Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Читать онлайн книгу.Homer sei Zeuge: sein Jupiter, sein Neptun, seine Minerve mögen so groß seyn, als sie wollen; eine Juno von königlicher Schönheit schon nicht völlig so. Sie mag so viel Großes in ihrem Anblicke haben, daß er sie Kuhäugicht4 nenne; so viel Erhabenes in ihrem Gliederbaue, als dem Weibe gebührt, das in Jupiters Armen ruhet: sie mag, wenn sie sich zornig auf ihrem himmlischen Throne reget, den großen Olymp erschüttern5 – Ideen von ihrer Hoheit und Größe! Nur daß diese im eigentlichen Verstande mir nicht zuerst durch die körperliche Statur vorgestellt werde: daß sich nicht auf diese, als auf den Hauptanblick, mein Auge heften dörfe: sonst verliere ich die Königin der Götter, die herrlichste der Göttinnen aus den Augen: ich sehe ein Riesenweib. Wo hat sie alsdenn, die Langstreckige? wo hat sie alsdenn im Himmel Raum? wie groß muß ihr himmlisches Brautgemach6 seyn, das ihr Vulkan erbauet? wie groß der Schlüssel und das Schloß zu diesem Gemache,7 das kein Gott eröfnen kann, als sie? wie viel Centner Ambrosia wird sie brauchen, um ihren Körper8 zu säubern? wie viel Tonnen Oel, um ihn zu salben? wie groß wirb ihr Kamm, ihr Gürtel, ihr Schmuck seyn? wo wird sie mit Jupiter auf dem Berge Ida in ihrer süßen Umarmung9 Raum haben? wie, wenn er sie in seine Arme faßt, an seine königliche Brust drückt, wie wird Ida und die Erde beben? – – Ich mag nicht weiter, gnug! alles Süße und Große in dem Gemälde Homers von ihrer Ankleidung, Auszierung, und Umarmung10, verschwindet mit der unermäßlichen Gestalt. So bald auch nur mit einem Einigen känntlichen Zuge die Gigantische Statur zum Hauptaugenmerke würde: so schwinden die Gränzen der Schönheit, oder wenn man lieber will, der höchsten Vollkommenheit im weiblichen Gliederbaue. Mein Auge erliegt, wenn es ins Ungeheure soll, und die Bewunderung, die ich jetzt fühle, verwandet sich in eine Art von grauenvollem Selbstgefühle, und Schauder und Ekel. Hat Homer nicht also gut gethan, daß er »seiner Göttin nicht so offenbar eine körperliche Größe gab, die alle natürliche Maaße weit überstiege.«
Bei seiner Venus wäre diese noch von üblerer Wirkung. Wenn sie ihm die das süße Lachen liebende Göttin11 ist: wo bleibt das süße Lachen im Riesengesichte eines Weibes? Der Mund möge sich auch nur zum Lächeln verziehen wollen: die Lippen sich auch nur von fern dazu regen; der sich verziehende Mund dünkt mich Verzerrung, das sich meldende Lachen wird Grimasse, und das ausbrechende Lachen ungeheures Gelächter. Und wie ungereimt dünkt mich als denn diese Riesengestalt, wenn sie über eine Ritzung ihrer Haut am Finger schreiet, klaget, weinet, und den ganzen Himmel erreget!
Kurz! wo Größe und Stärke nicht das Hauptstück im Charakter einer Gottheit ausmacht, da ist die übermenschliche Natur auch nicht ein nothwendiges Augenmerk. Wo der Charakter der Gottheit damit aber gar nicht bestehen kann, z.E. die höchste Vollkommenheit eines weiblichen Gliederbaues in der Juno, und die liebreizendste Schönheit in der Tochter Dionens: da bleibe sie unsern Augen weg. Diese können, als Menschliche Augen, das Ideal der hohen sowohl als der lieblichen Schönheit eines Menschlich scheinenden Körpers, nicht anders, als mit natürlichem Maaße bestimmen: zwar mit dem Unterschiede, daß in der Malerei dich Maaß in den Gränzen der Kunst bleibt, in der Poesie aber sich zu der Stuffe erheben kann, die für die Phantasie des Menschen die höchste ist; daß aber auch dies Höchste für die Phantasie überschaulich, in seinem natürlichen Maaße bleibe. Geht dies Anschauliche Ganze verloren, übersteigt die Statur der Juno und Venus, auch nur in einer Linie, die Größe, in welcher ich mir körperliche Vollkommenheit und Schönheit gedenke: so hat der Dichter seinen Eindruck verfehlt. Nach einmal angenommenem Charakter, läßt sich nicht, wie er will, den Göttern eine Größe geben, die alle natürliche Maaße übersteigt; in dem natürlichen Maaße, da sich körperliche Schönheit für meine Phantasie hält, muß sich auch seine Größe der Venus und Juno halten – –
Nun selbst die Gottheiten, deren Charakter und Individualität einmal eine Aeußerung vorzüglicher Stärke will: Minerva, der gewaltige Erdumfasser Neptun, und denn der mächtigste aller Götter, Jupiter: Und ich wiederhole aufs neue: daß bei ihnen die körperliche Größe ihren Wirkungen nur nicht wiederspreche: nicht aber, daß von Größe auf Stärke bei Homer der Schluß gemacht werden dörfe!
