Kleine politische Schriften. Walter Brendel
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Wilhelm Liebknecht
Kleine politische Schriften
Impressum
Texte: © Copyright by Wilhelm Liebknecht
Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Die Grund- und Bodenfrage
Zu Trutz und Schutz
Wissen ist Macht – Macht ist Wissen
Anarchismus, Sozialdemokratie und revolutionäre Taktik
Aus der Rede zur Begründung des marxistischen Erfurter Programms 1891
Kein Kompromiß – Kein Wahlbündnis
Die Grund- und Bodenfrage
Vortrag, gehalten im Saal des Schützenhauses zu Meerane am 11. März 1870 [Auszug]
Aus zwei Gründen habe ich die Einladung angenommen, hier in öffentlicher Volksversammlung einen Vortrag über die Grund- und Bodenfrage mit besonderer Berücksichtigung der Baseler Beschlüsse zu halten. Erstens wegen der großen Wichtigkeit, welche die Grund- und Bodenfrage an sich hat; und zweitens, weil eine Klarlegung dieser Frage und der Stellung der sozialdemokratischen Partei zu ihr in unserem unmittelbarsten Parteiinteresse ist. Daß die Frage eine brennende, wird durch die außerordentliche Aufregung bewiesen, welche die Baseler Beschlüsse hervorgerufen haben; und daß eine Klarlegung notwendig, durch die schiefen Urteile, welche fast allgemein in der Presse über diese Beschlüsse gefällt werden. Da aber unsere Partei, soweit die deutschen Vereinsgesetze es erlauben, zur Internationalen Arbeiterassoziation gehört, so stehen wir den Beschlüssen des letzten Kongresses der Internationalen Arbeiterassoziation nicht als Fremde, Unbeteiligte gegenüber, sondern haben uns auszusprechen, ob wir dieselben billigen oder nicht. Unser Verhältnis zur Internationale läßt uns die Entscheidung vollständig frei: eine starke Minorität hat auf dem Baseler Kongreß gegen die Beschlüsse gestimmt, ohne damit aus der Internationale auszutreten; und ebensogut könnte die sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands als Ganzes, oder einzelne Mitglieder derselben als Privatpersonen, sich mißbilligend über die Beschlüsse aussprechen, ohne dadurch das bisherige Verhältnis zur Internationale im mindesten zu verändern oder gar zu lösen. Die Internationale Arbeiterassoziation ist keine Gesellschaft von sozialistischen Unfehlbarkeitsjüngern, welche nach einer Schablone denken und jede unabhängige Geistesregung verfemen. Sie umfaßt Männer der verschiedensten Anschauungen und heißt jeden willkommen, der ernstlich die Befreiung der arbeitenden Klassen und die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit erstrebt – mag er betreffs der einzuschlagenden Wege Ansichten haben, welche er wolle.
Die sogenannte Volkspartei – ich sage mit Bedacht: sogenannte, denn schon der Ausdruck »Volkspartei« ist eine contradictio in adjecto, eine Zusammenstellung zweier einander widersprechender Wörter, weil der Begriff »Volk« das Ganze, der Begriff »Partei« aber nur einen Teil umfaßt, und ein Teil nicht das Ganze, das Ganze nicht ein Teil sein kann –, also die sogenannte Volkspartei, ein aus den ungleichartigsten Elementen bestehendes Konglomerat, zusammengekittet durch Preußenhaß, hat, obschon sie seinerzeit dem durchaus sozialistischen Nürnberger Programm .zustimmte, an uns das Ansinnen gerichtet, die Baseler Beschlüsse öffentlich und feierlich zu verleugnen; und es sind, da dem Ansinnen nicht willfahrt werden konnte, sogar unterderhand von jener Seite aus mancherlei Versuche gemacht worden, die Baseler Beschlüsse als trennenden Keil in unsere Parteiorganisation einzuschieben und sie zur Aufhetzung der ländlichen Bevölkerung gegen uns zu benutzen. Es ist eine Tatsache, daß es Organe der Volkspartei sind, welche in der gehässigsten, leidenschaftlichsten und unvernünftigsten Weise über die Baseler Beschlüsse gezetert haben.
