Die wirkliche Lage in Rußland . Leo Trotzki

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Die wirkliche Lage in Rußland  - Leo Trotzki


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in unser System.« »Das Problem kann so formuliert werden, daß es notwendig ist, den wirtschaftlichen Möglichkeiten des wohlhabenden Bauern, den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Kulak freien Weg zu geben.«

      8 Der Versuch, Lenins »genossenschaftlichen Plan« seinem Plan der Elektrisierung entgegenzustellen. Nach Lenins eigener Ansicht könnte nur eine Verbindung dieser beiden Pläne die Durchführung des Sozialismus garantieren.

      Gestützt auf diese revisionistischen Tendenzen der regierenden Gruppe haben die Repräsentanten der neuen Bourgeoisie sich mit gewissen Gliedern unseres staatlichen Betriebes verbunden und versuchen offen, unsere ganze Politik auf dem Lande auf die kapitalistischen Geleise hinüberzulenken. Dabei verstecken natürlich die Kulaks und ihre ideologischen Verteidiger ihre Bestrebungen unter dem Vorwande einer Besorgnis um die Entwicklung der produktiven Kräfte, um das Anwachsen der Warenproduktion »im allgemeinen« usw. In Wirklichkeit unterdrückt und hemmt eine Kulakentwicklung die Entwicklung der produktiven Kräfte der gesamten übrigen Masse der bäuerlichen Wirtschaft.

      Trotz unseres verhältnismäßig schnellen Wiederaufbauprozesses in der Landwirtschaft ist die Warenproduktion der bäuerlichen Wirtschaft sehr gering. 1925-1926 war die Gesamtmenge der auf den Markt gebrachten Güter 64 Prozent des Vorkriegsstandes, die exportierte Menge nur 24 Prozent des Exports von 1913. Die Ursache davon liegt, abgesehen von der Zunahme des allgemeinen Verbrauchs im Dorfe selbst, in der Verschiedenheit der landwirtschaftlichen und industriellen Preise und in der rapiden Anhäufung von Nahrungsstoffen durch die Kulaks. Selbst der Fünfjahresplan muß zugeben, daß »der Mangel an Industrieprodukten im allgemeinen dem Austausch von gleichwertigen Gütern zwischen Stadt und Land eine bestimmte Grenze setzt und die Menge der landwirtschaftlichen Produkte, die auf den Markt gebracht werden könnte, vermindert.« So hemmt die Rückständigkeit der Industrie das Anwachsen des Ackerbaues und besonders das Anwachsen der ländlichen Warenproduktion. Sie untergräbt das Zusammenwirken von Stadt und Land und führt zu einer schnellen Klassendifferenzierung unter den Bauern.

      Die Ansichten der Opposition in den Debatten über die Fragen der Bauernpolitik sind voll und ganz bestätigt worden. Die einzelnen Verbesserungen in unserem allgemeinen Vorgehen, die unter dem Druck der scharfen Oppositionskritik erfolgt sind, haben das fortgesetzte Abweichen der regierenden Gruppe nach der Seite der wohlhabenden Bauern nicht gehemmt. Als Beweis dafür genügt es, sich daran zu erinnern, daß der vierzehnte Kongreß der Sowjets nach dem Bericht Kalinins nicht ein einziges Wort über die Klassendifferenzierung auf dem Lande oder das Anwachsen des Kulak zu sagen hatte. Eine solche Politik kann nur zu einem einzigen Resultat führen: wir werden die armen Bauern verlieren und die mittleren nicht gewinnen.

      Klassendifferenzierung unter den Bauern

      In den letzten Jahren hat in den ländlichen Bezirken eine starke kapitalistische Klassenentwicklung stattgefunden.

      Die landlosen und landarmen Gruppen haben sich während der letzten vier Jahre um 35-45 Prozent vermindert. Die 6-10 Desjatinen(7-11 Hektar) besitzende Gruppe vermehrte sich in der gleichen Zeit um 100 bis 120 Prozent. Die Gruppe mit 10 Desjatinen und mehr vermehrte sich um 150-200 Prozent. Der abnehmende Prozentsatz der landlosen und landarmen Gruppen ist in weitem Maße auf ihren Ruin und ihre Auflösung zurückzuführen. So haben sich in Sibirien im Verlaufe eines Jahres 15,8 Prozent der landlosen Familien und 3,8 derjenigen mit weniger als 2 Desjatinen aufgelöst und sind verschwunden. Im nördlichen Kaukasus lösten sich 14,1 Prozent der landlosen und 3,8 Prozent derjenigen mit weniger als 2 Desjatinen auf.

      Das Aufrücken der Besitzer von pferdelosen und gerätelosen Landgrundstücken zur Klasse der unteren Mittelbauern geht außerordentlich langsam vor sich. Im jetzigen Augenblick gibt es in der ganzen Union 30-40 Prozent von pferde- und gerätelosen Besitzungen, und die große Masse davon fällt unter die Gruppe der Landarmen.

      Die Verteilung der wichtigen Produktionsmittel ist in dem nördlichen Kaukasus folgende: 15 Prozent der Produktionsmittel gehören etwa 50 Prozent der schwächsten Besitzer. Zu der Mittelgruppe, die sich aus 35 Prozent der Besitzer zusammensetzt, gehören 35 Prozent der wichtigen Produktionsmittel. Und zu der höchsten Gruppe, die aus 15 Prozent der Besitzer besteht, gehören 50 Prozent der Produktionsmittel. Dasselbe Bild der Verteilung der Produktionsmittel zeigt sich in andern Provinzen (in Sibirien, in der Ukraine usw.).

      Dieser Rekord einer ungleichen Verteilung von Land und Produktionsmitteln wird verstärkt durch eine ungleiche Verteilung der Getreidereserven unter den verschiedenen Gruppen der bäuerlichen Besitzer. Am I. April 1926 befanden sich 58 Prozent von allem überflüssigen Getreide des Landes in den Händen von 6 Prozent der bäuerlichen Besitzer.

      Das Verpachten von Land nimmt mit jedem Jahr eine größere Ausdehnung an. Die verpachtenden Eigentümer sind meist große Landbesitzer, die die Produktionsmittel in den Händen haben. In der Ungeheuern Mehrzahl aller Fälle wird die Tatsache, daß das Land verpachtet ist, verheimlicht, um die Bezahlung der Steuer zu vermeiden. Der landarme Besitzer, der weder Werkzeuge noch Tiere hat, bearbeitet das Land gewöhnlich mit gemieteten Werkzeugen und gemieteten Tieren. Die Verhältnisse, sowohl beim Landverpachten wie beim Vermieten von Werkzeugen und Tieren laufen fast auf Sklaverei hinaus. Mit dieser materiellen Sklaverei geht ein finanzieller Wucher Hand in Hand.

      Die übliche Zerteilung von Bauerngütern schwächt den Prozeß der Klassendifferenzierung nicht, sondern befördert ihn. Die Maschinen und Kredithilfen fallen, anstatt der Sozialisierung des Ackerbaues zu dienen, dem Kulak und dem Wohlhabenden in die Hände und helfen so zur Ausbeutung der Landarbeiter, der armen Bauern und der schwächeren Mittelbauern.

      Abgesehen davon, daß diese höchsten Gruppen das Land und die Instrumente in ihren Händen konzentrieren, beschäftigen sie auch in einem ständig anwachsenden Maße gemietete Arbeiter.

      Auf der andern Seite vermehren die unteren und zum Teil die mittleren Gruppen der bäuerlichen Besitzer, entweder infolge von vollständigem Ruin und Auflösung oder auch durch Abgeben einzelner Familienmitglieder, fortwährend die Zahl der ländlichen Arbeiter. Diese überzähligen Arbeiter geraten in die Knechtschaft des Kulak oder des wohlhabenden Mittelbauern, oder sie gehen auch wohl in die Städte, oder finden in zahlreichen Fällen überhaupt keine Beschäftigung.

      Trotz dieser Prozesse, die schon sehr weit gegangen sind und zu einer Verminderung der relativen wirtschaftlichen Bedeutung des Mittelbauern führen, bildet dieser Mittelbauer der Zahl nach noch immer die größte ländliche Gruppe. Diesen Mittelbauern nun auf die Seite der sozialistischen Agrarpolitik zu bringen, ist eines der Hauptprobleme der proletarischen Diktatur. Wenn man aber seine Hoffnung auf den wohlhabenden Bauern setzt, verläßt man sich auf eine weitere Zersetzung dieser Mittelschicht.

      Nur eine richtige Beachtung der Landarbeiter, nur eine Politik, die sich auf den armen Bauern und seine Union mit dem Mittelbauern stützt, nur ein entschiedener Kampf gegen den Kulak, nur eine Politik der Industrialisierung, nur eine Politik der Klassengenossenschaften und des Klassenkreditsystems auf dem Lande wird es ermöglichen, den Mittelbauern zur Arbeit an einem sozialistischen Aufbau der Landwirtschaft zu bewegen.

      Praktische Vorschläge

      In dem Klassenkampf, der jetzt in diesem Lande vor sich geht, muß die Partei, nicht in Worten, sondern in Taten, auf der Seite der Landarbeiter, der armen Bauern und der großen Masse der Mittelbauern stehen und sie gegen die ausbeutenden Bestrebungen des Kulak schützen.

      Um die Klassenposition des ländlichen Proletariats – das einen Teil der Arbeiterklasse bildet – zu stärken und wiederherzustellen, ist jene Reihe von Maßnahmen notwendig, die wir in dem Kapitel über die Lage der Arbeiterklasse aufgeführt haben.

      Ländliche Kredite müssen aufhören, in den meisten Fällen ein Privileg der wohlhabenden Kreise des Dorfes zu sein. Wir müssen ein Ende machen mit den augenblicklichen Verhältnissen, die es ermöglichen, die schon so sehr gesunkenen Ersparnisse der Armen, nicht für den beabsichtigten Zweck, sondern zum Besten der wohlhabenden und mittleren Gruppen zu verwenden.

      Das Anwachsen des Privateigentums auf dem Lande muß durch eine schnellere Entwicklung der kollektiven Landwirtschaft wettgemacht


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