Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder


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zweihundert Fuß hinabstürzen, daß der Wasserstaub davon noch höher von unten heraufschlägt. Alsdenn tobt er schäumend über Felsen fort, breitet sich aus, rauscht zürnend um grüne Bauminseln, und hastig schießt er in den Grund von dannen, zwischen zauberischen Gärten von selbstgewachsnen Pomeranzen, Zitronen und andern Frucht- und Ölbäumen.

      Sein Fall dauert sieben bis acht Sekunden oder neun meiner gewöhnlichen Pulsschläge von der Höhe zur Tiefe. Das Aufschlagen in den zurückspringenden Wasserstaub macht einen heroisch süßen Ton und erquickt mit nie gehörter donnernder Musik und Verändrung von Klang und Bewegung die Ohren, und das Auge kann sich nicht müde sehen.

      Fiordimona jauchzte vor Freude in das allgewaltige Leben hinein und rief außer sich unter dem brausenden Ungestüm: »Es ist ein Kunstwerk, so vollkommen in seiner Art als irgendeins vom Homer, Pindar oder Sophokles, Praxiteles und Apelles, wozu Mutter Natur Stoff und Hand lieh.«

      Gewiß aber läßt es sich mit keinem andern vergleichen und ist einzig in seiner Art; die große Natur der herrlichen Gebirge herum, der frische Reiz und die liebliche Zierde der den Sturz vor dem Fall umfassenden Bäume, das einfache Ganze, was das Auge so entzückt, auf einmal ohne alle Zerstreuung, so wollüstig verziert und doch so völlig wie kunstlos, nährt des Menschen Geist wie lauter kräftiger Kern.

      Wir saßen alsdenn wieder auf und ritten dem Velino oben weiter entgegen, bis wir eine kleine Stunde vor dem Sturz an seinen See kamen, worin er sich klarwäscht. Die Mannigfaltigkeit des Stroms von hier aus, der bald langsamere, bald schnellere Lauf, das mit schöner Waldung eingefaßte Bett überall, der See in seiner Rundung von einem Amphitheater sich nacheinander verlierender höchster Gebirge umlagert; alles, das fruchtbare Tal der Szene, der ehemalige Streit der Nachbarn um ihn, macht diesen Wasserfall immer wunderbarer und ergreifender.

      Man hat ihn schon abgemalt und zeigte mir gestern bei unsrer Ankunft die Kopie von dem Original. Aber gemalt bleibt er immer ein armseliges Fragment ohn alles Leben, weil kein Anschauer des Gemäldes, der die Natur nicht sah, sich auch mit der blühendsten Phantasie das hinzuzudenken vermag, was man nicht andeuten kann. Und überhaupt ist es Frechheit von einem Künstler, das vorstellen zu wollen, dessen Wesentliches bloß in Bewegung besteht. Tizian zeigt klüglich allen Wasserfall nur in Fernen an, wo die Bewegung sich verliert und stillezustehen scheint.

      Terni selbst, das Vaterland des ersten Geschichtschreibers Tacitus, liegt äußerst angenehm zwischen lauter Gärten. An der Nordseite erhebt sich noch ein Bogen von Hügeln mit lustigen Landhäusern, meistens zwischen Ölbäumen, die einen kleinen Wald ausmachen.

      Aus der Nera, worin der Velino seinen Namen verliert, werden eine Menge Kanäle abgeleitet, die die Stadt und alles Land herum, unter immer lebendigem Rauschen, zur höchsten Fruchtbarkeit bewässern.

      Tivoli hatte einen so großen Reiz für die alten Römer, weil es nahe an Rom lag, und wegen der weiten Aussicht in die Ebnen herum bis ans Meer. Es hat etwas Feierliches, was Terni nicht hat. Aber dies hat im Grunde größere Natur um sich her und läßt an Fruchtbarkeit mit Tivoli gar keine Vergleichung zu; dieses ist dürres und ödes Land meistens und Terni lauter Mark.

      Die Römer verstunden zu leben! Sie genossen den wahren Reiz von jedem und wußten zu wählen aus tausenderlei Erfahrungen. Scipio der Jüngere wählte Terni, dessen Landsitz man noch zeigt, der Ältere Cajeta und seine erhabne Tochter Cornelia das Misenische Vorgebirg, welche letztern Örter wegen des Meers freilich über alles gehen; denn nichts ist doch lebendiger als das Meer und hat mehr Mannigfaltigkeit und Bewegung. O wie freu ich mich, das alte glückselige Bajä bald zu finden!

      Die Terner erweisen uns alle Ehre, und dies setzt Fiordimonen nicht wenig in Verlegenheit; sie befürchtet, erkannt zu werden; und außerdem wollen sich ihre mutwilligen Brüste, stolz auf ihre junge Schönheit, mit aller Kunst nicht vollkommen verbergen lassen. Dies macht mich oft lächeln und sie erröten. Wir begeben uns deswegen platterdings in keine sitzende Gesellschaft und sind gegen Abend wieder nach dem Wasserfall unten hingeritten; morgen eilen wir weiter.

