Die wirkliche Lage in Rußland . Leo Trotzki

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Die wirkliche Lage in Rußland  - Leo Trotzki


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Bureau für Löhne und Lohnnormen muß mehr unter die wirksame Kontrolle der Arbeiter und der Gewerkschaften gebracht und die fortwährende Verschlechterung der Löhne und Lohnnormen muß verhindert werden.

      8 Die Ausgaben für Sicherheitsvorrichtungen und bessere Fabrikzustände müssen vermehrt werden. Höhere Strafen müssen die Übertreter der Schutzvorschriften für die Arbeiter treffen.

      9 Alle Auslegungen des Arbeitsgesetzbuches müssen überprüft und diejenigen, welche eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zur Folge haben, beseitigt werden.

      10 Für die weiblichen Arbeiter soll die Vorschrift gelten: »Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit.« Dementsprechend muß eine höhere Einschätzung der Frauenarbeit im allgemeinen stattfinden.

      11 Unbezahlte Lehrlingsarbeit muß verboten werden; ebenso der Versuch, die Löhne der Jugendlichen herabzusetzen. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.

      12 Das Sparsystem darf in keinem Falle auf Kosten der Lebensinteressen der Arbeiter durchgeführt werden. Wir müssen den Arbeitern die »kleinen Vergünstigungen«, die wir ihnen genommen haben (Kinderheime, Freifahrtkarten, längere Ferien usw.), wieder zurückgeben.

      13 Die Gewerkschaften müssen unausgesetzt ihre Aufmerksamkeit auf das Problem der Saisonbeschäftigung richten.

      14 Die ärztliche Hilfe für Arbeiter muß in den Betrieben verbessert werden (Krankenwagen, Stationen für erste Hilfe, Krankenhäuser usw.).

      15 Die Schulen für Kinder müssen in den Bezirken der Arbeiterklasse vermehrt werden.

      16 Eine Reihe von staatlichen Maßnahmen muß getroffen werden, um die Arbeitergenossenschaften zu stärken.

      B. In den Gewerkschaften

      1 Die Tätigkeit der Gewerkschaften sollte in erster Linie danach beurteilt werden, in welchem Maße sie die ökonomischen und kulturellen Interessen der Arbeiter verteidigt.

      2 Die Parteiorganisationen, die Maßnahmen zum Schutze der ökonomischen und kulturellen Arbeiterinteressen treffen wollen, müssen dabei ernstlich die Ansichten der kommunistischen Gruppen in den Gewerkschaften in Erwägung ziehen.

      3 Richtige Wahlen, Öffentlichkeit, Rechenschaftsablegung vor den Mitgliedern müssen die Grundlage der gewerkschaftlichen Arbeit sein.

      4 Alle Verwaltungsorgane sollten in wirklicher, nicht in vorgetäuschter Übereinstimmung mit den entsprechenden Gewerkschaftsorganen gebildet werden.

      5 Auf jedem Gewerkschaftskongreß und in allen Wahlausschüssen der Gewerkschaften muß die Majorität aus wirklich in der Industrie beschäftigten Arbeitern bestehen. Der Prozentsatz der nicht in der Partei organisierten Arbeiter muß in diesen Ausschüssen auf mindestens ein Drittel erhöht werden. In regelmäßigen Zwischenräumen muß eine bestimmte Anzahl von Beamten des Gewerkschaftsapparates wieder zur Fabrikarbeit bestimmt werden. Eine stärkere Heranziehung von freiwilliger Arbeit in der gewerkschaftlichen Betätigung, mehr Ermutigung der Arbeiter in den Betrieben, sich daran zu beteiligen.

      6 Die Entfernung einmal gewählter kommunistischer Gewerkschaftsmitglieder wegen innerparteilicher Zwistigkeiten soll nicht gestattet sein.

      7 Die vollständige Unabhängigkeit der Betriebs- und Lokalausschüsse von den leitenden Organen muß gesichert sein. Die Einstellung und Entlassung von Arbeitern, oder die Versetzung von Arbeitern von einer Arbeitsart zur andern für Perioden, die zwei Wochen übersteigen – alles dies darf nur nach vorheriger Benachrichtigung des Betriebsausschusses geschehen. Ein Betriebsausschuß, der gegen Mißbräuche auf diesem Gebiete ankämpft, soll von seinem Recht Gebrauch machen, gegen die Entscheidungen der Leitung an die entsprechende Gewerkschaft und den Beschwerdeausschuß zu appellieren.

      8 Die Rechte der Korrespondenten der Arbeiterpresse müssen geschützt werden, und diejenigen, die Korrespondenten wegen ihrer Veröffentlichungen verfolgen, sollten streng bestraft werden. Durch einen besonderen Artikel im Strafgesetzbuch sollte jede offene oder geheime Verfolgung eines Arbeiters wegen einer Kritik, wegen eines Abänderungsvorschlags, oder wegen seines Wählens als ein schweres Verbrechen gegen den Staat bestraft werden.

