Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.seyn sollen, (nach Hrn. Leßings Erklärung, was ist diese Wolke, diese Poetische Redensart anders, als eine solche Wortblume?) Homer wird auf solchem Wege einer der nüchternen Dichter unsrer Zeiten, die Prosaisch denken, und Poetisch sprechen, deren gradus ad Parnassum die Zauberkammer ist, ihre Gedanken der Prose in eine Sprache des Dichters, in Poetische Redarten zu verwandeln. Bei solchen mag alsdenn eine prosaisirende Schulexposition Statt finden: »er ward mit einer Wolke bedeckt, das ist: er ward aus den Augen des Feindes weggebracht: Achill stieß dreimal nach dem dicken Nebel: das ist: er war so wütend, daß er noch nicht merkte, sein Feind sey weg.« Was käme aber heraus, wenn man so bei Homer läse, und auch seine Götter, ihren Himmel, ihre Geräthe u.s.w. durch ein solches, das ist: prosaisirte, und alles zu Poetischen Phrasibus machte.
Nein! Homer weiß von Redarten nichts, die nichts als solche wären. Der Nebel, in den die Götter hüllen, ist bei ihm wirklicher Nebel, eine verhüllende Wolke, die mit zum Wunderbaren seiner Fiktion, mit zum Epischen μνϑος seiner Götter gehört. So lange er mich in dieser Poetischen Welt, in welcher Götter und Helden kämpfen, wie bezaubert, vest hält: so lange mich seine Minerva durch diese wunderbaren und schrecklichen Auftritte führt, und mir die Augen erhöht hat, nicht blos streitende Menschen, sondern auch kämpfende und verwundete Götter zu erblicken; so lange sehe ich auch diesen Nebel eben so gläubig, als den Gott selbst, der die Wolke um seinen Liebling webt. Beide, der Gott und seine Wolke, haben ein gleich Poetisches Wesen; wenn ich das eine prosaisire, muß auch hinter den andern ein Grammatisches das ist kommen, und dann verliere ich die ganze Mythische Schöpfung in Homer. Ich bin nicht mehr in dem Epischen Treffen eines Dichters; sondern in einer Historischen Feldschlacht: ich lese nach der Taktik: ich sehe nach dem gewöhnlichen Augenmaaße.
Hr. L. scheint darnach gesehen zu haben; wenigstens überredet er uns, darnach sehen zu können.9 »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht, und das ganze Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand auch nicht in dem Nebel – sondern in der schnellen Entrückung. Nur um zugleich mit anzuzeigen, daß die Entrückung so schnell geschehen, daß kein menschliches Auge dem entrückten Körper nachfolgen können, hüllet ihn der Dichter vorher in Nebel ein; nicht weil man anstatt des entrückten Körpers einen Nebel gesehen, sondern weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« Welche Unterscheidungen! welche Amphibolien! »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht.« Ja! der Poetische Held sahe ihn, und dreimal stieß er noch mit seinem Spieße nach dem Nebel. »Das Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand in der schnellen Entrückung!« Wunderbar! wo ich mir schon wirksame Götter, eine wunderbare Entrückung denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scrupler, am Nebel abdingen zu wollen? »Nur weil die Entrückung schnell vorgieng, hüllt ihn der Dichter ein; nicht, weil man einen Nebel gesehen, sondern, weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« So! und deßwegen stößt Achilles dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel sahe, sondern, weil er das, was in einem Nebel ist, sich als unsichtbar dachte! O der Homemerische Don-Quixote! o der Cervantische Homer!
»Neptun verfinstert die Augen Achilles; in der That aber sind des Achilles Augen nicht verfinstert, sondern – –« Was man uns doch sagen will! Neptun gießt dem Achilles Dunkel um die Augen, er rückt Aeneas fort: er hat ihn in Sicherheit gebracht, ihn ermahnt, nicht wider Achilles zu streiten, ihn verlassen – nun muß er erst zurück kommen, um dem Achilles den Nebel von seinen Augen zu nehmen,10 und Achilles – hat keinen Nebel vor Augen gehabt! es ist nur so so gesagt, daß seine Augen verdunkelt worden? – – Achilles bekommt das Licht seiner Augen wieder, er erseufzet, er stutzt über das Wunder: er sieht den Spieß auf der Erde, den Mann hinweg! er erstaunt, er spricht mit sich, mit seiner großen Seele, muthmaaßet auf die Götter – – »Wie? wird ein Homerischer Orthodox sagen, ist es nicht ein sträflicher Unglaube, an dem Nebel der Götter zu zweifeln, wenn man ein so augenscheinliches Wunder der Verblendung, eine so feierliche Scene sieht! Wer Homerische Götter glaubt, muß auch die Wolke ihrer Hand glauben!« – –
Die Wolkendogmatik der Griechischen Götter muß Hrn. Leßing anders bekannt seyn, als mir: denn er fährt fort, Dinge zu behaupten, die wider alle schöne Sichtbarkeit Homerischer Erscheinungen laufen. »Unsichtbar seyn, sagt er, ist der natürliche Zustand der Götter Homers; es bedarf keiner Blendung, keiner Abschneidung der Lichtstralen, daß sie nicht gesehen werden; sondern es bedarf einer Erleuchtung, einer Erhöhung des sterblichen Gesichts, wenn sie gesehen werden sollen. Zwar läßt Homer auch Gottheiten sich dann und wann in eine Wolke hüllen, aber nur alsdenn, wenn sie von andern Gottheiten nicht wollen gesehen werden.«11 Folgendes wird zeigen, daß Hr. L. in seiner Wolkentheorie der Griechischen Götter – – ein Ketzer sey.