Ich werde zeigen, daß die Baseler Beschlüsse in dem Stand der Landfrage ihre vollste Berechtigung finden; daß das Geschrei gegen die Baseler Beschlüsse nur Ignoranz oder bösem Willen entspringen kann; und daß unsere Partei, wollte sie die Baseler Beschlüsse verleugnen, ihre eigenen Prinzipien, ihr eigenes Programm verleugnen würde.
Zunächst eine kurze Auseinandersetzung, die nur den Pfad ebnen, ihn von etlichem, den Fuß hemmenden Gestrüpp reinigen soll. Man hat das Publikum daran gewöhnt, das Privateigentum, namentlich das ländliche Privateigentum, mit einer Art von heiliger oder abergläubischer Scheu zu betrachten, als ein unantastbares Wesen, als eine Gottheit sozusagen, die ewiges Leben habe und die angebetet worden sei zu allen Zeiten und angebetet werden müsse in alle Ewigkeit. Es ist das eine total falsche Auffassung. Gleich den übrigen Göttern und Götzen ist das Eigentum ein menschliches Produkt; und man weiß ja, die praktischen Wilden schlagen die Götzen in Stücke, wenn sie ihnen nicht die erwarteten Dienste leisten. Der Eigentumsbegriff ist nur der Reflex, das Erzeugnis der Staats- und Gesellschaftszustände, und mit diesen naturgemäß einer beständigen Veränderung unterworfen. Der Eigentumsbegriff von heute ist nicht der Eigentumsbegriff von gestern, wie der Staat und die Gesellschaft von heute nicht der Staat und die Gesellschaft von gestern sind. Es kann deshalb nichts lächerlicher sein, nichts mit der ganzen geschichtlichen Entwicklung mehr in Widerspruch stehen, als von einem feststehenden »Eigentumsprinzip« zu reden, das unverrückbar in der Mitte des politisch-sozialen Weltsystems befestigt sei, dasselbe »harmonisch« bewegend und lenkend, wie unsere Sonne die Erde und deren himmlische Geschwister. Der Eigentumsbegriff verschiebt sich wie der Flugsand, und wer auf die »Ewigkeit« des heutigen Privateigentums baut, baut auf Flugsand. [...]
Ich habe nun in kurzen Umrissen gezeigt, wie der Eigentumsbegriff im Lauf der Zeiten sich verändert hat, wie das Recht auf Privateigentum weder von der klassischen griechischen Kultur anerkannt wurde noch vor der christlichen Lehre besteht; wie Römertum sowohl als Germanentum trotz kräftiger Ausbildung des Eigentumsbegriffs dennoch das Privateigentum dem Staat und der Gemeinde absolut untergeordnet haben; wie namentlich in bezug auf das Grundeigentum zu allen Zeiten kommunistische Anschauungen entweder praktisch geherrscht oder wenigstens theoretisch von den hervorragendsten Geistern vertreten worden sind.
Damit ist der Weg gebahnt – der Baseler Beschluß verliert sein Überraschendes, Erschreckendes. Wir stehen vor einem uralten Problem; und statt mit einem urplötzlich hereingeschneiten Fremdling haben wir es mit einem alten Bekannten zu tun.
Die Internationale Arbeiterassoziation hat sich in Basel nicht zum erstenmal mit der Grund- und Bodenfrage beschäftigt. Schon auf dem Kongreß des Jahres zuvor, der in Brüssel statthatte, wurde die Frage eingehend erörtert und eine Resolution gefaßt, die wesentlich dasselbe besagt wie die Baseler Beschlüsse und das Verdienst vor ihnen voraushat, daß sie die Motive kurz darlegt. Und eigentümlich: die damalige Resolution erregte, obgleich die Presse sie veröffentlichte und überhaupt dem Brüsseler Kongreß mit großer Aufmerksamkeit folgte, nur wenig Aufsehen; man fand sie offenbar ganz natürlich von Seiten einer sozialistischen Gesellschaft, welche sich die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise und die radikale Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse zum Ziel gesteckt hat. Wie anders die Baseler Beschlüsse! Es war, wie wenn in die bürgerliche Gesellschaft urplötzlich eine Bombe gefallen wäre, die, zerplatzend, Tod und Verderben ausstreut und zugleich mit Blitzhelle furchtbare Schrecknisse dem Blicke erschließt, welche die Dunkelheit bisher verschleiert hatte. Das Fehlen der Motivierung