Dialoge, Monologe, Interviews. Walter Rupp
Читать онлайн книгу.Das finde ich gut, dass die Leute die Konsequenzen für ihre Dummheit selbst tragen müssen. Ich halte Dummheit für schlimmer als Bosheit.
POLITIKER: Wie kommen Sie zu dieser merkwürdigen Ansicht?
LENIN: Weil schlechte Menschen wenigstens ab und zu einmal gut sein können, Dumme aber immer dumm sind.
POLITIKER: Zum Glück hatte ich meine Lügen so häufig wiederholt, dass die Leute überhaupt nicht mehr hinhörten.
LENIN: So haben Sie keinen Schaden angerichtet.
POLITIKER: Als Milderungsgrund wurde auch anerkannt, dass in meinen Reden kein einziger Gedanke von mir stammte, und ich meine Reden so schlecht abgelesen habe, dass ich unmöglich verstanden werden konnte.
LENIN: Die Gedanken stammten nicht von Ihnen? Wer hat dann für Sie gedacht?
POLITIKER: Ich hatte ja einen Redenschreiber mit reicher Erfahrung als Werbetexter und Ideenspender für Wahlkampfspots, der so allgemein gültige Sätze schrieb, dass man sie für Einweihungsfeiern, Festveranstaltungen, Parlamentsdebatten oder als Hirtenbriefe hätte übernehmen können.
LENIN: Sie brauchten sie nur abzulesen?
POLITIKER: Das hat mir jetzt manchen Ärger erspart.
LENIN: Das Reden habe ich mir nie abnehmen lassen. Ach, was war das für eine Freude, zu erleben, wie die Leute an meinen Lippen hingen, wenn ich von der klassenlosen Gesellschaft sprach. Es ist mir jedes Mal gelungen, Ihnen eine Wirklichkeit zu schildern, die es niemals geben kann.
POLITIKER: Und für diese Lügen müssen Sie jetzt geradestehen.
LENIN: Was heißt Lügen? Es stellte sich gottlob heraus, dass mir die Leute nicht glaubten, und dass ich mich belogen habe. Jetzt muss ich lernen, die Wirklichkeit unverfälscht zu sehen.
POLITIKER: Ich wäre längst frei, wenn die Sache mit den Body-Guards nicht gewesen wäre.
LENIN: Body-Guards brauchte ich nicht. Hinter mir stand wie ein Mann das ganze Volk.
POLITIKER: Man hat mir die Kosten für den Steuerzahler vorgehalten.
LENIN: Es ist erstaunlich, wie gut man hier über die Zustände auf der Welt Bescheid weiß. Unser Geheimdienst hätte sich da ein Beispiel nehmen können. Was waren das für Stümper.
POLITIKER: Gottlob konnte ich nachweisen, dass diese Beträge für Body-Guards im Vergleich zu der unter Parlamentariern sonst üblichen Verschwendung, kaum der Rede wert sind. Aber leider konnte ich nicht beweisen, dass ich eine so herausragende Person bin, die man schützen müsste.
LENIN: *Sehr stolz: Das Volk hat sogar über den Tod hinaus zu mir gehalten. Die Leute standen vor dem Mausoleum Schlange. Das soll mir mal einer nachmachen.
POLITIKER: Und dass Sie sich verehren ließen, hat man Ihnen nicht übel genommen?
LENIN: Man hat eingesehen, dass sich eine Leiche, die am Verwesen ist, gegen Verehrung nicht wehren kann.
NERO
NERO: *Vor einem Grablicht: Immer wenn ich Feuer sehe...
THEKLA: Sie meinen dieses Licht?
NERO: Feuer hat etwas Faszinierendes an sich. Ich könnte stundenlang in die Flammen sehen.*Reicht ihm ein Feuerzeug: Danke, Danke! *Zündet genüsslich ein Grablicht an: Dass Sie mich nicht missverstehen: Ich bin kein Pyromane. Ich habe Rom nicht niederbrennen lassen, um es zu zerstören - das dürfen Sie mir glauben - sondern weil ich ein neues, ein schöneres Rom bauen wollte, das alle anderen Städte überragt.
THEKLA: Oh, Kaiser Nero –
NERO: Lassen Sie den Kaiser weg. Jetzt gilt das alles nichts mehr. Sagen Sie einfach Nero zu mir. Außerdem sollten Sie wissen, dass ich schon lange nicht mehr Kaiser bin.
THEKLA: Ich habe in einem Geschichtsbuch gelesen...
NERO: Werden mir da unedle Motive unterstellt?
THEKLA: Man wirft Ihnen vor...
NERO: Wäre ich doch Schauspieler geworden! Ich hatte dafür ein besonderes Talent. - Aber leider musste ich Kaiser sein.
THEKLA: Sie waren nicht gerne Kaiser?
NERO: Die Staatsgeschäfte haben mich angewidert. Sie zwangen mich, meine musischen Neigungen zu unterdrücken. Es ist für die Nachwelt ein unersetzlicher Verlust, dass ich nicht Architekt geworden bin. Ich hätte aus Rom die schönste Stadt der Welt gemacht.
THEKLA: Wir haben uns damals amüsiert, dass Sie bei Ihren Auftritten auf der Bühne die Zugänge zum Theater verriegeln ließen.
NERO: Ich musste es. Die Leute hatten wenig Kunstverstand. Sie wären so töricht gewesen, wegzulaufen.
THEKLA: Sie werden sich nicht an mich erinnern können, Majestät.
NERO: Mit dem besten Willen nicht.
Thekla: Ein Kaiser kann unmöglich alle Untertanen kennen, und alle, die durch seine Verfolgungen umgekommen sind. Es waren doch zu viele.
NERO: *Erschreckt: Es war nicht meine Absicht...
THEKLA: Ich bin Thekla. Sie haben mich den wilden Tieren vorwerfen lassen, den Löwen und den Tigern?
NERO: Gewiss nicht aus Grausamkeit! Ich war zu nachgiebig.
THEKLA: Dem Volk gegenüber?
NERO: Was hätte ich machen sollen? Es wollte Brot und Spiele.
THEKLA: Und ein Kaiser ist nun einmal für sein Volk da.
NERO: Hätte ich mich gegen mein Volk stellen sollen?
THEKLA: *Zeigt ihre Wunden, die ihr die wilden Tiere zufügten. Diese Wunden verdanke ich Ihrer Gutmütigkeit.
NERO: Ich hätte mich nicht auf meine Richter verlassen sollen.
THEKLA: Sie haben mich zur Märtyrerin gemacht. Aber dem Christentum haben nur die Zeiten geschadet, in denen man es in Ruhe gelassen hat.
NERO: Danke, danke, dass Sie das so ehrlich sagen! –
THEKLA: Ich wundere mich noch heute, wie ich das alles durchstehen konnte.
NERO: Und was ist aus Rom geworden?
THEKLA: Ja, was ist aus Rom geworden?
NERO: Ich liebe Rom noch immer.
THEKLA: Es ist inzwischen eine bedeutende, an Kunstschätzen, an Baudenkmälern reiche Stadt, wie ich das von oben aus sehen kann.
NERO: Ich kann gar nicht genug davon hören.
THEKLA: Erzählen Sie!
NERO: Was ist aus meinem Palast geworden? Steht er noch?
THEKLA: An seiner Stelle steht ein Parlament.
NERO: Parlament? Darf da womöglich jeder reden, worüber er reden will?
THEKLA: In vielen Völkern hat sich das durchgesetzt, dass jeder gleichberechtigt mitentscheiden darf.
NERO: