PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Читать онлайн книгу.Und siehst du etwa, daß ohne dieses von irgend etwas eine Erkenntnis sein oder entstehen kann?
Theaitetos: Nichts weniger.
Fremder: Und gegen den ist doch auf alle Weise zu streiten, der Wissenschaft, Einsicht und Verstand bei Seite schafft, und dann noch irgend worüber etwas behaupten will.
Theaitetos: Gar sehr.
Fremder: Und der Philosoph also, der gerade dies am höchsten schätzt, ist wie es scheint deshalb auf alle Weise genötiget, weder von denen, welche das All es sei nun als Eins oder als viele Ideen setzen, es als ruhend anzunehmen, noch auch wiederum auf die welche das Seiende durchaus bewegen auch nur im mindesten zu hören, sondern wie die Kinder zu begehren pflegen muß er beides von dem Seienden und All, daß es unbewegt und daß es bewegt sei, sagen.
Theaitetos: Vollkommen wahr.
Fremder: Wie nun? kommt es dir nicht vor als ob wir das Seiende jetzt recht ordentlich mit unserer Erklärung umfaßt hätten?
Theaitetos: Allerdings.
Fremder: O weh, Theaitetos! wie sehe ich daß wir nun nichts mehr davon verstehen werden, als nur daß es keine Auskunft gibt bei dieser Untersuchung!
Theaitetos: Wie so, und was hast du nur schon wieder?
Fremder: Du Glücklicher, siehst du nicht ein, daß wir nun eben in der größten Unwissenheit darüber sind, und uns nur einbilden etwas gesagt zu haben?
Theaitetos: Ich bilde mir es noch ein. Und wie es uns bewußt wieder so um uns stehen sollte begreife ich gar nicht.
Fremder: Sieh nur genauer zu, ob, nachdem wir dies alles zugestanden, wir mit Recht eben das könnten gefragt werden, was wir vorher die fragten, welche sagten das All sei warmes und kaltes.
(250) Theaitetos: Erinnere mich doch, was?
Fremder: Gern, und ich will dies so zu tun suchen, daß ich dich frage wie damals jene, damit wir zugleich etwas weiter kommen.
Theaitetos: Gut.
Fremder: Wohl denn, hältst du Bewegung und Ruhe nicht für einander ganz entgegengesetzt?
Theaitetos: Wie könnte ich anders?
Fremder: Aber du sagst doch, daß beide und jede gleich sehr sind.
Theaitetos: Das sage ich freilich.
Fremder: Meinst du nun, daß beide und jede bewegt werden wenn du einräumst daß sie sind?
Theaitetos: Keinesweges.
Fremder: Sondern daß sie ruhen willst du andeuten, wenn du sagst daß sie beide sind?
Theaitetos: Wie doch das?
Fremder: Also setzest du doch das Seiende in deiner Seele als ein drittes außer diesen, indem du Ruhe und Bewegung als von jenem umschlossen zusammenfassend, und auf ihre Gemeinschaft in dem Sein Hinsicht nehmend, beiden das Sein beilegst.
Theaitetos: Wir mögen wohl in der Tat das Seiende als ein drittes andeuten, indem wir sagen, daß Bewegung und Ruhe sind.
Fremder: Nicht also Bewegung und Ruhe zusammengenommen ist das Seiende, sondern ein von diesen verschiedenes.
Theaitetos: So scheint es.
Fremder: Also vermöge seiner eigenen Natur wird das Seiende weder ruhen noch sich bewegen.
Theaitetos: Schwerlich.
Fremder: Wohin soll also seine Gedanken noch wenden wer etwas deutliches darüber bei sich festsetzen will?
Theaitetos: Wohin wohl auch?
Fremder: Nirgends hin wohl so leicht, denke ich. Denn wenn sich etwas nicht bewegt, wie sollte es nicht ruhen? oder was auf keine Weise ruht, wie sollte sich das nicht bewegen? Das Seiende hat sich uns aber jetzt außerhalb beider gezeigt, ist das nun wohl möglich?
