Soziale Arbeit. Johannes Schilling

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Soziale Arbeit - Johannes Schilling


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beteiligt, weil sie das System als ein Instrument der bürgerlichen Gesellschaft ansah, das die soziale Ungleichheit und ihre Folgen nur verschleierte und grundlegende soziale Reformen verhinderte.

      Das Elberfelder System verfolgte seine Ziele v. a. durch zwei Methoden:

      ■ Arbeitsbeschaffung: Die Stadt Elberfeld versuchte Arbeiter zu vermitteln, indem sie den heimischen Unternehmern Aufträge erteilte. Wo dies nicht ausreichte, ordnete die Stadt eigene Tätigkeiten an (Straßenbau, Eisenbahnbau usw.).

      ■ Arbeitsanweisungen: Nach dem Motto „Arbeit ist besser als Almosen“ mussten Hilfsbedürftige jede ihnen zugewiesene Arbeit annehmen. Sollte eine Arbeitsvermittlung nicht so schnell gelingen, bekam der Hilfsbedürftige eine Unterstützung. Diese war aber so knapp bemessen, dass er den Antrieb zur Arbeitsaufnahme nicht verlieren würde.

      Das Elberfelder System war bezüglich des Abbaus der „Armenlast“ sehr erfolgreich. Die Zahl der Armen in der Stadt Elberfeld sank von etwa 4.000 auf 1.460 (über 50 %). Die Bettelei nahm rapide ab. Ähnliches wurde auch von anderen Städten gemeldet (Bremen, Krefeld, Leipzig, Dresden, Gotha u. a.), die das Elberfelder System übernommen hatten (Kühn 1994, 6).

      Die rasante ökonomische Entwicklung und die in ihrem Gefolge sich immer dramatischer stellende soziale Frage überholte die im Elberfelder System angelegten Möglichkeiten der Wohlfahrtspflege. Bei den – gegen Ende des 19. Jahrhundert – erreichten Größen der Industriestädte musste das Quartiersystem versagen. Die hohe Mobilität der potenziellen Erwerbsbevölkerung und der verelendenden Schichten machten eine ehrenamtliche und individualisierende Wohlfahrtspflege unmöglich (Erler 2012, 68). 1905 entwarf der Straßburger Rudolf Schwander in seiner berühmten Denkschrift das Straßburger System, das einen wesentlichen Schritt in Richtung einer modernen Sozialpolitik darstellte. Ähnlich wie im Elberfelder System wurde auch in Straßburg das gesamte Stadtgebiet in Bezirke eingeteilt, eine weitere Quartiereinteilung aber entfiel. In einigen Punkten wurde das Elberfelder System entscheidend reformiert.

      1. Es wurden hauptamtliche Berufsarmenpfleger eingesetzt.

      2. Man wich von der Dezentralisierung ab und führte die Kompetenzen im Armenamt zusammen.

      3. Eine klare Arbeitsteilung zwischen beruflichen und ehrenamtlichen Kräften wurde vorgenommen. „Die beruflichen Kräfte waren für die polizeilich-administrativen Aufgaben zuständig, die ehrenamtlichen dagegen für die pädagogische Beratung und Betreuung der Unterstützung.“ (Sachße/Tennstedt 1988, 26)

      4. Die Armenpflege wurde in einen Innen- und Außendienst aufgeteilt. Dabei wurden die Entscheidungsbefugnisse auf die Innenbeamten der zentralisierten Armenverwaltung übertragen. Die Armenpflege vor Ort (Außendienst) wurde ab 1893/1899 allmählich durch in speziellen Kursen ausgebildete sozial engagierte Frauen ersetzt.

      Durch die Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse vom Außen- auf den Innendienst und den Einsatz von Berufsbeamten verlor das Fürsorgesystem seinen früheren Charakter. Und die Einteilung in Innen- und Außendienst wurde erst 1970 abgeschafft (Kühn 1994, 7). Mit dieser Neuregelung begann die moderne Sozialpolitik. Das klassische Prinzip der Bürokratie wurde auf die Bearbeitung der Armenfrage angewandt. Die Hilfesuchenden sollten nicht mehr auf Willkür und Wohlwollen ehrenamtlicher Armenpfleger angewiesen sein. Sondern sie trafen stattdessen auf ein – an zunehmend verrechtlichte Prinzipien gebundenes und für die Allgemeinheit zuständiges – öffentliches Fürsorgesystem (Hammerschmidt 2012, 851–861).

