Abende auf dem Gut Dikanka. Nikolai Gogol

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Abende auf dem Gut Dikanka - Nikolai Gogol


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der Vorbeiziehenden und Vorüberwandernden konnte wissen, wieviel Mühe es sie gekostet hatte, ihren Vater zu erweichen, der es ja von Herzen gern getan hätte, wäre nicht die böse Stiefmutter dagewesen. Die verstand’s nämlich, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die er jetzt am Zügel hielt und nach langem Dienste zum Verkauf mit sich führte. Diese ruhelose Ehegattin ... Aber wir haben ganz vergessen, daß sie ja auch da oben auf dem Wagen dasaß in einer schmucken, grünen Wolljacke, auf die, wie beim Hermelin, kleine Schwänzchen aufgenäht waren; allerdings waren es nur solche von roter Farbe. Das reiche Tuch sah fast so bunt aus wie ein Schachbrett, und das bunte baumwollene Häubchen verlieh ihrem hübschen runden Gesicht eine ganz besondere Würde. Aber ihre Züge hatten etwas so Unangenehmes und Wüstes an sich, daß jeder sich sofort beeilte, seinen erschreckten Blick dem heiteren Gesichtchen der Tochter zuzuwenden.

      Doch jetzt leuchtete vor den Augen unserer Reisenden bereits der Psjoll-Fluss auf; schon wehte aus der Ferne eine frische Kühle herüber, die nach der ermattenden, zehrenden Hitze um so deutlicher spürbar war. Durch das Dunkel und Hellgrün des Laubs schwarzer und schlanker Pappeln und Birken, die hie und da auf der Wiese verstreut waren, leuchteten feurige in schattige Kühle gehüllte Funken auf, und der Strom entblößte blitzend, wie ein schönes Weib, seine silberne Brust, auf die die dichten grünen Locken der Bäume üppig herabsanken.

      In jenen köstlichen Stunden, wo der treue und beneidenswerte Spiegel den stolzen und blendenden Glanz von des Flusses Stirn, seine lilienweißen Schultern und seinen Marmorhals, der von einer dunkel vom blonden Haupte fallenden Flut überschattet ist, in sich aufnimmt, wo der Strom verächtlich den einen Schmuck von sich streift, um ihn durch einen anderen zu ersetzen, und seine Launen kein Ende finden wollen, — in diesen Stunden wechselt er mutwillig, wie er ist, fast jedes Jahr seine Umgebung, wählt sich einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen, mannigfaltigen Landschaften. Die langen Reihen der Mühlen hoben die breiten Wellen auf ihre schweren Räder und warfen sie mächtig zurück, zerstäubten sie, ließen sie über die ganze Umgebung herabsprühen und erfüllten ringsherum alles mit Lärm. Um diese Zeit fuhr der Wagen mit den uns schon bekannten Passagieren über die Brücke, und nun streckte sich vor ihnen der Strom in seiner ganzen Pracht und Schönheit hin, wie eine riesige Fläche von Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder, die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Mühlen — alles schien umgestürzt, zog vorüber und stand auf dem Kopfe, ohne doch in den schönen, blauen Abgrund herabzufallen. Das schöne Mädchen wurde bei der Herrlichkeit der Aussicht ganz nachdenklich und vergaß sogar, an ihren Sonnenblumenkernen zu knabbern, was sie während des ganzen Weges getan hatte, als ihr auf einmal die Worte: »Ei was für ein Mädel!« ans Ohr drangen. Sie schaute sich um und sah auf der Brücke einen Haufen Burschen stehen, deren einer etwas feiner gekleidet war als die anderen; er hatte eine weiße Bluse an und eine graue Lammfellmütze auf dem Kopf, stützte die Hände auf die Hüften und sah sich keck die Vorüberfahrenden an. Die Schöne konnte ihn unmöglich nicht bemerken, ihr Blick streifte sein braungebranntes, doch angenehmes Gesicht und seine feurigen Augen, die sie gleichsam durchbohren wollten, aber sie senkte ihn wieder bei dem Gedanken, das Wort, das sie vernommen hatte, sei von ihm gekommen. »Ein prächtiges Mädel!« fuhr der Bursch in der weißen Bluse fort, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. »Ich würde mein ganzes Hab und Gut darum geben, wenn ich sie einmal küssen könnte. Aber da vorne sitzt der Teufel!« Von allen Seiten erhob sich Gelächter, allein der geputzten Gefährtin des langsam voranschreitenden Gemahls war diese Begrüßung doch zu stark: ihre roten Backen wandelten sich in lauter Feuer, und eine Salve ausgesuchter Flüche regnete auf den Kopf des ausgelassenen Jungen herab:

      »Daß du erstickst, nichtsnutziger Kerl! Ein Topf möge deinem Vater den Schädel einschlagen! Er soll sich auf dem Eise die Beine brechen, der verdammte Antichrist! Möge ihm doch der Teufel in jener Welt den Bart verbrennen!«

      »Was die nur schimpfen kann,« sagte der Bursche die Frau anstarrend und gleichsam verblüfft durch dies Geknatter unerwarteter Begrüßungen: »Daß der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten nicht die Zunge weh tut!«

