Kleine Leute. Niklaus Meienberg

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Kleine Leute - Niklaus Meienberg


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Sabine kennen, das er zivil heiratete. Und als der ganz grosse Ruhm einsetzte, da kam auch die Bierbrauerstochter Simone, welcher er zivil und kirchlich angetraut wurde. Einerseits die Simone Guhl von der Brasserie Beauregard, andererseits der Paul Blancpain von der Brasserie Cardinal, welcher die gutgehende Garage neben dem Bahnhof für Seppi in Schwung hielt: In Freiburg entgeht man den Bierbrauern nicht. Arbeitsbeschaffung für die Proleten in der Unterstadt, welche sich nach Feierabend vom gleichen Bier benebeln lassen, das sie tagsüber produzieren. Beauregard und Cardinal bilden heute mit Wädenswil, Salmen et cetera eine Holding, welche den Markt in einzelne Kuchenstücke aufteilt. Zuvor hatte Beauregard einen Umsatz von 13 Millionen Franken und einen Ausstoss von 160'000 Hektolitern. Einheirat in die wirtschaftlich herrschenden Kreise Freiburgs: Es war dem Seppi nicht an der Wiege gesungen. Aufstieg von den Untern zu den Obern.

      Herr Alois Siffert, Vater

      Alois Siffert raucht dicke Zigarren, fährt Mercedes und packt mich zur Bekräftigung seiner Aussagen immer wieder am Arm. Er könnte aus der Dreigroschenoper stammen, ist aber tatsächlich aus Liebistorf im Sensebezirk gebürtig (einer Landschaft mit vielen schönen Dörfernamen: Lustorf, Wünnewil zum Beispiel). Alois, 1910 geboren, musste auswandern, der Hof produzierte nur genug für eines der fünf Kinder. Als Käser im Luzernischen, Verdienst 25 bis 30 Franken pro Monat. Die Eltern streng konservativ, sparsam, Butter nur an Sonntagen. Als Alois aus dem Luzernischen zurückkam, mit etwas weniger konservativen Ideen, und er vor den Wahlen politisieren wollte, sagten ihm die Eltern: «Lis d’Friburgere (= «Freiburger Nachrichten»), da steht drin, wie du stimmen musst.» Als er heiratete, sagte der Pfarrer: «Man glaubt es kaum, dass du einen protestantischen Meister hattest, bis noch gut katholisch.» Die Frau brachte eine Aussteuer in die Ehe. Der Milchladen ging bankrott, weil die Arbeiter nicht zahlen konnten und monatelang aufschreiben liessen. In Spanien war der Bürgerkrieg, in Freiburg herrschte Staatsrat Piller, in der Unterstadt darbten die Arbeiter und Siffert mit ihnen. Dann der Weltkrieg, Aktivdienst, 1400 Diensttage, im Urlaub eine Vertretung für Henniez-Mineralwasser. Dann der Bub. Seppi war 1936 «struppiert» zur Welt gekommen (Sensler Dialekt, abgeleitet vom französischen estropié = verkrüppelt). Alois hat keine Kosten gescheut, damit der krumme Fuss wieder normal wüchse. Als Seppi 1952 die Karosseriespenglerlehre begann, wechselte auch Alois vom Mineralwasser zu den Unfallwagen über. Er kauft den Versicherungen und Garagen preiswerte Unfallwagen ab (Einzugsgebiet Westschweiz), lässt sie von Seppi ein bisschen ausbeulen und verkauft sie (Absatzgebiet Aargau/Zürich) an Garagisten, manchmal mit einem Reingewinn von 4000 Franken pro Wagen, innerhalb von 48 Stunden. Seppi kann sich ein Motorrad kaufen, fährt sein erstes ausländisches Rennen in Karl-Marx-Stadt, Ostdeutschland. Aus Karl-Marx-Stadt brachte Seppi ein Tafelservice für zwölf Personen zurück. Und so sei es aufwärtsgegangen mit Seppi, immer schneller, in den letzten drei Jahren hätte er mindestens zwei Millionen pro Jahr verdient, ein Herr Maerkli von der Ziegelei Düdingen habe ihn bei seinen Investitionen beraten. Wenn Seppi kein Testament hinterlasse, erbe seine Witwe das ganze Vermögen, etwa acht Millionen.

      «Ist es nicht traurig, dass er jetzt sterben musste, wo er sich in Posieux eine neue Villa bauen liess, für eine gute Million, und wo der Renditenbau an der Rue de Romont jeden Tag so schön wächst», sagt Alois Siffert. Die Büros sind zum voraus vermietet, und kurz vor seinem Tod hat man ihm noch einen zusätzlichen Stock bewilligt. 5,5 Mio. hat der Bau gekostet, 2,5 Mio. als erste Hypothek. Büros und Läden. Direktor Musy vom Schweizerischen Bankverein hat sich bei der Schweizerischen Volksbank dafür verwendet; der Kredit wurde bald bewilligt. Ist es nicht traurig, dass er gerade jetzt sterben musste?

