Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.Poeſie und Proſe des guten Verſtandes, ohnſtreitig die beſte Sprache iſt.
Heilmann, der Ueberſezzer des Thucydides, der gewiß ſeinen Autor, und die Kunſt zu uͤberſezzen gekannt hat: ſcheint die Biegſamkeit der Deutſchen Sprache nicht genug in ſeiner Gewalt gehabt zu haben, um ſie mit der Griechiſchen zuſammen zu paſſen. Jndeſſen hat freilich dieſer Baumgartenſche Philolog noch ziemlich ſeinen Mann gewaͤhlt, da er uns den koͤrnichten Thucydides liefert, deſſen Schreibart er uns mit Meiſterzuͤgen geſchildert hat: 19
„Man ſiehet uͤberall die Miene des großen, „des vornehmen Mannes, der als ein Staatsmann ſchreibt, der aber auch nur fuͤr Staatsleute ſchreiben will; der nichts weniger im „Sinne hat, als ein klaßiſcher Schriftſteller „zu werden, aus welchem einmal kuͤnftig Redner Beiſpiele zu ihren Vorſchriften ſammlen ſollten. Er ſiehet alſo uͤberall nur auf „die Wuͤrde in den Gedanken, und auf den „Adel im Ausdruck. Er faſſet jene kurz und „buͤndig, und in dieſem ſucht er ſich beſtaͤndig von dem gemeinen zu entfernen. Er „hatte in ſeiner Jugend ohnfehlbar die Grundſaͤzze der Beredſamkeit gefaſſet; allein er behielt ſie hernach, um ſie zu brauchen, und „nicht ſich daran zu binden. — Er iſt ein „Schriftſteller, der aus den Gedanken alles, „und aus dem Ausdruck nur ſo viel macht, „als zu jenen noͤthig iſt; der ſeine Jdeen genau und buͤndig faſſet und ſie durchaus ſo, wie „er ſie gefaſſet, ausdrucken will: und hiernach „muͤſſen ſich Ausdruck, Saͤtze, und deren Verbindungen, Perioden und deren Beziehungen „und alles richten. — Seine Schreibund „Denkungsart iſt im hoͤchſten Grade Pathetiſch. „Er iſt ſeiner Sprache vollkommen kundig, „das Bluͤhende, das er durch den Reichthum „des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet, „haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der „nachdruͤcklichſten Woͤrter, und durch die Energiſche Beugung und Verbindung derſelben „zu erhalten; und er iſt dreuſt genug, dergleichen zu machen, wo er es nicht vor ſich „findet. Aus dieſen Stuͤcken zuſammengenommen erwaͤchſt eine Schreibart, die in „Anſehung ganzer Ausſpruͤche, ſchwer, gedrungen und in einander gewunden, in Anſehung der Wortfuͤgungen ſonderbar und oft „unregelmaͤßig, in Anſehung des Ausdrucks „ſehr fruchtbar, aber auch neu und ungewoͤhnlich iſt. Er iſt der Schoͤpfer ſeiner „ganzen Schreibart. Dieſes erhellet daraus „am deutlichſten, daß ſich das beſondre darinn nirgends mehr zeigt, als in ſolchen Stellen, worinn er blos ſelbſt denkt, in ſeinen „Reden und eingemiſchten Betrachtungen. „Hier ſind die Perioden oft von ungewoͤhnlicher Laͤnge; denn er ſchließt nicht eher, bis „ſeine Reihe von Gedanken zu Ende iſt. Hier „ſind die Wortfuͤgungen ſehr verſteckt, und „durch haͤufige Einſchaltungen unterbrochen; „denn er will jeden Begrif durchaus an dem „Orte, in dem Verhaͤltniſſe ausdrucken, wo „er ſich in dem zuſammengeſezten Bilde ſeiner Jdeen befindet; hier ſind die einzelnen „Ausdruͤcke von der gewoͤhnlichen Bedeutung „und Gebrauch entfernt, weil das Gewoͤhnliche das Ebenmaas ſeiner Begriffe nicht „genau ausdruͤckte, und eine Umſchreibung „ihm zu langweilig duͤnkte.„ — So karakteriſiret Heilmann des Thucydides Schreibart — und vielleicht die ſeinige ſelbſt mit, ſo wie er ſie durch dieſe Ueberſezzung und das Leſen der Baumgartenſchen Schriften gebildet hatte. Wie ſticht dieſe Schilderung ab, gegen die, ſo Geddes vom Thucydides macht: er als ein Schulmeiſter, und Heilmann als ein Mann von Geſchmack. Schade fuͤr die Deutſche Litteratur, daß Heilmann ihr ſo fruͤh entriſſen worden.
GriechiſcheUeberſezzer von ſolchem Geſchmack finden ſich ſelten; und ſie ſollten ſich doch finden, weil der Deutſche hiſtoriſche Stil am meiſten durch die Griechen gebildet werden kann. Und dieſer muß vorzuͤglich gebildet werden: „denn eine Sprache, die wenig Unterſchied „in den Zeiten angiebt, die wenig ohne Huͤlfswoͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern ſezzen, und wenig Aenderung in „der Reihe der Worte anbringen kann; eine „ſolche Sprache iſt nicht ſonderlich geſchickt „zur Geſchichte; und hier muß man ihr alſo die „groͤßte Huͤlfe geben. 20, Und ſo iſt die Deutſche.
