Denk mal!. Helmut H. Schulz

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Denk mal! - Helmut H. Schulz


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und ein eiskalter Regen strömte hernieder. Er kam aus dem Bergmassiv, das sich weit hinter einer Ebene erhob und grau verhangen war. Simon, der Stumpfnasige und mein Wachführer, meinen, dass wir uns wahrscheinlich dem Ziel der Reise nähern. Dieses unbekannte Meer scheint irgendwo im Osten begrenzt zu sein, ist also mit keinem anderen Meer verbunden. Für die Landnähe spricht auch das Auftauchen größerer Schwärme Seevögel, die kreischend und flügelschlagend unser Schiff umkreisen. Simon erzählte, dass Jason aus Jolkos stamme, wo ein Mann namens Pelias herrsche und mein Simon äußerte den Verdacht, jener Pelias habe seinen Neffen, nämlich Jason aus Jolkos entfernen wollen, seinen Vater jedoch in Jolkos festgehalten. Ich kann mir denken, wie es sich damit verhält; Familienzwist, man hat dergleichen oft gehört.

      Mit Simon werde ich Freundschaft halten, da wir beide aus Korinth stammen und Landsleute sind, wie wir feststellten. Ist er verschlossen, so will ich verschwiegen sein. Er wird mir nützen, denke ich. Als Schlagmann, wenn wir rudern müssen, weil Windstille herrscht, sitze ich in seiner Nähe, er bestimmt den Schlag. Jason scheint ihn zu kennen und bringt ihm Vertrauen entgegen. Simon meint, dass Jason jähzornig und unberechenbar ist, wusste aber außer Gerüchte über Jasons Vergangenheit nichts Genaueres. Er hat wahrscheinlich viel auf dem Kerbholz, aber aus Jason klug zu werden, ist mir nicht gegeben. Ich habe Simon gefragt, was er von dieser Reise halte, worin der Sinn liege, in so entfernte und anscheinend unbewohnte Weltgegenden zu segeln. Schweigend sah er gerade vor sich hin, aber ich habe noch den traurigen Klang seiner Stimme im Ohr, als er erwiderte: »Nicht alle Fragen kann ich beantworten, o Kleon. Ich weiß aber, dass es Menschen gibt, die es wegzieht von Heim und Herd. Wir Griechen sind nun mal ein Volk, das bekannt ist durch seine unstillbare Neugier. «

      »Was mich betrifft, so ziehe ich ein ruhiges Leben vor, mein Simon, ich bin hier, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, nicht aus Neugier jedenfalls, das ist sicher, und ich habe eine gute Frau und zwei hübsche Kinder. Gebe Zeus, dass ich sie wiedersehe. «

      »Du bist ja auch nicht Jason«, sagte mein Simon, »wer hat vor uns das Ruder gekannt? Wer die Sternbilder ergründet, nach denen wir segeln? Wer den Zirkel erfunden? Den Magnetstein entdeckt? «

      »Die Gottheit lehrte uns«, warf ich zögernd ein.

      »Die Gottheit? Welche? Wir messen uns mit ihr, o Kleon«, schloss er. Ich bemerkte, wie sehr er im Banne Jasons steht.

      Nach dem Sturm der uns heimsuchte, opferte Jason dem Erderschütterer, er ließ das Blut des Tieres über den Opferstein rinnen, sprach die heiligen Beschwörungen und ich, der wie die anderen von ferne zusah, meinte den Namen der Athene zu hören. Das ganze Opfer wurde indessen verbrannt, darauf beruhigte sich die See, günstiger Wind kam auf und wir setzte das Segel. Ohne Zweifel hatte die Gottheit das Opfer angenommen.

       3

      Wir marschieren seit einigen Tagen durch ein wildes unbewohntes Land. Das Laufen ist für Seeleute immerhin sehr beschwerlich, es geht bergauf und bergab. Jeder von uns Schiffsknechten trägt eine Last aus Nahrungsmittel und Sachen, nur ein paar Mann wurden als Wache bei der Argo zurückgelassen. Aber keiner von uns weigerte sich, als Jason befahl den Fußmarsch anzutreten. Wir sind Seeleute und nur dazu verpflichtet, Seemannsarbeit zu leisten. Am Ende aber hat mein Simon Recht und wir sind wirklich ein neugieriges Volk, das die Gefahr der Ruhe vorzieht. Wie dem auch sei, wir bilden eine stattliche Schar und jeder kann die Überlegenheit des Schiffsherrn sehen, der uns in eine unbekanntes Land führt. Bevor wir diesen Marsch antraten, hielten wir eine längere Rast. Wasser wurde in großen Kesseln erhitzt, und wir Griechen badeten nach unserer Gewohnheit ausgiebig, schnitten uns Haar und Bärte und salbten uns. Unsere Führer legten kostbare Gewänder an und führten bei den Kampfspielen den Waffentanz vor. Jason warf den Speer am weitesten und überragte auch alle beim Schwerttanz. Mein Simon nannte mir die Namen all der Helden und ich bekam eine hohe Meinung von diesen Männern, unter denen einer war, der sich Herkules nennt, und den jedes Kind in Griechenland ob seiner Taten kennen sollte; Kastor mit seinem Bruder Pollux sah ich hier auch zum ersten Male und ein zierlicher Mensch sang zur Lyra Lieder, deren Sinn wir nicht verstanden, der aber von Jason mit großem Respekt behandelt wurde.

