Die Farben einer parallelen Welt. Mikola Dziadok

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Die Farben einer parallelen Welt - Mikola Dziadok


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Entlassung, denn draußen in der Freiheit hatte er einen kleinen Sohn und seine Frau, tja, die saß in der Waladarka10 ein. Mit aller Kraft versuchte der junge Mann, jegliche Art von Regelverstoß zu vermeiden, arbeitete eifrig im Produktionsbereich der Kolonie und machte sich den ganzen Tag Sorgen um seine Familie. Zweifelsohne wusste der Operative all das und genau deshalb hatte er ihn ausgewählt. Ich konnte die moralischen Qualen dieses Häftlings aus nächster Nähe beobachten, sein Hin- und Herschwanken zwischen seiner Familie und seinem Gewissen, dem Wohlergehen seiner Verwandten und den möglichen Konsequenzen, eine Suka11 zu werden. Er versuchte, aus dieser Zwickmühle rauszukommen und erzählte dem Beamten einige unbedeutende und allgemein bekannte Dinge. Dieser Versuch missglückte jedoch. Ich wurde bald aus dieser Strafkolonie verlegt und habe nie herausgefunden, wie dieses kleine Drama ausgegangen ist. Ich hoffe nur, dass der Bursche letztlich verstanden hat, dass man kein halber Verräter sein kann.

      Man sollte nicht diejenigen fürchten, die den Körper töten, aber der Seele nichts antun können, sondern diejenigen, die deine Seele töten – das versteht man mit der Zeit. Im System des Innenministeriums gibt es solche, die den Körper und solche, die die Seele töten. Sie alle, die Henker vom Erschießungskommando und die „Ermittlungsbeamten“, bekommen jeder ihren eigenen Lohn für ihre eigene Art von Mord.

      Ja, der Operative lässt den Körper am Leben, einen Organismus, der Kraft seiner Instinkte und Grundbedürfnisse weiter existiert, doch um eine Persönlichkeit im vollen Sinne des Wortes handelt es sich dabei nicht mehr. Die Krux bei der Sache ist die: Wenn es im Charakter eines Menschen, der hinter Gitter geraten ist, auch nur die kleinste Fäulnis gibt, ein Körnchen von Gemeinheit und Unehrlichkeit, dann wird es unter den wachsamen Augen eines Operativen und mit seiner steten Fürsorge wachsen und all das Gute, das sonst im Menschen ist, aus ihm saugen. Dazu trägt auch die Atmosphäre bei, die in Gefängnissen und Lagern herrscht, jenes moralische Klima mit dem Imperativ: „Tritt nach unten und spuk auf deinen Nächsten.“ Und ohne Zweifel wird der Operative das Wachstum dieser Samen beschleunigen, wobei er für einen jeden einen ganz individuellen Dünger zubereiten wird, ganz auf den Charakter der Person abgestimmt: Für den einen wird es ein zusätzlicher Besuchstermin der eigenen Frau sein, für einen anderen ist es die Angst um die eigene Sicherheit, für den dritten die Sorge um die eigene Autorität, für jemanden die Aussicht auf Bewährung und für jemand anderen werden ein Päckchen Tee und eine Schachtel Zigaretten völlig ausreichen. Doch das Ergebnis ist immer das gleiche: Diese Person wird das Gefängnis innerlich verfault, frei von Prinzipien und ohne irgendeinen Glauben verlassen. In der Weltwahrnehmung dieser Person ist die Grenze zwischen Gut und Böse ausgelöscht. All das ist der Arbeit der „operativen Abteilung der Strafvollzugsanstalt“ zu verdanken.

      Manchmal frage ich mich, wie sind die Operativen denn in ihrem ganz normalen Alltagsleben? Die werden doch nicht alle ihre Ehefrauen und Kinder schlagen, ihre Freunde belügen … Vermutlich sind auch sie fähig, ihre Angehörigen zu lieben, sich um sie zu sorgen, gut zu ihren Ehefrauen und Müttern zu sein, von Herzen zu lachen, Freundschaften zu pflegen, ganz normale menschliche Empfindungen zu haben. Bei Festen und Feiern haben sie vermutlich ganz einfach Spaß. Sie umarmen ihre Freunde und Kollegen, singen mit einem Gläschen in der Hand ihre Lieblingslieder: „Und wenn der nächste Tag viel härter wird, als der schon gestern war, dann sagen die Operativen: Ja! Wir schaffen das, na klar!“

      Natürlich werdet ihr es schaffen. Munter und im Gleichschritt. In die Hölle.

       März 2015

      DAS REGIME

      Es gibt Phänomene, die grausam sind. Es gibt Phänomene, die sinnlos sind. Aber alles wirkt noch grausamer, wenn es sinnlos ist. Genau dazu zählt das Gefängnisregime – ein Moloch, dem das psychische und physische Wohlbefinden der Gefangenen, ihr Seelenfrieden und ihre Selbstachtung geopfert werden.

      Eine Person, die zum ersten Mal im Gefängnis landet, befindet sich zunächst in einem Zustand von Verwirrung und enormer Verwunderung. Mit dem Verstand einer normalen und freien Persönlichkeit kann der neue Gefangene das, was die Kerkermeister von ihm mit Verweis auf rätselhafte „Vorschriften“ verlangen, nicht nachvollziehen.

