution), und wie die ersten Vögel gepfiffen hätten und alles von der barmherzigen Natur verklärt worden sei.

      *

      Es war eine saubere Hinrichtung, sagt auch Dr. Rupp in Sarnen, damals Hauptmann und Kompaniekommandant von Zaugg und Schläpfer. Wir hatten einfach Vertrauen in die Gerechtigkeit des Urteils, obwohl wir die Akten nicht kannten. Was von oben kam, war richtig. Unterdessen habe er Zweifel bekommen. Als praktizierender Freimaurer und Humanist hat er eine 23seitige Denkschrift über das Erlebnis aus dem Aktivdienst verfasst, die so anfängt: «Am Mittwoch, dem 11. November, wurde Hauptmann Rupp vom rasselnden Wecker jäh aus dem Schlaf gerissen … Es war noch dunkel, kalt, und aus einem schweren, tiefen Nebel rieselte es leise.» Die unveröffentlichte Denkschrift hat er kürzlich an einer Sitzung seiner Freimaurerloge vorgelesen, aber nur mässigen Erfolg damit gehabt. Rupp war im Zivil Restaurateur in einem sehr renommierten Gasthof, wo auch Frölicher verkehrte (Schweizer Gesandter in Berlin während des Aktivdienstes), der für eine radikale Anpassung der Schweiz an Nazi-Deutschland eintrat. Er hat öfter für das leibliche Wohl Frölichers gesorgt, wenn dieser Diplomat wieder einen Schweizer Aufenthalt einschaltete. Die Situation der Schweiz sei damals mit einer belagerten Festung zu vergleichen gewesen, sagt Rupp, und Landesverräter seien ihm vorgekommen wie Leute, die den Festungsschlüssel dem Feind auslieferten. In seiner Verpflegungsabteilung hatte er 50 Metzger unter sich, die für die ganze Division schlachteten, 3000 bis 4000 Stück Vieh im Aktivdienst. Insubordination und Meuterei seien im Aktivdienst kaum vorgekommen, nur einmal hätten seine Mannen gegen den Feldwebel gemurrt, darauf habe er einen bäumigen Strafmarsch organisiert, und die Ruhe sei wieder eingekehrt.

      Am Abend vor der Hinrichtung, einige Stunden nach Ablehnung des Gnadengesuchs durch die Vereinigte Bundesversammlung, habe er seine Kompanie feldmarschmässig heraustreten lassen und ihr die «kleine Morgenübung» vom nächsten Tag erklärt. 40 Mann für die Absperrung des Richtplatzes, 40 Mann für die Erschiessungspelotons, fast lauter Metzger. «Es ist dies eine Aufgabe, vor der sich keiner der Anwesenden drücken kann. Es gibt keine Freiwilligen, aber es gibt auch keine Dispensierten», sagte Rupp der Mannschaft. «Leider sind zwei Angehörige unserer Einheit, zwei Unteroffiziere, das Opfer der nazistischen Propaganda geworden, und unserer Einheit ist der Befehl erteilt worden, das Todesurteil innerhalb von 24 Stunden zu vollstrecken. Einzelheiten ihrer Verfehlungen kennen wir nicht, denn aus Sicherheitsgründen muss der Tatbestand geheimgehalten werden.»* * Laut Militärstrafrecht muss die Einheit, zu der die Delinquenten gehören, diese erschiessen.

      Im nahen städtischen Schlachthaus «wurden anschliessend die Befehlstechnik und die Schussabgabe einexerziert». Hauptmann Rupp und ein Oberleutnant Meinhold hatten sich als Zielobjekte zur Verfügung gestellt, denn die Mannschaften hatten nicht die Gewohnheit, auf lebende Objekte anzulegen. Es wurde ohne Munition geprobt. Die Offiziere stellten sich einfach vor die Mannschaft und befahlen, auf Kopf und Brust anzulegen, je zehn Mann auf Brust, je zehn auf Kopf.

      Dank dem gründlichen Training am Vorabend habe dann am nächsten Morgen auch alles geklappt, der Oberst und Grossrichter Santschi habe das Urteil verlesen, das Kommando sei vom Obersten an den Hauptmann und vom Hauptmann an einen Leutnant übergeben worden, der mit scharfer Stimme befahl: «Rechts um, kehrt», «zum Schuss fertig», «ein Schuss Feuer». Der Bataillonsarzt stellte den sofortigen Tod der beiden fest, so dass sich ein Gnadenschuss erübrigte.

      Beim Entladen allerdings ergab sich, dass von einem Peloton drei Mann, vom andern vier Mann nicht geschossen hatten. Rupp überlegte sich, ob diese Befehlsverweigerung bestraft werden sollte. Aber «die Aufgabe der Truppe war einwandfrei erfüllt worden, warum jetzt noch einen Fall aufziehen», überlegte Rupp «instinktiv», und statt einer hochnotpeinlichen Untersuchung dankte er den Soldaten für ihre schwere Pflichterfüllung mit einigen Worten und einem Handschlag. Er habe dann die nicht abgefeuerten Patronen zu sich genommen und im Hosensack verschwinden lassen. Plötzlich, als die Aufgabe der Truppe auf diese einwandfreie Art erledigt war, «hörte man wieder einen Schuss fallen, und ein Wachtmeister der Kantonspolizei sank zusammen. Er hatte eine geladene und entsicherte Maschinenpistole, die er zur Sicherung der Eskortierung mitnahm, auf den Führersitz des Transportautos gelegt und wollte sie nun entladen. Diese sehr sensible Waffe löste bei dieser Manipulation einen Schuss aus, der den Polizisten im Bauch schwer verletzte. Ein dreimonatiger Spitalaufenthalt war die Folge.» Am meisten Eindruck hätten ihm die Schnelligkeit der Exekution und die absolute Ruhe der Beteiligten gemacht, abgesehen vielleicht vom Grossrichter, der in seiner aufgeregten Stimmung vergessen hatte, die Gamaschen anzuziehen. Die Leichen hätten vorne bleistiftgrosse Einschusslöcher aufgewiesen, hinten hätten sie aber wüst ausgesehen. Allerhand Weichteile seien im Gras gelegen, Blut und andere Überreste, so dass ihm der Oberförster, übrigens ein Freund von ihm, am nächsten Tag sagte: Ihr hetted au no chönne suuber uufputze. Die Exekutionsbäumchen seien dann vom Oberförster gefällt worden. Im Tagebuch des Bataillons hat dieser Tag (es wurde sofort die normale Routine wieder aufgenommen) folgende Spur hinterlassen: «07.12 Uhr Füsilierung der Fouriere Zaugg und Schläpfer durch ein Detachement von 40 Mann der Nachschubkompanie 9.09.00 Uhr Übergabe der Pferde und Fuhrwerke der Geb Tf Ko V/4 an die Kol III/3. Durchmarschfassung für das komb Inf Rgt 21 (4. Division) ab Magazin Luzern 11.00–13.00


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