»Unsichtbar seyn, ist der natürliche Zustand der Götter;« wie kommt es denn, wenn ich fragen darf, daß Götter wider Willen können gesehen werden? daß man sie unvermuthet überraschen darf, wenn sie nicht gesehen seyn wollen? Es war ein Glaubensartikel bei den Griechen, daß nichts gefährlicher sey, als ein solcher überraschender Anblick,12 und mancher unglücklicher Unschuldige hatte darüber ein Opfer werden müssen. Pallas, die keuscheste der Göttinnen, die vor Keuschheit sich selbst kaum nackt zu sehen wagte, die wohl am mindesten unter allen Göttinnen jene falsche Jungfernscheu besaß, sich zu verstecken, und doch wollen gesehnt zu werden, diese jungfräuliche Pallas wählet sich den sichersten, den geheimsten Ort, um ihre Gorgone abzulegen: sie badet sich, und ein eben so ehrlicher Tiresias überrascht sie, siehet sie wider seinen Willen, erblindet. Indessen um den Unschuldigen einiger Maaßen schadlos zu halten, giebt Pallas – ihm nicht das Gesicht wieder; denn dieß ließ ihre Jungfräulichkeit nicht zu; sondern die Gabe der Weissagung. Wie hätte Pallas wider ihren und Tiresias Willen überraschet werden können, wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre?«
Wie der Pallas: so gieng es auch der badenden keuschen Diana. Kalydon sah sie, ebenfalls wider seinen und der Göttin Willen, und ward zu Steine. So gieng es selbst dem Jupiter, da er in seinem liebsten Vergnügen einmal seine Wolke vergessen hatte. Er ward, da er bei der Rhea schlief, von Haliakmon, wider Willen seiner, und seiner geliebten Beischläferin, und seines Ueberraschers, in seiner Schäferstunde gestört – wie das? wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre.«
Ich will solche gestörte Schäferstunden der Götter und Göttinnen nicht aufzälen. Meine Muse ist diesmal nicht so, wie die Schwester des Amors, die
– – wie die Mädchen alle thun,
Verliebte gern beschleichet. –
Ich führe, statt aller, das Epigramm aus der Anthologie13 an, in seinem einfältigen Scherze, in seiner naiven Schalkheit: »Werde ja niemand in meinen Wassern eine der Najaden, oder die Venus mit ihren Gratien nackt gewahr: selbst wenn es ohne Vorsatz seyn sollte; denn immer ist nach Homers Ausspruche der offenbare Anblick der Götter gefährlich, und wer darf Homer widersprechen?« Um die verborgne Schalkheit einzusehen, die in diesem Epigramm liegt, merke man sich den Doppelsinn, der in dem Worte »offenbarer Anblick« liegt; der Epigrammatist meint nackt; Homer meint »ohne fremde Einkleidung, wie die Götter sind.« Die Stelle Homers bestätigt also unsere Meinung: und scheint gar ein Axiom in der Griechischen Mythologie geworden zu seyn.
Juno nämlich, die dem Achilles zu Hülfe will, macht den Lehrspruch:14 daß, wenn Achilles einen Gott gegen sich sehen würde: so müßte er erschrecken: denn »fürchterlich ist der Anblick der Götter, wenn sie offenbar, (wenn sie ohne Menschliche Einhüllung) erscheinen. Wie ist unsichtbar seyn also ihr natürlicher Zustand?
Nach diesem Axiom scheint Homer in seiner ganzen Götterdichtung zu verfahren. Sind die Götter unter sich, so sind sie auch unter sich sichtbar; sollen sie aber unter Menschen wirken – unerkannt oder erkannt, darnach richtet sich das Schema ihrer Erscheinung. Phöbus Apollo15