Denk mal!. Helmut H. Schulz

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Denk mal! - Helmut H. Schulz


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      Ich bin in Sorge. Wir sind nun viele Monate fort, der Winter steht vor der Tür und diese Barbaren sagen, dass er hier sehr kalt werden kann. Wir besitzen keine warme Kleidung und unsere Gastgeber scheinen unser längst überdrüssig zu sein. Wie es scheint, will uns Arietes hier ewig festhalten zur Belustigung seiner Horde, für die wir so etwas wie besonders seltene Tiere sein mögen. Unter Umständen werden wir für ein Festmahl gemästet. Seit gestern werden wir Schiffsknechte auch zur Arbeit gezwungen, ohne dass Jason sich für uns verwendet hätte. Wir zupfen Wolle, walken und waschen sie zu Filz, denn sie halten und züchten neben den Pferden auch kleine magere Schafe, die allerdings eine schöne Wolle geben. Mein Simon, der immerfort vergnügt ist, sagte: »Weshalb machst du so ein Gesicht, o Kleon? Ist es nicht schön, fremde Lände und Sitten zu kennen? Übrigens hat man dir doch leichte Arbeit gegeben, verglichen mit der Plage auf einem Schiff. Dieser Menschenfresser Arietes ist ein gemütvoller Tyrann und lässt uns nichts entbehren. Selbst unsere Nächte sind versüßt durch diese nach Schafmist riechenden Töchter Asiens. Was greinst du also, o Kleon? «

      »Kannst du mir auch sagen, was hier tun, mein Simon? «

      »Das könnte nur die Gottheit oder Jason«, sagte mein Wachältester.

       5

      Es kam wie es kommen musste, gestern versuchten drei von uns Schiffsknechten zu fliehen, was völlig aussichtslos ist. Man hat sie eingeholt und zurückgebracht. Jason und die Schiffsherrn beteiligten sich an der Jagd; er verhörte sie auch, während wir übrigen einen Halbkreis bildeten, umzingelt und bewacht von den Barbaren auf ihren Pferden, diese Krieger hatten lange Peitschen in den Händen und Wurfschlingen, mit denen sie geschickt umzugehen wissen. Wir alle wussten, dass es für unserer Genossen keine Rettung gab, sie wurden an Pfähle gebunden und die Barbaren schossen mit Pfeile auf sie, nach dem man ihnen Nase und Ohren abgeschnitten, ihnen die Augen ausgestochen und die Hoden abgeschnitten hatte. Zum Schluss wurden sie verbrannt, jedenfalls ist an Flucht nicht zu denken.

       6

      Der Winter her ist grausam und endlos lang, scheint es, aus der Ebene weht ständig ein eisiger Wind, mehr ein Sturm, welcher nadelscharfe Kristalle aus Eis aufwirbelt. In den Zelten der Barbaren verlöschen die Feuer nicht, die sie mit getrocknetem Mist, den sie während des Sommers sorgfältig sammeln, unterhalten. Indessen zieht der Rauch nicht so schnell ab, wie es wünschenswert ist. Sollte ich mich jemals an meine Fahrt in die Kolchis erinnern, wird mir wahrscheinlich als ersten ein durchdringender Gestank einfallen. An Nahrung fehlt es uns nicht, aber man reicht es uns nicht mehr mit der gleichen Gastfreundschaft wie ehedem.

      Jason und Schiffsherren sind verschwunden, mit ihnen ist auch Aietes mit seiner Kriegerhorde fortgezogen, und ich nehmen an, dass sie irgendwo auf Raub ausgehen, da diese Kolcher nichts tun, keine Äcker bestellen, sondern ihre Tiere auf die höher gelegenen Almen treiben und sie dort sich selbst überlassen. Von ihrem Vieh verwerten sie alles; das Fleisch wird in Streifen geschnitten und auf Vorrat getrocknet, die Sehnen zu starken Stricken gedreht und aus Knochen- und Hornstücken bauen sie ihre kleinen starken Bögen. Viele von uns Schiffsknechten sind erkrankt etliche an einem unbekannten Fieber gestorben, und die Barbaren ließen ihre Leichen fortschaffen, wie wir vermuteten, um Teile davon aufzuessen. Alle sehnen sich fort und nach Hause oder wenigstens an Bord der Argo, die vielleicht längst vom Sturm zu Trümmer zerschlagen worden ist.