Homer gab uns keinen Einzigen der Götter gemalet: so auch nicht ihre, »alles natürliche Maaß übersteigende Größe:« er zeigt uns ihre Natur in Wirkung, in Bewegung.
Der große Jupiter! aber ist er bei Homer deßwegen groß, weil er, wie jener Engel des Korans, von einer seiner Augenbrauen bis zur andern sieben Tagereisen hätte? Das würde uns Jupiter der Ungeheure, nicht aber der Große dünken: Homer weiß also bessern Weg. Er winkt mit seinen schwärzlichen Augenbrauen der Thetis sein höchstes Zeichen zu: das Ambrosische Haar auf dem unsterblichen Haupte des Königs wallet, und der große Olympus bebt12 – das ist der große Jupiter! Nicht wie lang, sondern wie machtvoll seine Augenbrane und sein Haar sey: nicht wie geräumig, sondern wie gebietend das Haupt des unsterblichen Königs: das ist das Augenmerk des Dichters. Das ist Jupiter, der Mächtige! Zevs, der Städteverwüster.
Einmal13 will dieser Jupiter seine überwiegende Macht vor allen Göttern recht ausdrücken: er misset sich also mit ihnen – aber an körperlicher Größe? an Länge der Arme? an Stärke der Sehnen? unwürdiger, ungeheurer Anblick! Jupiter hat einen bessern Vorschlag an seine Götter und Göttinnen. Alle sollten sich an die Himmelherab hangende goldene Kette hängen, und mit allen Kräften ziehen: den Jupiter würden sie damit nicht vom Himmel zur Erde reißen können; »ich aber,« fährt er fort, »wenn ich ziehen wollte, mit Erde und Meer würde ich sie aufziehen, alsdenn die Kette um den Gipfel des Olympus schlingen: da hingen sie Alle in der Höhe. So weit mächtiger bin ich, als Götter und Menschen.« Es kann kein erhabener und einfältiger Bild gefunden werden, als dies von der Uebermacht des höchsten Gottes; allein ein Bild von der Uebergröße dieses Gottes über Götter und Menschen findet sich nicht.
So wird die Größe Neptunus durch seine Schritte14 mehr errathen und angedeutet, als geschildert: denn eine Ausmessung seiner ganzen Gestalt, nach Maasgabe dieser Schritte, wäre ungeheuer und nicht Homerisch. Vielmehr hat der weise Dichter auch hier in Aeußerung der Größe durch die Stärke, und der Stärke durch Bewegung eine Leiter gesetzt, um nach der Stuffe seiner Götter auch ihnen die Würde zuzuwiegen, die die größeste Kraft mit der größesten Sparsamkeit des Ausdrucks äußert. So wie der Höchste der Götter seine Größe durch einen Wink: so zeigt der Nächste nach ihm an Hoheit, Neptun, die seinige eine Stuffe tiefer – schreitend.15 Die Größe Minervens wird wieder durch ihre Stärke gemessen, da sie einen ungeheuren Stein16 ergreift, und den langstreckigen Mars zu Boden wirft. Vielleicht aber legt Hr. L. mehr Gewicht in diesen Stein, als Homer in ihn legen wollte. »Er war ein schwarzer, rauher, großer Stein, der zum Grenzstein dahingewälzet war von Männern voriger Zeiten.« Ob nun mit diesem Homer den Maasstab machen wollen: daß ein Held seiner Zeit gleich zween Männern, und ein Held alter Zeit gleich zween Helden, und dieser Stein also gleich so viel vierfach zusammengesetzten Mannskräften berechnet werden müsse, als Männer ihn gelegt hatten, weiß ich so genau nicht. Homer kann vielleicht blos sagen: es war ein uralter Grenzstein. –
Auch die Größe des Helms der Minerva17 ist mir noch strittig; ob sie nach Maas oder Gewichte zu berechnen sey. »Um ihre Schultern legt Pallas die fürchterliche Aegis: die ringsum von Furcht umgeben, in der die Zwietracht, und die Stärke, und die wilde Mordlust: in der auch das Haupt der Gorgone, des abscheulichen Ungeheuers