„Ferner! 21 Die groſſe Manier im Dialogiren ſollen wir auch zu erreichen ſtreben, die wir an den Alten bewundern? „Sie wuſten einen Diſcurs mit vieler Geſchicklichkeit, aber doch natuͤrlich herbeizufuͤhren, die Materie unter die unterredende Perſonen gluͤcklich zu vertheilen, jede Perſon karaktergemaͤß denken, und gelegentlich ſprechen zu laſſen, und gleichwohl war „ihr Augenmerk auf das Ganze mit gerichtet. Die Einheit des Endzweckes fuͤgte die mannichfaltige Theile ſo gluͤcklich an „einander, daß man dem Faden der Unterredung ohne Verwirrung folgen, und den „Weg, den man zuruͤckgelegt, ganz uͤberſehen konnte. Sokrates hatte ſeine eigene „Weiſe. Er wuſte ſeinen Gegner durch „geſchickte Umwege dahin zu locken, wo er „ihn haben wollte; und wenn ein Mißtrauen „entſtand, ſo erlaubte er ihm zuruͤck zu „kehren, und wenn er es noͤthig findet, ſich „beſſer vorzuſehen. Seine groͤßte Kunſt aber „ſezte er daran, die wichtigen Lehren, davon „er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile „aufzuloͤſen, ſo wie man die harten Speiſen „zerhackt, um ſie fuͤr ſchwaͤchliche Magen „etwas verdaulicher zu machen. Er fieng „ſodann von dem Bekannteſten an, das „ſein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konnte, lockte ihm ein Geſtaͤndniß nach dem andern ab, und ganz unvermerkt befand er „ſich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein gemeines Talent dazu, ſich dieſe Manier eigen zu machen, und ſelbſt einem Cicero iſt „ſie nicht ſonderlich gelungen.„ Freilich gehoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen Shaftesburi, der ſie vom Plato ziemlich abgelernet, ſo wie er ſelbſt wieder der Lehrer des Diderot zu ſeyn ſcheint. Warum wollen wir aber nicht aus der Quelle ſelbſt ſchoͤpfen, da dieſe Art zu dialogiren der Sprache ſelbſt viele Biegſamkeit, Abwechſelung und Munterkeit ertheilt? Unter den Deutſchen bat ſie Leßing vorzuͤglich in ſeiner Gewalt: ſowohl in den Luſtſpielen, als der Fabel.
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Und nun die Ueberſezzer aus dem Lateiniſchen! Eine nuͤtzliche Bemerkung ſchreibe ich her, 22 uͤber die Verſchiedenheit des Lateiniſchen und Deutſchen Perioden.
„Jm Deutſchen iſt ein Stil ſchon Periodiſch, wenn auch die Bindewoͤrter der Lateiner nicht ſo genau dazwiſchen geſtellet, „und die Abſaͤzze ſo an einander gekettet ſind. „Die Roͤmer muſten dieſes, wegen der Kuͤrze „ihrer Worte thun, wenn ſie nicht in den „abgeſchnittenen Stil verfallen wollten. Ohne Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Participien, fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einander, daß immer ein Satz in wenigen Worten „da ſtand. Weil die Seele alſo wenige Zeichen zu faſſen hatte: ſo konnten auch die „folgenden Begriffe eher angehaͤngt werden, „wenn nicht die Wichtigkeit der Betrachtung „den Autor zwang, lieber dem Geiſte viel „Ruheplaͤzze zu verſchaffen, als das Ohr zu „fuͤllen. Jm Deutſchen aber, welcher Un„terſchied! wenn wir die Perioden nicht „ſchleppen wollen, muͤſſen wir ſie mannichmal trennen, und wenn wir nicht ganz zuruͤckbleiben wollen, muͤſſen wir unſrer Sprache Huͤlfe geben. Es iſt wahr! es iſt dem „Ueberſezzer nicht erlaubt, den alten Roͤmer „zum witzigen Franzoſen zu machen, und „ſeine Lehren in Antitheſen zu verwandeln; „allein ſeine Lebhaftigkeit muß er ihm erhalten. Wir ſind nicht ſo albern, daß wir „einem Tullius, wenn er unter uns aufſtehen „koͤnnte, nicht anders als friſert zu erſcheinen „erlaubten: aber ſeinen muntern Blick und „ſein os rotundum wollten wir auch nicht „gerne entbehren. Jndeſſen iſt der Unterſchied zwiſchen dem Lateiniſchen und Deutſchen Perioden ein neuer Grund, warum die „Bekanntſchaft mit den Griechen, und auch „die Ueberſezzungen aus ihnen, faſt noch mehr „anzurathen ſind, als die Uebungen mit den „Lateinern. Kann