Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Erster Teil. Gustav Schwab

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Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Erster Teil - Gustav  Schwab


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Morgenröte auf und

       bestieg einen Hügel, um zu sehen, was der Wind uns verspreche. Inzwischen hatten auch meine

       Gefährten gelandet, und auf dem Rückwege nach dem Schiffe begegnete ich ihnen, wie sie gerade

       einen Jüngling mit sich schleppten, den sie am verlassenen Gestade geraubt hatten. Der Knabe, von

       jungfräulicher Schönheit, schien vom Weine betäubt, taumelnd wie von Schläfrigkeit, und hatte

       Mühe, ihnen zu folgen. Als ich Angesicht, Haltung, Bewegung des Jünglings näher ins Auge faßte,

       schien sich mir an demselben etwas Überirdisches zu offenbaren. »Was für ein Gott in dem Jüngling

       sei«, so sprach ich zu der Mannschaft, »Weiß ich noch nicht recht; aber so viel ist mir gewiß, daß ein

       Gott in ihm ist. ‐ Wer du auch seiest«, sprach ich weiter, »sei uns hold und fördere unsre Arbeit!

       Verzeih auch diesen, die dich geraubt!« »Was fällt dir ein«, rief ein anderer, »laß du das Beten!«

       Auch die übrigen lachten über mich, von Raubgier verblendet, und somit faßten sie den Knaben, um

       ihn in das Schiff zu schleppen. Vergebens stellte ich mich entgegen; der Jüngste und Kräftigste unter

       der Rotte, aus einer tyrrhenischen Stadt wegen eines Mordes flüchtig, packte mich an der Gurgel und

       schleuderte mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich das Takelwerk nicht aufgefangen

       hätte. Inzwischen lag der Knabe wie im tiefen Schlummer auf dem Schiffe, wohin man ihn gebracht

       hatte. Plötzlich, wie vom Geschrei erwacht und vom Rausche zurückgekehrt, raffte er sich auf, trat

       unter die Schiffer und rief»Welcher Lärm? Sprecht, ihr Männer, durch welches Geschick kam ich

       hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?« »Fürchte dich nicht, Knabe«, sprach einer der falschen

       Schiffer, »nenne uns nur den Hafen, nach welchem du gebracht zu werden wünschest; gewiß, wir

       setzen dich ab, wo du es verlangst.« »Nun wohl«, sprach der Knabe, »so richtet den Lauf nach der

       Insel Naxos, dort ist meine Heimat!« Die Betrüger versprachen es ihm bei allen Göttern und hießen

       mich die Segel richten. Uns zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel rechtshin spanne,

       winken und murmeln sie mir alle zu: »Unsinniger, was machst du? Was für ein Wahnwitz plagt dich?

       Fahr links!« Ich erstaunte darüber und begriff sie nicht. »Nehme sich ein anderer des Schiffes an!«

       sprach ich und trat auf die Seite. »Als ob das Heil unserer Fahrt allein auf dir beruhte!« schrie mir ein

       roher Geselle zu und verrichtete das Geschäft anstatt meiner. So ließen sie Naxos liegen und

       steuerten in der entgegengesetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er den Trug jetzt erst bemerkte,

       schaute der Götterjüngling vom Hinterverdeck in die See, und endlich, mit verstellten Tränen, sprach

       er: »Wehe, nicht diese Gestade verhießet ihr mir, Schiffer, dies ist nicht das erbetene Land! Ist es

       auch recht, daß ihr alten Männer ein Kind auf diese Weise täuschet?« Aber die gottesvergessene

       Rotte spottete seiner und meiner Tränen und ruderte eilig davon. Plötzlich aber, als umschlösse sie

       eine trockene Schiffswerft, stand die Barke mitten im Meere still. Vergebens schlagen ihre Ruder die

       See, ziehen sie die Segel herab, streben fort mit doppelter Kraft. Efeu fängt an, die Ruder zu

       umschlingen, kriecht rückwärts in geschlängelter Windung herauf, streift mit seinen schwellenden

       Träubchen schon die Segel; Bakchos selbst ‐ denn er war es ‐ steht herrlich da, die Stirn mit

       beerenbelasteten Trauben bekränzt, den mit Weinlaub umschlungenen Thyrsosstab schwingend.

