Denk mal!. Helmut H. Schulz
Читать онлайн книгу.Auf dem Wagen, den wir mitführen, sollen Waffen verborgen sein, Spieße und lederne Gesichtsmasken. Offiziell wird gesagt, die Wagen enthalten Geräte und Baustoffe, denn das Holz soll dort, wohin wir ziehen, knapp sein. Neben dem vielen Gerede über das Unternehmen beschäftigt die Leute natürlich der Wunsch nach Beute, die Mehrzahl mag überhaupt nur aus diesem Grunde den Zug mitmachen.
Großer König, gib deinen Satrapen den Befehl, die Durchzüge nicht zu behindern, sondern sie zu befördern. Deiner Reiterei vermag nichts standzuhalten, und Geld für den Kauf von Lebensmitteln scheint genügend vorhanden zu sein.
Amon-Es hat einen Tagesbefehl erlassen, in dem es heißt, um den Gerüchten Einhalt zu gebieten, lasse der Erleuchtete, dessen Antlitz niemand sehen dürfe, weil es flammend und ganz von Gold sei, durch den Mund seines Priesters folgendes bekannt machen: Ein Tempel solle in Sesach errichtet werden, größer als der der Ischtar, strahlender als der des Marduk und dort sollten alle Wohnung nehmen, die dem Erleuchteten dienen. Nicht Krieg und Kampf, nicht Unterdrückung und Herrschaft sei das Ziel dieses Zuges, sondern die ewig befriedete und freundliche Welt.' Ein Grieche drückte die allgemeine Stimmung aus, indem er dazu bemerkte: 'Ein Tempel wird gebaut? Wie groß denn, wenn alle Menschen darin Platz haben sollen?'
Eine ungeheure Mauer gegen die Meder werde errichtet, sagen andere, einen Riesentempel für die Kybele, welche ihre Priester in Weiber verwandelt, meinen wieder andere. Was jedoch wirklich alle bewegt, ist die Hoffnung, dass die große und reiche Stadt Babylon geplündert werden darf.
Niemand nennt hier übrigens seinen Namen und verrät seine wirkliche Herkunft, es haben sich Ägypter, Syrer, Thraker, Griechen, Phrygier und andere einschreiben lassen. Später soll sogar ein Eid auf den Erleuchteten geleistet werden. Obgleich auch Karsos seine Herkunft sorgfältig, zu verbergen sucht, erregte er den Verdacht des schurkischen Priesters. Dieser ließ ihn rufen. Er fragte Karsos, an was er glaube.
Karsos antwortet, er glaube an das, was seine Väter geglaubt hätten, an Mithras, dem Sonnengott, dem unbesiegbaren, der Mithilfe von Ameise, Schlange und Skorpion den Stier getötet habe.
Darauf sprach der falsche Priester:
"Das wundert mich, Karsos, Du gibst vor, Kilikier zu sein und betest zu Mithras? Betest du nicht etwa den Orpheus an? Man hat mir berichtet, kürzlich sei im Lager die geheime Einweihung eines Mysten in den orphischen Kult vorgenommen worden? Weißt du etwas darüber?"
"Ich weiß nichts darüber, Herr.
"Der Erleuchtete spricht, alles ist unvollkommen. Ich will es vollkommener machen, und wer gegen mich ist, den will ich grausam zu Tode bringen, wer aber für mich ist, der wird meine Schöne ewig sehen."
Ich wagte es, diesem Fanatiker zu widerstehen, indem ich sagte, dass alles Gewordene den Keim für sein Entstehen in sich selber trage, wie jeder sehen könne, der die Natur beobachte. Ob das Gewordene vollkommen sei oder nicht, wäre ganz unerheblich. Ferner sagte ich, nach meinem Glauben, würde ich in Vogelgestalt weiterleben, und ich fügte hinzu:
"Eine so eifersüchtige Gottheit, die einen massenhaften Mord erwägt, um allein herrschen zu können, ist ungeheuer, einmalig, ohne Beispiel. Allein die Vorstellung, jemand werde um eines solchen Anspruches willen getötet und nicht eines heiligen Opfers wegen, was ja mit der Reinigung des Priesters durch die Gottheit verbunden, ist furchtbar."
Sein Auge verfinsterte sich. Er dachte nach und sagte, sich beherrschend:
"Karsos, du hast dich gleich zweimal verraten. Erstens spricht aus dir der Orphiker, wenn auch in unklarer Form. Zweitens erkenne ich in deinen Reden die Lehren jener, die überhaupt meinen, ohne einen Schöpfer auszukommen. Hüte dich! Welches ist dein Beruf gewesen, ehe du zu diesem Zuge kamst?"
Ich sagte ihm, dass ich Seemann wäre. Darauf verlangte er meine Hände zu sehen. Ich musste gehorchen und berührte dabei seine eigenen Hände. Sie waren weich wie bei Priestern und Leuten, die kein Gewerbe betreiben, keinen Handel ausüben aber auch keine Krieger sind. Schlau wies er mir die Gams. Ich vollführte ein paar Messungen. Alles fiel zu seiner Zufriedenheit aus.