      9 Die Aufgaben der Kontrollkommission der Produktionsausschüsse müssen auf eine Überwachung der Durchführung ihrer Beschlüsse und auf eine Prüfung, wie weit dabei die Interessen der Arbeiter gewahrt wurden, ausgedehnt werden.

      10 In der Frage von Streiks in den Staatsindustrien bleibt die unter Lenin angenommene Entscheidung des elften Parteikongresses in Kraft. Im Falle von Streiks in den Konzessionsindustrien sollen diese als Privatindustrien angesehen werden.

      11 Es müßte eine Überprüfung des ganzen Systems der Arbeitsstatistik stattfinden, da sie in ihrer gegenwärtigen Form ein falsches und offensichtlich gefärbtes Bild der wirtschaftlichen und kulturellen Lage der Arbeiterklasse gibt und so jede Besserung auf diesen Gebieten in starkem Maße hindert. Die schlechte Lage der Arbeiterklasse jetzt am zehnten Jahrestage der Oktoberrevolution erklärt sich natürlich durch die Armut des Landes, durch Intervention und Blockade und die unausgesetzte Bekämpfung des ersten proletarischen Staates seitens seiner kapitalistischen Umgebung. Diese Lage kann nicht auf einen Schlag geändert werden. Aber sie kann und muß geändert werden durch eine richtige Politik. Die Aufgabe der Bolschewisten ist es dabei aber nicht, schön gefärbte Bilder von ihren Bemühungen zu geben – diese Bemühungen waren natürlich ernsthaft genug –, sondern klar und bestimmt die Frage aufzuwerfen, was zu tun bleibt, was getan werden muß, und was mit Hilfe einer richtigen Politik getan werden kann.

      Die Agrarfrage und ihre sozialistische Auslegung

      Produktion im kleinen Maßstab erzeugt, wie Lenin sagt, fortwährend, täglich, stündlich, unwiderstehlich und in riesigem Umfang Kapitalismus und Bourgeoisie. Entweder gelingt es dem proletarischen Staat, gestützt auf eine hohe Entwicklung und auf die Elektrisierung der Industrie, die technische Rückständigkeit von Millionen kleiner und winziger Industrien zu überwinden und sie auf der Grundlage ausgedehnter Verbände und des Kollektivismus aufzubauen, oder der aus dem Lande seine Kraft schöpfende Kapitalismus wird die Grundlage des Sozialismus in den Städten unterminieren.

      Vom Gesichtspunkte des Leninismus aus ist das Bauerntum – das heißt die große bäuerliche Masse, die keine Arbeit ausbeutet – jener Verbündete, der, wenn er richtig mit uns zusammenarbeitet, die Sicherheit der proletarischen Diktatur und so das Schicksal der sozialistischen Revolution gewährleistet. Für die Etappe, die wir jetzt durchleben, hat Lenin ganz genau unsere Aufgaben gegenüber den Bauern mit folgenden Worten formuliert: »Es muß uns gelingen, ein Bündnis mit den Mittelbauern einzugehen, ohne nur einen Augenblick dem Kampfe gegen den Kulak zu entsagen, und ohne dabei die feste Stütze durch den armen Bauern zu verlieren.«

      Die Abweichung von Lenins Standpunkt in der Bauernfrage, wie sie die Stalin-Bucharingruppe durchgeführt hat, kann in den folgenden acht Hauptpunkten gekennzeichnet werden:

      1 Vernachlässigung des Hauptgrundsatzes des Marxismus, daß nur eine starke, sozialisierte Industrie den Bauern helfen kann, die Landwirtschaft in eine kollektivistische Form zu überführen.

      2 Unterschätzung der Lohnarbeiter und der armen Bauern als sozialer Grundlage in den ländlichen Bezirken des proletarischen Staates.

      3 Hoffnung auf den wohlhabenden Bauern in der Frage der landwirtschaftlichen Industrie, das heißt, in allem Wesentlichen Hoffnung auf den Kulak.

      4 Ignorieren oder offenes Ableugnen des kleinbürgerlichen Charakters des bäuerlichen Eigentums und der bäuerlichen Tätigkeit – ein Hinübergehen vom marxistischen Standpunkt zu den Theorien der Sozialrevolutionäre.

      5 Unterschätzung der kapitalistischen Elemente in der gegenwärtigen Entwicklung des Landes und Vertuschung der bäuerlichen Klassenunterschiede.

      6 Erzeugung von zersetzenden Theorien, die, um ein Wort Bucharins zu zitieren, die Ansicht verfechten: »Der Kulak und die Kulakorganisationen haben überhaupt eine Aussicht, weil der Rahmen der allgemeinen Entwicklung in unserem Lande durch die Struktur


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