       Tiger, Luchse, Panther erschienen um ihn gelagert, ein duftiger Strom von Wein ergoß sich durch das

       Schiff. Jetzt sprangen die Männer scheu empor, in Furcht und Wahnsinn. Dem ersten, der

       aufschreien wollte, krümmte sich Mund und Nase zum Fischmaul, und ehe die andern sich darüber

       entsetzen konnten, war auch ihnen das gleiche geschehen; ihr Leib senkte sich, von blauen Schuppen

       umgeben; das Rückgrat wurde hochgewölbt; die Arme schrumpften zu Floßfedern ein; die Füße

       vereinigten sich zu einem Schwanze. Sie waren alle zu Fischen geworden, sprangen in das Meer und

       tauchten auf und nieder. Ich von zwanzigen war allein übriggeblieben, aber ich zitterte an allen

       Gliedern und erwartete jeden Augenblick dieselbe Verwandlung. Bakchos jedoch sprach mir

       freundlich zu, weil ich ihm ja nur Gutes erwiesen habe. »Fürchte dich nicht«, sagte er, »und steure

       mich gen Naxos.« Als wir dort gelandet hatten, weihte er mich an seinem Altar zum feierlichen

       Dienste seiner Gottheit ein.«

       »Schon zu lange horchen wir deinem Geschwätz«, schrie jetzt der König Pentheus, »auf, ergreifet ihn,

       ihr Diener, peinigt ihn mit tausend Martern und schickt ihn zur Unterwelt hinab!« Die Knechte

       gehorchten und warfen den Schiffer gefesselt in einen tiefen Kerker. Aber eine unsichtbare Hand

       befreite ihn.

       Nun begann erst die ernstliche Verfolgung der Bakchosfeier. Des Pentheus eigene Mutter, Agave und

       ihre Schwestern, hatten teil an dem rauschenden Gottesdienste genommen. Der König sandte nach

       ihnen aus und ließ alle Bakchantinnen in den Stadtkerker werfen. Aber ohne Hilfe eines Sterblichen

       werden auch sie ihrer Bande ledig; die Pforten ihres Gefängnisses tun sich auf, und sie rennen in

       bakchischer Begeisterung frei in den Wäldern umher. Der Diener, der abgesandt worden, mit

       bewaffneter Macht den Gott selbst einzufangen, kam ganz bestürzt zurück, denn jener hatte sich

       willig und lächelnd den Fesseln dargeboten. So stand er jetzt gefangen vor dem Könige, der selber

       nicht umhinkonnte, seine jugendliche göttliche Schönheit zu bewundern. Und doch beharrte er in

       seiner Verblendung und behandelte ihn als einen Betrüger, der den Namen Bakchos fälschlich führe.

       Er ließ den gefangenen Gott mit Fesseln belasten und im hintersten und tiefsten Teile seines

       Palastes, in der Nähe der Pferdekrippen, in einem dunkeln Loche verwahren. Auf des Gottes Geheiß

       spaltete jedoch ein Erdbeben das Gemäuer, seine Bande verschwanden. Er trat unversehrt und

       herrlicher als zuvor in die Mitte seiner Verehrer.

       Ein Bote über den andern kam vor den König Pentheus und meldete ihm, welche Wundertaten die

       Chöre begeisterter Frauen, von seiner Mutter und ihren Schwestern angeführt, verrichteten. Ihr Stab

       durfte nur an Felsen schlagen, so sprang Wasser oder sprudelnder Wein heraus; die Bäche flossen

       unter seinem Zauberschlage mit Milch; aus den hohlen Bäumen träufelte Honig. »Ja«, fügte einer der

       Boten hinzu, »wärest du zugegen gewesen, o Herr, und hättest den Gott, den du jetzt schiltst, selbst

       gesehen, du würdest dich in Gebeten vor ihm niedergeworfen haben!«

       Pentheus, immer entrüsteter, bot auf diese Nachrichten alle schwerbewaffneten Krieger, alle Reiter,

       alle Leichtbeschildeten gegen das rasende Weiberheer auf Da erschien Bakchos selbst


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