Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.Die Feuermassen scheinen dies Land der Sonne näherzurücken; es sieht ganz anders als die übrige Welt aus. Gewiß waren alle Planeten ehemals selbst Sonnen und sind nun ausgebrannt, und Neapel ist noch ein Rest jener stolzen Zeiten. Man glaubt in der Venus, im Merkur, einem höhern Planeten zu wohnen. Immerwährender Frühling, Schönheit und Fruchtbarkeit von Meer und Land, und Gesundheit von Wasser und Luft.
Gleich die erste Woche haben wir uns mit der ganzen Gegend und der besondern Art Menschen bekannt gemacht; und den dritten Tag schon waren wir oben auf dem Vulkan und genossen den Anblick der höchsten Gewalt in seinem Krater, die man auf Erdboden schauen kann. Die Risse von unten heraus, trichterförmig, gehen über alle Macht von Wetterschlägen, auffliegenden Pulvertürmen und Einbrüchen stürmenden Meeres. Erdbeben, die Länder bewegen wie Winde Wasserflächen, sind dagegen nur schwache Vorboten. Man glaubt in die Wohnung der Donnerkeile wie ein Schlangennest hineinzusehen, so blitzschnell ist alles aus unergründlicher Tiefe gerissen, von Metall bespritzt und Schwefel beleckt: ein entzückend schaurig Bild allerhöchster Wut.
Sein Gipfel besteht aus lauter Schlacken; dies gibt ihm von fern eine haarichte Riesengestalt. Dann wächst lauter Heide; und dann in der Mitte fangen Gärten und Bäume an.
Der Vesuv ist augenscheinlich ein uralter Berg, dessen Krater einst zusammenstürzte, wovon die Risse noch an der Somma zu sehen sind. Alsdenn hat er sich vom neuen durch viele Ausbrüche wieder aufgetürmt. Vorher war es ein einziger Berg; jetzt mag er nicht so schön mehr sein, aber desto furchtbarer.
Wir sind mehr als einmal oben gewesen, so hat uns dies Schauspiel und die Aussicht ergötzt.
Kapitel 45
Unser Aufenthalt im Garten der Candida hat uns großes Vergnügen gewährt, aber auch viel von unsrer Freiheit benommen und ist Ursach, daß wir früher zurückreisen, als wir wollten. Nebenan bewohnt einen andern die Geliebte des Sohns vom Vizekönig, eine reizende Spanierin, kaum sechszehn bis siebzehn Jahre alt, sogenannte Gräfin von Coimbra. Diese brennt vor Leidenschaft gegen Fiordimonen; und Candida hat sich mit weniger Geschmack, aber besserm Instinkt in mich und meinen jungen Bart vergafft. Beide sind wir so belagert. Coimbra ist eifersüchtig auf mich und Candida auf Fiordimonen, und der Sohn vom Vizekönig ward es endlich auf uns beide und schöpfte Verdacht gegen alle. Die Komödie fing sich damit an.
Wir kauften gleich bei unsrer Ankunft in Neapel eine Laute und Zithar zum Zeitvertreib; und die erste Nacht in Portici hielten wir einen Wechselgesang. Coimbra ward entzückt schon von der Stimme Fiordimonens, die, möcht ich sagen, wie ein Arm so stark aus ihrer Kehle strömt mit aller Geschmeidigkeit und Mannigfaltigkeit, vom leisen Lispel bis zum Sturm und in Läufen von erstaunlichem Umfang, jeder Ton perlenrein und herzig.
Den andern Abend hörten wir ein Lied von unsrer Nachbarin, wozu sie sich auf einem Psalter begleitete. Ihre Stimme ist nur schwach, einfach und von wenig vollen Tönen, aber silbern und süß von Empfindung; was sie sang, war ein Meisterstück spanischer Poesie, und wir haben davon nur die ersten Strophen behalten.
Quando contemplo el cielo
de innumerables luces adornado;
y miro hazia el suelo
de noche rodeado
en sueño y en olvido sepultado:
El amor y la pena
despiertan en mi pecho un ansia ardiente,
despide larga vena
los ojos hechos fuente,
Oloarte, y digo al fin con voz doliente:
»Morada de grandeza
templo de claridad y hermosura,
el alma, que a tua alteza
Naciò, que desventura
la tiene en esta carcel baxa escura? –«29
Der Jüngling war vermutlich bei ihr; denn wir hörten hernach sprechen und seufzen und Stille zu Kuß und Umarmung in der dichten Laube.
