Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder


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      Ugolino. Nun?

      Anselmo. Wie ärgert's mich, daß Francesco mir darin zuvorkommen mußte!

      Ugolino. Was schwärmst du, Knabe? Worin zuvorkommen?

      Anselmo. Das zu denken! ach! – In jedem entzückenden gefahrvollen Gedanken läßt er mich hinter sich. Du würdest mich nicht so mit der Miene Knabe nennen: würdest du? Es schmerzt mich, mein Vater!

      Ugolino. Ruggieri, laß deinen Grimm diesen Weg nehmen! (auf sein Herz zeigend) Feind meiner Seele, laß ihn diesen Weg nehmen!

      Anselmo. (erschrocken) Wen nanntest du? Ah, mein Vater!

      Gaddo. Ruggieri? O sieh, sieh, mein Vater! (hält ihm seinen Nacken hin) so hat er mich geschlagen!

      Ugolino. Traurig! jammervoll! wie sie in meiner Seele wütet! o diese Erinnerung!

      Gaddo. Er schlug mich! So hob er seine Hand auf! – Dann schlug er mich. Weder mein Vater, noch meine Mutter haben mich geschlagen. Meine Mutter wollte mich in ihrem Busen verbergen; und der eiserne Erzbischof traf auch sie.

      Ugolino. Und wo war ich bei dieser schändlichen grausamen Szene? Ah, Barbar! das ist es! das schmerzt! Daß deine Büttel mich unter der schwärzesten aller Nächte (verbannt sei sie auf ewig aus meinem Gedächtnisse!) niederdrücken mußten, daß ich nicht um mich her schauen, nicht in dem gerechten Zorne meiner Seele mich erheben, dich nicht zwischen meine ausgestreckten Hände fassen, dir nicht das verruchte Herz aus dem Leibe drücken konnte! Doch du tatst wohl, daß du den Bären aus seiner Höhle entferntest, und Dank sei deiner Weisheit! Beruhigt euch, meine Kinder! Wie ist's, Gaddo?

      Gaddo. Sage mir, mein Vater, warum ward dieses Fenster so klein gemacht?

      Anselmo. Daß man nicht durchschlüpfe, Gaddo.

      Gaddo. Ein glücklicher Einfall! Man hat vorausgesehn, daß der Erzbischof versuchen würde, zu uns zu kommen, und darum hat man das Fenster so klein gemacht. Ein guter Einfall! Ich wunderte mich schon, daß er uns so lange in Ruhe gelassen hat.

      Anselmo. Wollte Gott, er käme!

      Gaddo. Pfui, Anselmo!

      Anselmo. Ich sage noch einmal, wollte Gott, er käme.

      Gaddo. Das Blut starrt mir in den Adern, du böser Anselmo.

      Anselmo. Aber wohl zu verstehn, durch dies kleine Fenster: den Kopf voran, und die übrige Schlange strotzte draußen im Freien, und könnte sich nicht nachwinden! und ich stünde hinter ihm an der Wand! ungesehn! Hei, Gaddo! (umarmt Gaddo)

      Gaddo. Mutwilliger! Er würde seine Büttel mit sich bringen.

      Anselmo. Die möchten wieder heimkehren. Ich wünsche keinem Menschen Arges, als ihm.

      Gaddo. Hat er dich auch geschlagen?

      Anselmo. Was Schlimmers, Gaddo. Er hat mich gehöhnt.

      Gaddo. Gehöhnt?

      Anselmo. Er hob mich auf seine verhaßten Arme, als wäre ich ein Säugling, setzte mir sein Barett auf den Kopf, und nannte mich Prinz von Pisa.

      Gaddo. Prinz von Pisa? Was ist das?

      Anselmo. Merkst du denn nicht, daß er unsers großen Vaters spotten wollte?

      Gaddo. So scheint's. Und du?

      Anselmo. Ich zitterte. »Bischof!« stammelte ich, »Bischof! warum? wie? für was diese Krönung? Ich mache keine Ansprüche darauf, Bischof. Ich lege das Diadema – zu deinen Füßen.« – Weg flog das Barett.

      Gaddo. Gut war's, daß du das Barett nicht behieltest. Wer weiß, es könnt ihn gereut haben; und so hätt er dich auch geschlagen.

      Ugolino. Ihr Kinder macht mich lächeln. Wie, mein kleiner Freund, du warfst ihm das Barett vor die Füße? Was sagte der Mann da?