Theaitetos: Gewiß das allerunmöglichste.
Fremder: Daran müssen wir uns aber hiebei wohl erinnern.
Theaitetos: Woran doch?
Fremder: Daß als wir über das Nichtseiende gefragt wurden, wo man dieses Wort wohl anbringen müßte, wir auch in gänzlicher Verlegenheit befangen waren. Erinnerst du dich dessen?
Theaitetos: Wie sollte ich nicht?
Fremder: Sind wir nun wohl in geringerer Verlegenheit über das Seiende?
Theaitetos: Mir, o Fremdling, scheinen wir wo möglich in noch größerer.
Fremder: Dies liege also hier so unentschieden. Da nun aber das Seiende und das Nichtseiende zu ganz gleichen Teilen gehen in dieser Verlegenheit: so ist doch nun Hoffnung, daß so wie nur das eine von ihnen sich uns, sei es nun dunkler oder bestimmter, darstellt, auch das Andere eben so sich (251) darstellen werde; und wenn wir keines von beiden sehen sollten, wollen wir wenigstens die Erklärung beider zugleich auf die anständigste Weise wie wir nur können weiter bringen.
Theaitetos: Schön.
Fremder: Erklären wir denn, auf welche Weise wir doch jedesmal eine und dieselbe Sache mit vielen Namen benennen.
Theaitetos: Wie was doch? gib mir ein Beispiel.
Fremder: Wir sagen doch von einem Menschen gar vielerlei indem wir ihn danach benennen, wenn wir ihm Farbe beilegen und Gestalt und Größe, auch Fehler und Tugenden, in welchen und hunderttausend anderen Fällen wir denn nicht nur sagen, daß er ein Mensch ist, sondern auch daß er gut ist, und unzähliges andere, und eben so verhält es sich mit allen andern Dingen, daß wir jedes als Eins setzen, und es hernach doch wieder vieles davon sagen mit vielerlei Benennungen erklären durch vielerlei Worte.
Theaitetos: Wahr gesprochen.
Fremder: Wodurch wir nun Jünglingen und schwerköpfigen Alten, denke ich, ein Mahl bereitet haben. Denn das hat ja jeder leicht bei der Hand aufzugreifen, daß es unmöglich ist, daß Vieles Eins und Eins Vieles sei, und sie haben zumal ihre Freude daran nicht zu leiden daß man einen Menschen gut nenne, sondern das Gute gut und den Menschen Mensch. Du triffst gewiß oft, denke ich, Theaitetos, solche die sich auf dergleichen gelegt haben, alte Leute bisweilen die aus Geistesarmut dergleichen bewundern, oder auch selbst meinen Wunder was für Weisheit daran erfunden zu haben.
Theaitetos: Allerdings.
Fremder: Damit wir uns also an Alle wenden, die jemals was auch immer über das Sein vorgetragen haben: so sei zu diesen sowohl als zu den übrigen mit denen wir vorher schon uns unterredeten noch dieses frageweise gesprochen.
Theaitetos: Was also?
Fremder: Ob wir weder das Sein der Ruhe und Bewegung verknüpfen, noch überall irgend eines mit dem andern, sondern als unvermischbar und unfähig eines an dem andern Teil zu haben, alles in unsern Reden setzen wollen? Oder ob wir Alles in Eins zusammenbringen als der Gemeinschaft unter sich fähig? oder Einiges zwar, Anderes aber nicht? Welches hievon, o Theaitetos, sollen wir sagen daß diese vorziehn?
Theaitetos: Ich weiß für sie nichts hierauf zu antworten. Warum willst du also nicht einzeln jedes beantwortend zusehn was aus jedem folgt?
Fremder: Wohl gesprochen. Setzen wir also zuerst, wenn du willst, den Fall sie