Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.viele Kaͤnntniß des Antiken und Deutſchen Wohlklanges zu haben ſcheint: von wem ſollen wir uns einen Deutſchen Horaz lieber wuͤnſchen, als von ihm? Horaz iſt ſeiner Sprache ganz Meiſter. Sein Periode wird ein Gemaͤlde, wo jedes Wort, jedes triftige Beiwort, an denen er gluͤcklich iſt, eine Figur ausmachet: die Anordnung dieſer Figuren erhebet dabei das ganze Gemaͤlde: man verſuche es, Woͤrter aus ihrer Stelle, aus ihrer Region zu ruͤcken, und das Bild leidet allemal: dies iſt ein Odendichter, der in jedes Wort Bedeutung legt. Jn der That, es kommt mir vor, daß Horaz den Griechen das meiſte unter den Lateiniſchen Dichtern abgelernt: ſeine Freiheit in Bildung ſchoͤner Graͤciſmen, und ſein wirklich Griechiſcher Wohlklang wuͤrden uns in der ſchwerſten Gattung der Gedichte zeigen koͤnnen, wie man eine andere Sprache nachzuahmen haͤtte, wenn nicht Alcaͤus und Sappho und die uͤbrigen Lyriſchen Griechen verlohren waͤren.
Die hiſtoriſche Ueberſezzungen waͤren wieder fuͤr unſern Stil unentbehrlich. „Der „hiſtoriſche Stil will Kuͤrze, und uns mangeln viele Participien; er fodert Sprachnaivitaͤten, und das Deutſche giebt ſie nicht. „Mit wie vielem Reize brauchen nicht die „Lateiner ihre Jnfinitiven, wenn wir uns immerfort mit unſerm Imperfecto ſchleppen „muͤſſen: Ille hoſtem aggredi &c. Die „Franzoſen haben dies in ihre Sprache uͤbertragen. Unſre Huͤlfswoͤrter, die wir zur „Bildung des Perfecti brauchen, machen „den Stil zu weitſchweifig. Die Franzoſen „haben ihr erzaͤhlendes Perfectum; wir unſer Imperfectum, aber ſie haben es ja auch. „Folglich kommen wir immer zu kurz. Jn „einem Stil, der durch wenig Zierrathen „abgewechſelt wird, wo die Perioden nicht „gedehnt, und durch praͤchtige Worte vollgeſtopft werden, kommt unendlich viel auf „ſolche Abaͤnderungen an. Hier muͤſſen wir „unſerer Sprache zu helfen ſuchen, und wenn „ſie uns ihre Huͤlfe entzieht, doch Wendungen ausdenken, dadurch dieſer Mangel erſezzt wird. 23„ — Jn dieſem Geſichtspunkt — wie manche Vorzuͤge um das Vergnuͤgen im Leſen, um das Deutſche Ohr, und die Deutſche Sprache, hat nicht der Magdeburgiſche Ueberſezzer des Tacitus vor dem Hamburger.
Und Tacitus iſt mehr fuͤr unſre Zeiten ein Muſter, als Livius. Jn ſeinem Geiſt der Erzaͤhlung? gewiß: denn die ſorgfaͤltigen Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen gehoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geſchichte, die ihre Religion unterſtuͤzzen ſollte: die vielen eingeſtreueten Reden ſchmecken auch nach dem Geiſt der damaligen Zeit, wo Beredſamkeit eine nothwendige Eigenſchaft des Buͤrgers war: die enthuſiaſtiſchen Wunder der Tapferkeit von Perſonen beiderlei Geſchlechts, belebten einen Roͤmer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unſrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hingegen Tacitus mit ſeinen Reflexionen, die in den Geiſt der Begebenheiten dringen, iſt ein Geſchichtſchreiber fuͤr Deutſche. Und in ſeinem Stil auch mehr, als jener. 24 „Der „Stil kann durch die verſchiednen Zeiten auch „beſtimmt werden. Dies iſt eine Anmerkung, die ich dem Gordon aus ſeinen Betrachtungen uͤber den Tacitus abborge. „Einige Zeiten koͤnnen eine ſtarke braune Farbe uͤber die meiſten Gemaͤlde verbreiten, „wenn andre Zeiten ein hoͤherés und brennenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt „daraus den Unterſchied zwiſchen dem Stil „des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde „ſich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der „Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤhern duͤrfen. Unſre Sprache, die ohnehin „viel weitſchweifiger iſt, als die Lateiniſche, „fodert dies mit deſto ſtaͤrkerm Rechte. Man „hat den hiſtoriſchen Stil mit einem ſanften „Bach verglichen, der ohne Geraͤuſch ſeinen „gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß „nur dabei bedenken, daß dieſer Bach immer „ſeine gehoͤrige Tiefe behalten muß; weil ſich „ſonſt das Auge nicht mehr an der Durchforſchung vergnuͤgt, und alſo keine Schoͤnheiten mehr findet.„ Ueberhaupt kleidet auch eine Nachdrucksvolle Schreibart die Deutſchen am beſten. Die Points; die Epigrammatiſche Einfaͤlle; die Wendungen, und der blendende Witz des Seneka und Plinius, ſind mehr fuͤr die Franzoſen; und ein Beaumelle, der in mes penſées ſo gluͤcklich iſt, kann auch Penſées de Seneque ſchreiben.