      Anselmo. Seine plumpen Augen schwollen ihm ganz dick im Kopf auf, recht so, wie ich's an der Kröte gesehen habe, die Francesco mit dem Wurf einer Orange traf. Er preßte mich fest an sich, kniff blaue Mäler in meinen Arm, biß die Lippen zusammen, und ließ sie dann hangen, sprach kein Wörtchen, nahm das Barett langsam vom Boden auf. Traun, er kam mir so hölzern vor, daß ich ihn im Bücken von mir stieß, und mit einem Schwünge seinen Armen entsprang.

      Gaddo. Was für boshafte Menschen es gibt! Er kniff dich doch, ob du ihm gleich das Barett zurückgabst!

      Anselmo. Nun fand er die Sprache. Er rief seinen Sbirren, mich den Buben (so schalt seine Wut) meinem Vater (ich verschweige den Namen seiner Vergiftung: was über seine Zunge geht, wird ein Greuel) –

      Ugolino. Er hat keine andre Waffen.

      Anselmo. – nachzuschleppen, mich aus dem Drachenneste hinweg in den Thurmkerker zu schleppen. »Ich danke dir«, antwortete ich mit einer Verbeugung, »ein Drachennest ward diese Wohnung erst, da du sie mit deiner Brut betratst.« Ich wollte mehr sagen: die Sklaven aber bebten, wie Totengeribbe, mit mir davon. Nun bin ich hier; drum sei nicht traurig, mein Vater.

      Ugolino. Ach, Anselmo, du süßer Knabe, kannst du –

      Anselmo. Du wendest deine teuren Augen von mir weg, mein Vater?

      Ugolino. Kannst du – und du, mein sanfter Gaddo – könnt ihr mir vergeben, meine Kinder?

      Anselmo. (zu Gaddo) Unser Vater ist wunderbar bewegt. Wie er mir die Hand drückt!

      Ugolino. Nur dies noch. – Ihr Unschuldigen, vergebt mir!

      Gaddo. Ach! er zürnt, unser Vater. Was mag er meinen?

      Anselmo. Er riß sich mit Gewalt von uns los. Er wollte noch etwas sagen; ich sah's; er zwang die Sprache zurück in seine männliche Brust; eine hohle dumpfigte Sprache, wie eines Schluchzenden –

      Gaddo. (weinend) Ah!

      Anselmo. Fürchterlich!

      Gaddo. Erblasse nicht so, Anselmo! Du erschreckst mich nur mehr.

      Anselmo. Er wendet sich zu uns. Holdseliger Vater! wie er uns anlächelt!

      Ugolino. (setzt sich) Komm her, mein Gaddo – wenn die Entkräftung dir noch so viel Schritte erlaubt – geliebtes Kind – (Hebt ihn auf seinen Schoß)

      Gaddo. Ich? ich sollte entkräftet sein? (seines Vaters Hände küssend)

      Anselmo. Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem Antlitze aus; das ist gewiß.

      Ugolino. Wie alt bist du, Gaddo? weißt du's?

      Gaddo. Zwölf Jahre, wo mir recht ist.

      Anselmo. Einfältiger Gaddo! kaum sechs.

      Ugolino. Laß ihn, Anselmo. Jammer und Elend haben seinen kleinen Lebenslauf schnell beflügelt. Er zählt besser als du glaubst.

      Anselmo. Wie, mein Vater? Ich selbst bin wenig über zwölf Jahre alt. Ich müßte doch drum wissen.

      Ugolino. Wahr ist's. Deine reifern Tage haben viel Freude gekannt. O du liebesvolle Genügsamkeit! Du hassest Ruggieri, sagst du? sprich nicht, daß du ihn hassest.

      Anselmo. Ihn? Er ist mir ein Grauen! dir nicht, Gaddo? Hassest du ihn nicht? Sprich.

      Gaddo. Ich fürcht ihn, Anselmo. Daß ich ihn hasse, kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, was das ist.

      Ugolino. Gaddo liebt mich.

      Anselmo. Nicht mehr, als ich dich liebe; nicht mehr als ich deinetwegen Ruggieri hasse!

      Ugolino. Meinetwegen?

      Anselmo. Deinetwegen: deiner zerstörten Glückseligkeit wegen, du Befreier von Pisa! laß mich dich dies erstemal mit diesem Namen nennen, großer Mann! Aber auch meiner Mutter wegen; ihrer vielen Tränen wegen! Aber auch Gaddos wegen! sollt ich den Feind deiner Ehre, den Urheber deines Verderbens nicht hassen? Mein Vater, so müßt ich mich selbst hassen; vergib mir.

      Ugolino. Nicht weiter! nicht weiter grausamer junger Mensch. Du bis schwerer zu ertragen, als ein unruhiges


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