      Unten ist man recht der Mutter Natur im Schoß und genießt die Höhen und Tiefen der Erde, ihr Schaffen und Wirken und die Fülle ihres Lebens. Ein enges Tal von neuen und äußerst reizenden Kontrasten; welsche Milde und Schweizerrauheit vereinbart. Himmelan strebende Gebirge, donnernder Wassersturz, hereinbrausende wilde Fluten; und daneben: die zarten Pomeranzen- und Ölbäume, Lorbeerngänge, süße Reben und Feigen; und mittendrin im Felsen eine Kapelle der heiligen Rosalia, die Bildsäule der Heiligen, die auf einem weichen Lager ruht, mit Blumen bekränzt, um sie her leisschwebende Engel.

       Portici, Junius.

      Die Freude läuft mir durch alle Glieder, daß Du mich besuchen willst; o ein Götterjahr, dies Jahr in meinem Leben! Ich habe meiner Tante schon geschrieben, Quartier für Dich bereitzuhalten; bei meiner Ankunft hoff ich Dich zu Florenz zu treffen. Die nächsten Tage werden wir von hier abreisen.

      Von unsern Abenteuern hätt ich Dir so viel zu erzählen, daß ich jetzt nicht wüßte, wo ich anfangen sollte; ich verspar es, bis wir Herzen und Seelen mündlich gegeneinander ausschütten. O welch ein Jubel, mit Dir noch durch die bezaubernden Plätze von Umbrien zu streichen! Fiordimona und ich sind nun völlig ein Wesen, so zusammengeschmolzen von tausendfachem Entzücken; alles Hohe und Schöne, Kühne und heroisch Erduldende der menschlichen Natur ist in ihr vereinbart. Endlich werden wir denn doch noch in das Band der Ehe der bürgerlichen Ordnung wegen tragen; aber wahrlich nicht deswegen, daß es uns zusammenhalten soll. O sie ist der glückliche Hafen aller meiner stürmischen Wünsche! Wir kennen uns nun von innen und außen bis auf unsre geheimsten Regungen.

      Unsre Reise war eine immerwährende Augenlust. Wir haben den Weg über Monte Cassino genommen. Hier fühlt man erst recht die Schönheit von Italien und hat sinnlich vor sich, wie sich der Apennin in seiner ganzen Majestät durch dessen Mitte lagert, zur Erfrischung mit seinen luftigen und waldichten Gipfeln für den Sommer und reizenden Tälern und Ebnen an beiden Meeren für den Winter. In weiten Kreisen türmt sich immer ein Gebirg über das andre, und das Farbenspiel geht in unendlichen Höhen und Tiefen durch alle Töne in süßen und fruchtbaren Harmonien.

      Der heilige Benedikt hat trefflich für seine Schar gesorgt, und die Mönche zu Monte Cassino leben wie die Fürsten. Jeder hat seine drei Bedienten, das Kostbarste vom Lande zu essen und zu trinken und schläft in weichen Betten auf Stahlfedern. Das übrige versteht sich von selbst; aus Vorsorge bereitete ich meiner Fiordimona eine Krankheitsschminke und gab sie für meinen Bruder, einen Sänger, aus, der seiner Gesundheit wegen in die Bäder von Bajä zöge. Und kaum so sind wir durchgekommen; denn die schelmischen Faune witterten doch die blühende Gesundheit und das Fleisch wie Mandelkern unter dem angestrichnen Gelb.

      Ihr prächtiges Kloster liegt auf einem steilen Absatze von einem der höchsten Berge, von unten wie eine Burg des Zeus, nur daß umgekehrt von oben das Wetter des Jahrs wenigstens ein paarmal da einschlägt, und wird in kurzer Ferne von einem stolzen Amphitheater von Gebirgen umgeben, wo die Sonne bei ihrem Untergang immer neue zauberische Schauspiele hervorbringt.

      Wir haben uns nur einen Tag zu Neapel selbst aufgehalten und sind gleich aufs Land hieher gezogen, wenn man es Land nennen kann, denn Portici ist gleichsam nur Vorstadt; bewohnen den Garten einer jungen Witwe, von Tarent gebürtig, die mit Recht den lieblichen Namen Candida Graziosa führt, im besten Punkt, dies wirkliche Paradies zu beschauen; denn von Neapel aus ist das göttliche Meer zu eingeschlossen.

      Die Stadt selbst sieht man hier am wahrsten und besten; sie ist so recht ein Sitz des Vergnügens, voll Adel, voll der lebhaftesten Menschen, rundum in Schönheit und Fruchtbarkeit! zu strenger und erhabner Weisheit ist's fast nicht möglich, hier zu gelangen. Zur Linken die reizende Küste von Sorrent; dann die Fahrt nach Elysium Sizilien; dann die Insel der Freuden des Tiberius, Capri; dann die unendlichen Gewässer breit und offen, wo sich das Auge verliert; und daneben und darüberhin die alten Feuerauswürfe der Insel Ischia, und Procida, und den entzückenden Strich Hügel des Pausilipp, und das Gebirg der Kamaldolenser; welche bezaubernde Mannigfaltigkeit! Darunter wieder das Gemisch von unzählbaren Felsenhütten von Neapel, wo eine halbe Million Menschen sich gütlich tun; und bei uns, hinter dem schüchternen Portici, in schrecklicher Majestät Vesuv. Ein echter wonneschäumender Becher rundum, dieser große Meerbusen!


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