      Bismarck ging es in seiner berühmt gewordenen Sozialpolitik um zwei Fragenkomplexe:

      1. Wie kann man verhindern, dass die parteipolitisch organisierte Arbeiterschaft die bestehende Gesellschaft umstürzt?

      2. Wie kann man die Staatskasse von den hohen Kosten der Armenfürsorge entlasten?

      Die Gefahren, die Bismarck in dem Zusammenschluss des „Allgemeinen Arbeitervereins“ (gegründet 1863 von Ferdinand Lasalle) mit der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (gegründet 1869 von August Bebel) im Jahre 1875 in Gotha sieht, soll das Sozialistengesetz von 1878 bannen. Es verbot die Parteiorganisation und alle sozialpolitischen Vereine. Zur Bekämpfung der Not und der sozialistischen Gefahr wurde eine Reihe von Arbeiterversicherungsgesetzen erlassen, die später (1911) in der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusammengestellt wurden. Die RVO ist seitdem das grundlegende Gesetz für die Sozialversicherung in Deutschland; sie wurde schrittweise in das neue Sozialgesetzbuch (SGB) integriert.

      Zu den Bismarckschen Sozialgesetzen zählen:

      1883 Einführung der Krankenversicherung

      1884 Einführung der Unfallversicherung

      1889 Einführung der Alters- und Invalidenversicherung

       Vor- und Gegenleistung

      Das Kernstück der Sozialgesetzgebung liegt auf der Verknüpfung des Versicherungszwanges mit einem Rechtsanspruch auf Unterstützung. Bei der Versicherung gilt das Prinzip der Vorleistung und Gegenleistung. Anstelle öffentlicher oder privater Armenfürsorge tritt jetzt das Recht auf Versorgung, das der Arbeiter durch seine Beitragszahlung erwirbt. Es ging Bismarck darum, dass die Arbeiter den Staat als eine wohltätige Einrichtung kennen lernten. Er dachte die Arbeiterklasse durch die Sozialgesetze für die gegebene gesellschaftliche Ordnung zu gewinnen oder wenigstens in sie einzubinden (Wendt 1985, 183).

       zwei Hilfsprinzipien

      Durch die Arbeiterversicherung hat Bismarck verhindert, dass die Arbeiter der öffentlichen Armenpflege zur Last fielen. Nur die Armen, die keinen Versicherungsschutz besaßen, hatten auch keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Sie erhielten Hilfe nach dem Bedarfsprinzip. Somit gab es zwei Hilfsprinzipien: 1. die generelle Hilfe der Sozialpolitik und 2. die sich individuell orientierende Armenfürsorge.

       Subsidiaritätsprinzip

      Bis 1918 verstand sich der Staat als liberaler Rechtsstaat, der möglichst nicht in die sozialen und ökonomischen Prozesse eingreifen wollte, sondern nur für rechtliche Rahmenbedingungen zu sorgen hatte. Nach dem Subsidiaritätsprinzip überließ er die konkrete Ausgestaltung der Sozialfürsorge den privaten – meist kirchlichen – Wohlfahrtsorganisationen.

      Von der Armenpflege zur Armenfürsorge

      Armenpflege wurde im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nach dem Elberfelder bzw. Straßburger System durch kommunale Verwaltungen organisiert. Zuerst kümmerten sich ehrenamtliche, dann hauptberuflich tätige Armenpfleger um die Hilfsbedürftigen und versuchten vor allem durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Armut zu begegnen. Durch die Sozialgesetzgebung von Bismarck entstanden zwei neue Hilfsstrukturen: die staatliche Sozialpolitik und neben der privaten auch die öffentliche Armenfürsorge.

      Nach der Entlassung Bismarcks durch Kaiser Wilhelm II. wurden in die Reform der Sozialpolitik viele Erwartungen gesteckt, doch sie blieb aus. Lediglich die Reichsversicherungsordnung wurde 1911 rechtlich neu organisiert. Ein Ausbau der kommunalen Armenversorgung fand statt. So wurden eigenständige Ämter organisiert, z. B.: Gesundheitsamt, Kinder- und Jugendwohlfahrtsamt, Arbeitsamt


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