      Alles beginnt mit dem Filzen. Noch im Polizeigewahrsam wundert sich der Gefangene, wenn ihm beim Filzen vor der Unterbringung in der Zelle, der Gürtel und die Schnürsenkel abgenommen werden. Er fragt: „Warum kann ich die nicht behalten?“. „Nicht gestattet“, knurrt der Bulle zur Antwort. Erst später klären ihn erfahrene Zellengenossen darüber auf, dass er sich die Hosen deshalb andauernd wird hochziehen müssen und in den Turnschuhen so rumlaufen wird, als ob sie lustige lose Schlappen wären, weil er sich mit dem Gürtel und den Schnürsenkeln erhängen könnte.

      Doch das Interessanteste erwartet ihn im Untersuchungsgefängnis, wenn seine Angehörigen versuchen, Pakete für ihn abzugeben. Zigaretten? Müssen der Packung entnommen und in einen transparenten Beutel gelegt werden. Tee? Auch nur in einem transparenten Beutel. Süßigkeiten? Jede einzelne muss frei von jeglicher Verpackung sein. Und stellt euch dann vor, wieviel Aufwand es bedeutet, damit ein dreißig Kilo schweres Paket eingereicht und übergeben werden kann. Sprudelwasser? Verboten! Quark, Milch, Käse, Butter – verboten! Honig? Verboten! Warum? „Nicht gestattet!“ Irgendetwas in einer Glasflasche? Gott bewahre! „Die werden sich doch gegenseitig abstechen!“ Konserven – verboten, „die werden Stichwaffen basteln“.

      Und falls die Angehörigen anfangen sollten, sich bei den verschiedensten Chefbeamten zu beschweren, dann wird man ihnen eine lange Liste verschiedener Erlasse und Anordnungen vorzeigen, die Vollzugsordnung und die Hygienevorschriften der Gesundheitsämter vorlegen, aus denen sie erfahren, dass Milchprodukte aus Sorge vor einer Epidemie verboten sind, Zigaretten umverpackt werden müssen, „falls Sie da etwas versteckt haben“, und aus demselben Grund muss jedes Bonbonpapier entfernt werden, aus demselben Grund wird jeder Apfel und jede Orange, jedes Obst und Gemüse, das ihr dem Gefangenen zukommen lasst, mit einer Ahle durchstochen und es spielt keine Rolle, ob es dann nur noch ein paar Tage übersteht – jede Vakuumverpackung wird durchstochen, jedes Stück Schokolade wird zerbröckelt bis fast nur noch Krümmel übrig bleiben.

      Aber was ist schon die Untersuchungshaft! In der Strafkolonie, wo der Arrestant nach der Urteilsverkündung ankommt, erwarten ihn neue Offenbarungen und neue Gründe, verwirrt und verwundert zu sein. Bei Ankunft – das obligatorische Filzen. Alles „Überflüssige“ wird abgenommen und so lange eingelagert, bis die Person aus der Haft entlassen wird. Für jeden Gefangenen ist das ein sehr dramatischer Moment: All das, was in einem Jahr oder mehr mühevoll zusammengetragen wurde, all das, was die Zellengenossen in der Untersuchungshaft ihm mit auf den Weg gegeben haben, all das fliegt in den Lagerraum oder landet auf dem Müll. Wenn es nur Lebensmittel wären, dann wäre es noch halb so schlimm. Viel schlimmer ist es, wenn es dabei um Kleidung oder Schuhe geht, die von Angehörigen gekauft wurden. In der U-Haft, in Haftanstalten für temporäre Ordnungshaft und in einigen Strafkolonien sind nur Schuhe ohne Metalleinlagen erlaubt, weil die wiederum zu Stichwaffen umgeschliffen werden könnten. Um herauszufinden, ob es diese Metalleinlagen gibt, verbiegen die Knastwärter die Schuhe oder Turnschuhe gnadenlos, reißen die Sohle ab, durchleuchten sie mit einem Metalldetektor. Wenn es deine einzigen Schuhe sind, bekommst du Ersatz, die sogenannten Karantinki, und wenn deine Angehörigen Schuhe für dich kaufen und versuchen, sie dir zukommen zu lassen, werden die schlicht zurückgegeben, das Geld ist jedenfalls verschwendet.

      Die Vollzugsordnung für Haftanstalten ist sehr raffiniert aufgebaut. Anstatt die Dinge aufzulisten, deren Besitz einem Gefangenen verboten ist, werden jene Dinge aufgelistet, die er besitzen darf. Entsprechend ist alles andere verboten. Und bei Besitz von Dingen, die nicht gelistet sind, kann man im Strafisolator landen.

      Zu sagen, die aufgelisteten, erlaubten Gegenstände wären für ein normales, würdiges Leben nicht ausreichend, insbesondere für Gefangene mit langen Haftstrafen, ist eine gnadenlose Untertreibung. Eine Kleinigkeit als Beispiel: Jeder Gefangene, der sich auf dem Lagergelände bewegt, ist verpflichtet eine Gefangenenuniform zu tragen. Doch die Uniform muss von Zeit zu Zeit gewaschen werden. Und wenn du sie gewaschen hast, muss sie trocknen. Und was kannst du dann anziehen, wenn du in die Kantine, zur Arbeit oder einfach nur zu einem Spaziergang im kleinen


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