      Josephine Huber, pens. Lehrerin

      «O Gott, du hast in dieser Nacht/So väterlich für mich gewacht,/Bewahre mich auch diesen Tag/vor Sünde, Tod und jeder Plag», wurde bei der Primarlehrerin J. Huber im Burgschulhaus, beim Schlachthaus, jeden Tag gebetet. Es wurden auch Schulwallfahrten nach Bürglen veranstaltet. Seppi hat die erste und zweite Klasse bei Josephine Huber besucht, 1941–1943. Er sei grad so knapp durchgekommen in der Schule, habe nie aufgemuckt, sich immer beim grossen Haufen befunden. Ein Träumer, wenn sie ihn aufrief, sei er immer leicht erschrocken. Die Leute aus der Unterstadt, sagt sie, das war ziemlich hoffnungslos. Die meisten stammten vom Land, aus kinderreichen Familien, es gab keine Geburtenbeschränkung. Taglöhnerfamilien, in die Stadt ausgewandert. Die Pfarrer gaben Almosen oder schickten sie nach Freiburg. Die Unterstadt war damals voll von Läusen, Flöhen, Ratten, Alkoholikern. Das Gaswerk ist dort und das Gefängnis. Alles, was man aus der Oberstadt entfernen wollte, stopfte man in die Unterstadt. Im Auquartier wohnten die Sensler, die waren unpolitisch und tranken dafür, in der Neuveville wohnten die welschen Arbeiter – ein richtiges Sozialistennest, da wurde politisiert und gegen die Reichen gehetzt. Arbeiten konnte man in der «Dreckfabrik» (Düngerfabrik), in der Schokoladefabrik Villars, in den Brauereien. Die Patrizier und reichen Bürger haben sich aber immer christlich um die armen Unterstädtler gekümmert. Natürlich sind die de Maillardoz, de Weck, Guhl und so weiter nicht persönlich in die «basse ville» hinuntergestiegen, aber sie haben den Leuten von der Vinzenzkonferenz Geld gegeben; das waren Leute aus dem Mittelstand, die haben den Armen dann Almosen gebracht. Aber trotz der Wohltätigkeit wollten die Armen nicht aus ihrem Sumpf heraus, der Alkoholismus ging nicht zurück. Ein reicher Freiburger habe testamentarisch eine Summe für die Anschaffung von Holzschuhen für die Kinder hinterlassen (sogenannte Schlorgge). Auch die Schulsuppe, Holz und Kartoffeln seien gespendet worden. In ihrer Klasse sei Seppi durch Sauberkeit aufgefallen. Arm und geflickt, aber sauber! Einfluss der Mutter. Manche Kinder aus der Unterstadt seien verlaust und mit Schorf zur Schule gekommen, in den Schulheften fand sie Läuse. Vernachlässigt wie streunende Hunde waren die Kinder aus der Unterstadt, mit wenigen Ausnahmen. Seppi sei dann in der 3. Klasse zu Herrn K. gekommen, der ihn oft geschlagen habe, und später zu Herrn A., ebenfalls rabiat.

      Herr C. Frangi, Karosseriespengler

      Der Lehrling benötigt folgendes persönliches Werkzeug: 1 Doppelmeter, 1 Bleistift, 1 Notizbüchlein. Besondere Regelungen: Aufräumen nach Arbeitsschluss. Als freie Tage im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen gelten alle katholischen Feiertage sowie Karfreitag, Ostermontag, Pfingstmontag. Der Lehrling erhält für seine Arbeitsleistung folgenden Lohn: 1. Lehrjahr per Stunde Fr. –.40; 4. Lehrjahr per Stunde Fr. –.65/–.70.

      So und ähnlich lautet der Lehrvertrag zwischen dem Karosseriespengler Frangi und dem Lehrling Josef Siffert, Sohn des Alois, gültig von Mai 1952 bis Mai 1956. Frangi sagt: Ich war meinen Lehrlingen eine Art Vater. Die waren so unkultiviert. Musste ihnen beibringen, dass man das Messer in der rechten und die Gabel in der linken Hand hält. War streng, aber gerecht. Habe gewusst, dass Siffert Schwarzarbeit macht, liess ihn aber gewähren. Hat ein schönes Begräbnis gehabt, nur das von General Guisan hat mir noch besser gefallen. Hat mir 14 Tage vor seinem Tod noch das Du angetragen. Und immer, wenn ich ihm begegnete, grüsste er freundlich. Ist ein einfacher Mensch geblieben. Hat sich nie gegen mich aufgelehnt, immer seine Arbeit gewissenhaft gemacht. Er war ein einfacher Mensch, hat nie geblufft wie sein Vater. Seppi hat seine Familie aus dem Dreck gezogen. Bei mir unten hat er auch die Yvette kennengelernt, sie wohnte gegenüber dem Atelier.

      Aufnahmeprüfung bei Frangi. Siffert musste 20 Fragen beantworten, eine Frage nach dem höchsten Punkt der Schweizer Geographie und eine Frage nach dem höchsten Punkt der politischen Landschaft (Dufour Spitze und Bundespräsident Etter).

      Yvette P.

      Sifferts Jugendfreundin Yvette P. hat die schwierigen Anfänge des Rennfahrers Siffert miterlebt und miterlitten, beobachtete die Entwicklung des Vornamens: Aus dem senslerischen Seppi wurde ein französisch oder welsch angehauchter Joseph, zurechtgestutzt für den linguistischen Gebrauch der Oberstadt, und aus Joseph wurde Jo, was auf französisch und englisch ebenso gängig ist. Yvette hat auch der Metamorphose beigewohnt, welche Seppis Charakter nach den Formel-I-Erfolgen durchlief. Ein ganzer Weibertross sei ihm da plötzlich auf den Fersen gewesen, und all die aktiven Freunde, Paul Blancpain und ähnliche Leute aus der guten Gesellschaft; Paul Blancpain, welcher früher die Kirchen des Freiburger Architekten Dumas in Frankreich verkauft habe, wollte jetzt Siffert verkaufen.

      Seppi sei wenn immer möglich vor den Rennen zur Messe gegangen, während sie, Yvette, eigentlich nur an die Muttergottes glaube und deshalb in Bourguillon ihre Opferkerzen entzündete. (Im Restaurant neben der Wallfahrtskirche hängt heute ein Andachtsbild von Seppi.) In der


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