      »Hundertjährig! ...« fiel die alte Schöne ein. »Du Heidendreck, geh, wasch dich mal zuerst! So ein unnützer Tunichtgut! Ich habe deine Mutter nie gesehen, aber das weiß ich, daß sie nichts taugt! Auch dein Vater ist ein Nichtsnutz, und deine Muhme ist es auch! ... Hundertjährig! ... Der ist ja noch grün hinter den Ohren ...«

      Hier begann der Wagen von der Brücke herunterzufahren, und man konnte die letzten Worte nicht mehr hören; aber der Bursche wollte offenbar noch nicht Schluß machen: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen Haufen Schmutz und warf ihn hinter ihr her. Der Wurf war geschickter, als man erwarten konnte: das ganze neue baumwollene Häubchen wurde mit Dreck bespritzt, und so das Gelächter der ausgelassenen Windbeutel nur noch doppelt angefacht. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn; aber der Wagen war schon ziemlich weit davongefahren, und ihre Rache sprang auf die unschuldige Stieftochter und den langsamen Ehemann über, der, schon lange an solche Vorkommnisse gewöhnt, hartnäckig Schweigen bewahrte und die tobenden Reden der erzürnten Gemahlin kaltblütig aufnahm. Trotzdem knarrte und zappelte ihre unermüdliche Zunge so lange im Munde herum, bis sie endlich in der Vorstadt, bei ihrem alten Bekannten und Gevatter, dem Kosaken Zybulja, dem »Zwiebelmann«, anlangten. Die Begegnung mit den Gevattersleuten, die sie lange nicht mehr gesehen hatten, verscheuchte für eine Zeitlang die Erinnerung an diese unangenehme Begebenheit aus ihrem Kopfe. Sie sprachen erst ein wenig über den Jahrmarkt und ruhten sich dann von der langen Reise aus.

      2

      Ach du lieber Herrgott! Was gibt es nicht alles auf diesem Jahrmarkt! Räder, Glas, Teer, Tabak, Riemen, Zwiebel, Ware aus aller Welt ... Und wenn man selbst dreißig Rubel in der Tasche hätte, man könnte noch lange nicht den ganzen Jahrmarkt aufkaufen.

       Aus einem kleinrussischen Schwank

      Ihr habt wohl schon einmal einen Wasserfall in der Ferne sich herabwälzen hören? Die aufgestörte Gegend ist voller dröhnenden Getöses, und ein Chaos wundersamer und unbestimmter Geräusche braust im Wirbel an euch vorüber. Nicht wahr? Es sind dieselben Empfindungen, die euch plötzlich im Trubel eines ländlichen Jahrmarktes erfassen, wenn das ganze Volk zu einem riesigen Ungeheuer zusammenwächst und sich mit seinem riesigen Leibe über den Platz und durch die engen Straßen schiebt, schreit, johlt und tobt. Lärmen, Schimpfen, Meckern, Blöken, Brüllen — alles verschmilzt zu einem verwirrenden Missklang. Stiere, Säcke, Strohbündel, Zigeuner, Geschirr, Weiber, Lebkuchen, Mützen — all dies Grelle, Bunte, Missklingende wühlt und wimmelt haufenweise herum und schwirrt einem vor den Augen. Vielstimmige Reden verschlingen einander, und in dieser Sintflut läßt sich kein Wort retten und ist kein Ruf mehr deutlich zu vernehmen. Der Handschlag der Händler beim Kaufe ist noch das einzige, was man auf allen Seiten des Jahrmarktes hört. Wagen krachen, Eisenstangen klirren, Bretter fallen lärmend zur Erde nieder, und der schwindelnde Kopf weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Unser zugereister Bauer mit dem schwarzbrauigen Töchterchen drückte sich schon lange unter dem Volk herum: bald trat er an einen Wagen heran, bald befühlte er den anderen und fragte nach den Preisen, unterdessen aber kreisten seine Gedanken unaufhörlich um die zehn Säcke Weizen und die alte Stute, die er zum Verkauf mitgebracht hatte. Aus dem Gesichte seiner Tochter konnte man ersehen, daß es ihr nicht besonders angenehm war, neben dem mit Mehl und Weizen beladenen Wagen herumlungern zu müssen. Sie hätte lieber dahin gewollt, wo unter Leinwandzelten rote Bänder, Ohrringe, Kreuze von Zinn und Messing und Schmuckdukaten kokett aufgehängt waren. Aber auch hier fand sie viel Dinge zu beobachten: es ergötzte sie höchlich, wie ein Zigeuner und ein Bauer einander den Handschlag gaben und dabei selbst vor Schmerz aufschreien mußten; wie ein betrunkener Jude einem Frauenzimmer von hinten Püffe versetzte; wie zankende Händlerinnen einander mit Schlägen und Schimpfworten überschütteten; wie ein Moskowiter sich mit der einen Hand sein Ziegenbärtchen strich und mit der anderen ... Aber da fühlte sie, wie sie jemand am gestickten Ärmel zupfte. Sie wandte sich um — und der Bursche im weißen Kittel und mit den hellen Augen stand vor ihr. Sie erbebte, ihr Herz schlug so heftig, wie es noch nie, bei keiner Freude und keinem Schmerz geschlagen hatte: Wunderlich und lieblich zugleich ward ihr zumute, und sie konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihr geschah.

      »Fürchte dich nicht, Herzchen, fürcht’ dich nicht!« sprach er halblaut


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