"Du kannst gehen, aber halte deine Zunge im Zaum."
So ist es mir einstweilen gelungen, diese Bestie zu beruhigen.
Großer König, du solltest alles tun, um gerüstet zu sein. Unsere Mannschaft, Hopliten wie Peltasten, legen täglich etwa siebzig bis hundert Stadien zurück. Wir sind im Gebirge und es kommen noch viele Hindernisse. Wir wissen auch nicht, ob uns alle Völker den Durchzug gewähren. Vielleicht werden wir kämpfen müssen. Jedenfalls werden Monate vergehen, ehe wir den Euphrat erreichen.
Amon-Es ist des Landes unkundig, er braucht Führer. Karsos befürchtet, dass der Zug nach Babylon unternommen wurde, um einen bedeutenden Platz zu erobern. Von dort aus soll dann die Lehre von dem einen Gott, der ewig ist, unfehlbar und mordgierig, über die Erde verbreitet werden. Dieser Erleuchtete wird sich nicht mit dem heiligen Opferblut eines Stieres, eines Widders oder einer Taube begnügen. Er wird auch das Opfer einer Handvoll Hirse durch einen Armen höhnend zurückweisen. Sollte Karsos gefragt werden, worin der Sinn dieser Lehre besteht, was sie den Völkern geben will, und weshalb sie schon viele Priester und Anhänger zu haben scheint, trotz ihres Blutdurstes, so weiß Karos darauf keine Antwort.
Er wird es zu ergründen suchen und seine Meinung dazu aufzeichnen.
2. Die Soldaten des Erleuchteten
Großer König, König der Könige, Karsos berichtete.
Auf Wunsch des schuftigen Priesters, mehr auf seinen Befehl hin -, einem solchen Befehl wagt sich schon niemand im Heer zu widersetzen -, wurde Karos Führer der Zwölfergruppe, welcher der Schutz des Amos-Es obliegt. Damit verbunden war die Erhebung in das Priesteramt.
Es ist ein sonderbares Doppel, Soldat des Erleuchteten und Priester zu sein. Amon-Es befahl dem Karsos unweit der Stadt Gordion in Phrygien auf einem Steinaltar einen Widder zu opfern. Eingedenk der Tatsache, dass sich Karsos in schwerer Gefahr befindet, durfte er sich nicht weigern, obgleich er wusste, dass ihn die Art des Opfervollzuges verraten musste. In Anwesenheit seiner Soldaten und des Ägypters, der dicht bei dem Altar stand, verrichtete Karsos sein heiliges Werk. Das Blut des Tieres rann in hellem Strom über den Altar und sein Stöhnen mischte sich mit dem Geknister des Opferfeuers. Die Eingeweide des Tieres verhießen weder Gutes noch Böses. Obgleich die Soldaten murrten, ließ Karsos das ganze Tier verbrennen. Bis jetzt hielt es noch niemand für nötig, der Gottheit ein so rigoroses Opfer darzubringen.
Großer Gott, der Ägypter erreichte seinen Zweck nicht. Nach diesem vorbehaltlosen Opfer fühlte sich Karsos gereinigt, neu aufgenommen in die Gottheit, schien voller Zuversicht. Auch Amon-Es bemerkte, welche Stärkung dem Karsos aus der heiligen Handlung zugewachsen war. Ärgerlich ging er fort, ließ Karsos aber gleich darauf ins Zelt rufen. Karsos sah ihn auf einem hellgrünen Flies mit eingewebten verschlungenem Muster sitzen, die untergeschlagenen Beine in gestreiften Hosen, wie sie die Barbaren tragen.
"Verzeih, Großer König, nicht du bist gemeint."
In den Händen hielt der falsche Mensch das Sistrum, die Klapper der kuhhäuptigen Isis. Kahl war sein Schädel. Amon-Es warf eine Handvoll eigentümlich geformter Orakelfiguren auf den Estrich und begann darin zu lesen. Aus Scheu vor der Nähe seines Gottes wich Karsos zurück.
Amos-Es fragte: "Warum hast du das Tier ganz verbrannt?"
"Um die Gottheit für unseren Zug gnädig zu stimmen, Herr."
Versunken in die Betrachtung seiner Figuren erwiderte Amon-Es: "Weil du Furcht hast. Welcher Gottheit hast du geopfert?»
Listig antwortete Karsos, wissend, dass der Gott des Himmelslichtes auch in Ägypten verehrt wird:
"Dem Sonnengott."
Ein Schatten lief über das glatte, hohlwangige Gesicht des Amon-Es, als er den Karos anfuhr:
"Im Anfang schuf der Ewige und Einzige Himmel und Erde."
Karsos erwiderte:
"Herr,