      Man macht viel Aufhebens von dieser Fahrt, und Simon meint, dass diese Reise nur unternommen wurde, um sich in verschiedene Mysterien und geheime Religionen des Ostens einweihen zu lassen. Aber das Land ist unwirtlich. Nachts ist es bitterkalt, am Tage kocht uns das Sohlenleder unter den Füßen. Nach dem Festmahl wird nur noch zweimal täglich gegessen, Brot und Zwiebeln, dazu gibt es ein Quantum Wein, der mit Quellwasser verdünnt wird. Treffen wir nicht bald auf Menschen, so werden wir zugrunde gehen. Hierzu bemerkte mein Simon: »Was bist du für eine Waschlappen, o Kleon, daß du wie ein Weib jammerst? Und siehst du nicht, dass unsere geharnischten und gepanzerten Helden kaum besser dran sind als du? Bedenke, dass dir am Ende deiner Wanderung vielleicht Speise und Trank in Überfülle von einigen hübschen Hetären gereicht wird. Vorwärts also und nicht gemault!«

      Ich bedachte, dass mit jeder Rast meine Last zum Glück geringer wird und mich nach Menschen zu sehnen, wollte mir nicht in den Sinn kommen. Wir sind mit keinen guten Absichten hier, glaube ich und mein Simon sagt, die Leute hier essen bei ihren Festlichkeiten gern Menschenfleisch.

       4

      Aites, den seine Leute und unsere Schiffsherren einen König nennen, ist ein Mann von untersetzter Statur mit einem runden Gesicht und geschlitzten Augen. Ist seine Gestalt klein, so verfügt er über große Körperkräfte, heißt es. Er und seine Leute wohnen in runden Großzelten aus Stoff und Leder. Oben n der Mitte befindet sich ein Loch, durch das der Rauch abzieht, wenn drinnen gekocht wird. Auf dem Boden liegen Tierfelle und an den Zeltwänden ringsum hängen Geräte und Waffen; die Schädel getöteter Feinde sehen auf die schmausenden Zeltinsassen herab. Die Männer bekleiden sich ebenfalls mit Tierfellen, nur die Großen des Landes tragen wunderbar leichte bunte und glänzende Stoffe, die von weither kommen sollen. Alle Krieger lassen sich die Köpfe kahl rasieren, bis auf einen Zopf, der ihnen bis auf den Rücken herabfällt. An Waffen führen sie Pfeil und Bogen und lange Dolche und auf ihren kleinen Pferden sitzen sie wie festgeleimt; aber sie alle tun gar nichts und leben nur von Diebstahl oder Raub.

      Dennoch hat die Gottheit uns in die Zelte dieser Bande geführt und wir genießen Gastfreundschaft, trinken eine stark riechende berauschende Milch, denn hier geben die Pferde Milch. Rinder, wenn sie welche fangen können, töten sie und verzehren sie. Wir essen geräuchertes Fleisch von Hammeln und man gibt uns ein dünnes, duftendes Getränk, welches aber nicht betäubt, sondern im Gegenteil zu Taten ermuntert. Jason und die anderen leben getrennt von uns in besonderen Zelten. Uns Knechte hat man verstreut untergebracht, und ich bin froh, wenn ich am morgen eines jeden Tages wieder die Sonne erblicke. Des Nachts kriechen ihre Weiber auf unsere Lager und geben sich uns kichernd hin, die Ehemänner hindern sie nicht daran. Wenn dies die Hetären sind, die mir mein Simon versprochen hat, so hat er keine Ahnung, wie eine Hetäre riecht, jedenfalls nicht wie ein Ziegenbock. Kürzlich sahen wir Reiterspiele. Man muss zugeben, in diesen Künsten sind sie uns mindestens ebenbürtig, ausgenommen die Thraker, die sich ebenfalls auf das reiten verstehen. Diese sind aber genau genommen keine Griechen. Danach zeigten die Männer ihre Kraft im Bogenspannen. Diese Kolcher schossen auf weit entfernte Ziele und trafen immer die Mitte der ledernen Scheibe. Selbst Aietes, der kein junger Mann ist, wusste seine Pfeile gut ins Ziel zu bringen. Nach ihm schossen Jason, Peleus, Meleager und ein weichlich aussehender Mensch namens Orpheus, der neulich schmachtend zur Lyra sang. Alle Männer aus Jasons Gefolge schossen recht mäßig, muss ich sagen, verglichen mit den Künsten der Kolcher, die übrigens auch mit Booten auf dem Wasser fahren, allerdings nicht zur See gehen. Wir Schiffsknechte waren etwas enttäuscht. Den kurzen Wurfspieß kennen die Barbaren überhaupt nicht.

      Unter den Gästen sahen wir auch Frauen, unter anderem die Tochter des Aietes, ein Mädchen namens Medea, von der sie eine Menge Aufhebens machten. Sie krochen geradezu vor dieser Medea, die ein hübsches Gesicht hat, trotz ihrer Schlitzaugen und Hängebacken, aber unter einem langen grünen Gewand einen plumpen Körper verbarg. Sie sah verlebt aus, ich würde sie nicht begehren wollen, aber sie soll eine berüchtigte Zauberin sein. Gegen Ende des Wettkampfes tanzten unserer Gastgeber zu kleinen und großen Trommeln und stimmten einen


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