11.
„Geſellen Sie nun zu dieſen Alten noch einige neuere Auslaͤnder; deren Genie bewaͤhrt, „und deren Sprache mit der unſrigen verwandt iſt: was wuͤrden wir nicht unſern „Ueberſezzern zu verdanken haben?„ Dieſe neuere Auslaͤnder ſind ohne Zweifel Franzoſen und Englaͤnder, zwiſchen welchen der Deutſche in der Mitte ſteht.
So wie die Franzoſen vormals von der Litteratur unſrer Nation urtheilten: ſo urtheilten ſie auch von unſrer Sprache; ich darf die unwiſſende Urtheile des Mauvillon und ſo vieler andern nicht wiederholen; ſie laſſen uns jetzt mehr Gerechtigkeit wiederfahren, ſeitdem das Journal étranger unſerm Stil, Premontval und andere ſogar unſerer Sprache haben Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Dem ohngeachtet aber macht die wirklich zu große Verſchiedenheit der Nationen, ihrer Denk und Schreibart, ihrer Sitten und Sprache bei ihnen noch immer Jrrungen, die wir ihren mindern Kaͤnntniſſen zuzuſchreiben haben.
„Deutſches Ohr, Deutſche Haͤrte, „Deutſche Rauhigkeit! heißt es noch immer! „Unſere Sprache ſoll etwas barbariſches „an ſich haben: ſo wohl wegen der vielen „Conſonanten, mit denen ſie uͤberhaͤuft iſt, „als wegen der ſonderbaren (biſarren) Conſtruktion ihrer Redensarten, die dem Schriftſteller keines Weges mehr Freiheit, oder „mehr Huͤlfsmittel gibt, ſondern nur ohne „Noth die Metaphyſiſche Ordnung der Worte ſtoͤret.„ Wir wollen dieſe Stelle etwas beherzigen.
Unſere Sprache hat wegen der Conſonanten etwas barbariſches an ſich:)25 und die Franzoͤſiſche wegen der oͤftern Eliſionen, wegen der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb verſchluckt werden, wegen der laufenden Ausſprache, keinen gewiſſen Tritt. Aber das erhebt ja nicht unſre Sprache, wenn die andre an einer andern Seite leidet? Nein! aber die unſere leidet darinn nicht ſo, wie ein Franzoſe glaubt. Damit unſre Laute ſich nicht unter den Conſonanten verlieren moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und ſtaͤrkere Vokale, als ſie: ſo daß unſre Sprache eine gewiſſe Doriſche Fuͤlle bekommt, die in ſtarken Monologen des Trauerſpiels, in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnnlichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber im ernſthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤcklichen Betrachtungen ſich unſerm Charakter ſehr anſchmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur dieſe Doriſche Rauhigkeit ſo viel Einfluß in das Jnnere unſerer Sprache haben, als die Doriſche Haͤrte deſto vollere Schoͤnheiten in die Oden des Pindars, und in die Aeoliſche Schriftſteller hat einweben koͤnnen: ſo wollten wir zu den Franzoſen laut ſagen, was wir ſeit kurzem haben anfangen koͤnnen zu ſagen: Jhr ſagt! meine Sprache ſchaͤnde mich! ſehet zu, daß ihr nicht die eurige ſchaͤndet: wie einſt der Koͤnigl. Scythe Anacharſis, gegen die Griechen ſein Vaterland vertheidigte.
Zweitens: wir haben mehr Hauche in unſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: ſie empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſprechen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer ausſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤlkern das Schibolet iſt, woran man kennen kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: da die Letten z. E. Jmmel und Eute (ſtatt Himmel und Heute) ausſprechen. — Das H iſt uͤberhaupt die Graͤnze zwiſchen Laut und Mitlauter: es gibt, nach Gellius Bemerkung, dem Worte Haltung, und dem Schalle Munterkeit: es nimmt dem Vokal etwas vom Laute, und gibt dem Mitlauter etwas dazu: es verhindert die gar zu große Oeffnung des Mundes bei den Vokalen, und die Zerrung bei den Conſonanten: daher die Griechen, die die Hauche (Spiritus) bei ihrer Sprache ſo ſehr brauchten, um inſonderheit