Ach, es war in der Tat ein schöner Abend! Kühlender Duft senkte sich nieder und hüllte nach und nach das Gebirg ein, alles wurde verwischt, und Form dämmerte nur unten, indes oben die reinen vollkommnen Sterne blinkten. Wir meinten, wir müßten uns sogleich mit dem Liede der holden Spanierin emporheben und unsre Stelle verlassen. Es ist unten doch alles so Nichts, wenn es nicht von dem klaren himmlischen Licht seine Gestalt empfängt!
Dann ging der stille Mond am wilden dampfenden Vesuv auf; dunkel lag das Meer noch in Schatten und erwartete mit unendlichen leisen plätschernden Schlägen seine Ankunft. Die Menschen kühlen sich ab in den Fluten, machen Chorus und scherzen und genießen weg ihr Dasein.
Es ist entzückend, wie man die Erde mit sich gen Osten unaufhaltbar fortrollen sieht und die ganze Harmonie des Weltalls fühlt!
»Du bist glücklich, Mond«, seufzte Fiordimona; »du läufst deine Bahn ewig fort, dein Schicksal ist entschieden!
Ach Gott, wer wüßte, was das Licht wäre, das so schön leuchtet, und es erkennen könnte! Es ist doch gewiß ein heilig Wesen; und tot ist es nicht, weil es sich so schnell fortbewegt!
O wer in den großen Massen, Himmel und Meer und Mond und Sternen, Frescobaldi, an Deinem liebevollen Herzen immer so schweben könnte! Was dies für eine Ruh und Seligkeit ist! Man atmet so recht aus und schöpft mit jedem Zuge Lust und Erquickung!«
Denke noch zu solchen Wonnelauten, unmittelbar von ihren Quellen, Kuß und Blick und Umarmung der Erhabnen!
Coimbra machte hernach mit uns Bekanntschaft und redt uns zuerst an, als wir einander auf einem Spaziergange begegneten; ein durchaus gefühlig zartes Wesen, worin aber kühne Blitze von Leidenschaften herumkreuzen. Wörtliche Liebeserklärung erfolgte bald, wie Fiordimona sich, zu unerfahrner Jüngling, bei Händedruck und schmachtenden Seufzern und Blicken bezeugte. Fiordimona spielte ihre Rolle trefflich, um sich nicht erkennen geben zu dürfen und Tätlichkeiten bis zu unsrer Fortreise abzuhalten; und wir sind während der Zeit in der ganzen Gegend herumgestrichen und wenig anders zu Hause geblieben, als zu schlafen. Das Quartier wollten wir nur im höchsten Notfall ändern, wegen Anlaß vielleicht zu gefährlichen Auftritten.
Am meisten sind wir zu Bajä, am Pausilipp und einige Tage an der Küste von Sorrento gewesen. Von allen diesen Zaubereien mündlich weitläuftig.
Zu Bajä ist ein Wunder der Natur an dem andern; und in der alten Römer Zeiten war noch dabei ein Wunder der Kunst an dem andern, wovon die herrlichen Ruinen außer den Beschreibungen der Dichter zeugen. Was der Archipelagus sein muß, wo das immerwährende Leben so um unzählbare Inseln herumwallt, wie hier nur um drei oder vier! Glückliche Griechen! wenigstens zwei Drittel bewohnten und bewohnen noch schöne Seeküsten.
Das Grabmal Virgils, an dessen Echtheit man keinen Grund zu zweifeln hat, ist in der Tat ein rührender Winkel, der innerste Punkt des alten Parthenope; der Mittelsitz der Ruhe von der See her, die Spitze des Winkels von der Bucht. Ich wünschte selbst an einem solchen Ort meine Asche; ohne Pomp, still, ein kleines Gemäuer. Es liegt gerad am Pausilipp in der Höhe über der vor alters durchgehauenen Grotte nach Pozzuolo. Die Pinien schienen allemal voll Ehrfurcht sich zu seinem Schatten zu neigen und nur leis zu bewegen, um seinen Schlummer nicht zu stören. Es ist schön, eine solche Stelle zu haben, wo sich die Erinnerungen an einen großen Menschen alle lieblich zusammensammeln!
Das Denkmal an der mit so warmer und heller Empfindung gewählten Stätte ist mit mancherlei Gesträuch bekränzt; Efeu und wilde Weinranken schlingen sich überall herum; und auf der Decke selbst, wo in den vielen Jahrhunderten sich eine Schicht Erdreich festgesetzt hat, grünt es am dichtesten. Ein Lorbeer steigt in der Mitte stolz hervor, der nur nicht lange dauern wird, weil alle Reisenden, Dichter, Prinzen und Damen davon abbrechen, um Anteil an dem Ruhme des Unsterblichen zu haben.
Man genießt hier Neapel und den erfreulichen Meerbusen in einem der schönsten Gesichtspunkte.
Sorrent