      »Noch wahrscheinlicher ist es«, ließ sich mein Simon dazu vernehmen, »dass die Schiffsherren mit der Argo entflohen sind und uns hier zurückgelassen haben. «

      »Was das betrifft, mein Simon, so gibt es keinen Ort, wo sie sich sehen lassen dürften. Bedenke, wie viele Tage wir gewandert sind, ehe wir auf diese Barbaren stießen. «

      Aber ich wusste sehr gut, dass es viele Gelegenheiten gibt, um sich zu verstecken, falls man abwarten kann und die Freiheit liebt. Und vielleicht kehrt Jason auch mit dem Kolcherkönig zurück, beladen mit Raub, den sie teilen. Wir arbeiten schwer; die Herden der Barbaren sind ständig auf Wanderschaft. Manchmal gehen die Tiere bis hoch hinauf in die Berge, oder sie steigen herunter von den vereisten Almen, je nachdem, in der Hoffnung Futter zu finden. Wir müssen die Tiere auf den kleinen Pferden führen, und ich bin ein recht guter Reiter und Hirt geworden, aber diese Tätigkeit ist gefährlich, nicht so angenehm wie in Arkadien, wo man unter einer Eiche liegt und träumt, wenn man Ziegen hütet, es Pan überlassend, die Tiere zu beaufsichtigen, die er zum Dank beschlafen mag, was eine merkwürdige Art Nymphen ergeben soll. Trauer, Krankheit und Trübsal suchen uns heim. Niemand ist unter uns, der den Vogelflug deuten kann oder aus den Eingeweiden des Opfertieres unser Glück oder Unglück herauslesen könnte, abgesehen davon dass diese kleinen zottigen Viecher von der Gottheit als Opfer kaum angenommen werden.

       7

      Zeus sei Dank, wir sind auf dem Rückweg, der Frühling hat das Land mit frischem Grün gesegnet, die Winde gehen leicht und gelinde über unsere Köpfe hinweg. Wir reiten auf merkwürdigen Tieren, deren Rücken mit zwei Buckeln verunstaltet ist. Jason und die anderen Schiffsherren reiten auf guten Pferden. Die Lasttiere sind mit Kisten und Säcken beladen, deren Inhalt wir zwar nicht kennen, der aber sehr kostbar sein muss. Und die Tochter des Barbarenkönigs ist bei uns, das dicke Mädchen mit dem hübschen aber verlebten Gesicht. Jason scheint in sie verliebt, oder er gibt vor, es zu sein. Sie halten sich während des Rittes dicht beieinander und führen einen Jüngling mit sich, der, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Pferd angebunden ist. Auch seine Augen sind von einer Binde verdeckt. Mein Simon sagt: »Ich bin besorgt, dass sie diesen Sohn des Aietes töten wollen, und das wird ein Unglück sein und uns alle treffen, denn ohne Zweifel werden wir von dem Barbarenkönig verfolgt. «

      »Wenn das stimmt, und es wird wohl stimmen, dann hätte Jason einen Schatz geraubt, die Königstochter entführt und den Sohn des Königs als Geisel genommen? «

      »Glaube was du willst, o Kleon, aber erst wenn du wieder in Korinth unter deinem schützenden Dach und unter Menschen bist, wirst du Gewissheit haben, « erwiderte meine Wachältester. »Die Seefahrt ist von alters her darauf gerichtet, Länder und Städte zu plündern, und ihre Bewohner auszurotten. So auch hier. Diese vielen Kisten dürften einen kostbaren Schatz enthalten, aber dich werden sie um deine drei Obolen täglich bescheißen, o Kleon. Was ich indessen nicht begreife, ist, weshalb wir diese Medea wie eine Königin behandeln, die leibliche Schwester dieses armen Absyrtus, den sie sicher zu einem üblen Zweck mitführen. «

      Ich hatte wenig Lust, über diese Dinge nachzugrübeln, meine Augen suchten den Horizont nach einem Zeichen ab, nach Seevögeln oder einem blauen Streifen. Nichts ersehnte ich mehr als Wasser, das blauer Wasser des Okeanos, bin ich doch Seemann, habe mit diesen Räubereien nichts gemein und übrigens ist das sitzen auf diesen buckligen Tieren alles andere als ein Vergnügen.

      Wir sind unter Segel und auf dem Meer. Jason trieb zur Eile und versprach uns einen Aufschlag auf die Heuer, falls wir ihn und seine Schätze, sowie die beiden Geiseln und natürlich uns selber retteten. Wir luden diese verfluchten Höckertiere ab, die so erstaunlich ausdauernd waren, keinen Durst kannten, während den Pferden bald der Atem ausgeht, wenn sie nicht genügend Wasser bekommen. Dann sahen wir die Segel der Schiffe des Aietes hinter uns am Horizont auftauchen. Jason befahl, der Riemen auszulegen; er selbst zog sich mit den Schiffsherren, mit dieser Medea und dem Sohn des Aietes nach achtern zurück. Schließlich geschah etwas Rätselhaftes; wir gingen an einem Felseneiland vor Anker, obschon die Schiffe der Barbaren näher kamen. Jason und die Schiffsherren betraten mit der Medea und dem Absyrtus Land und wir verloren sie aus dem Blick. Auf den feindlichen Schiffen gingen die Segel nieder; offenkundig verhandelte Jason mit Aietes um unseren freien Abzug. Bei Sonnenaufgang, nach einer bange durchwachten Nacht setzten wir erneut Segel und gingen Anker auf. So hatte Jason also im Sinn gehabt, Absyrtus gegen unsere Freiheit einzutauschen. Seit der Nacht an der Felseninsel ward der Knabe nicht mehr an Bord gesehen. Wenn die Gottheit will, dann sind wir gerettet.

       8

      Das Meer


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