Das Urvieh. Margret Jacobs

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Das Urvieh - Margret Jacobs


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gewisse sexuelle Befriedigung dadurch. Nun, seine Kirche erlaubte keine anzüglichen Kontakte mit Weiblichen. Natürlich auch nicht mit Männlichen oder Jüngeren. Das war alles Tabu. Und damit auch für ihn. Aber er hatte schon früh in seiner Jugend festgestellt, dass es ihm Freude sexueller Natur machte, wenn er jemand schlecht behandelte.

      Er hatte das auch bei Tieren ausprobiert und den ältlichen, sabbernden Hund seiner Tante mit einem Stock geschlagen. Der Hund heulte damals auf und biss nach ihm, aber das hatte ihm keine Freude gemacht. Und er hatte es schließlich aufgegeben und sich seiner wahren Natur zugewandt. Menschen quälen.

      Er ging in seiner Jugend dazu über, einen Schulkameraden regelmäßig zu verprügeln. Dirk war ein dicklicher, unbeholfener Junge, der schnell mit dem Weinen anfing, wenn man ihn quälte. Er mochte das Jammern des Jungen und es reizte ihn, mehr davon zu hören. Es war die Kombination aus menschlichem Gejammer und den angstvollen Gesichtszügen des Jungen, was ihn erregte. Er mochte es, den verzweifelten Blick seines Opfers zu sehen. Und er liebte die Gewissheit, dass sein Opfer wehrlos war und sich nicht gegen ihn widersetzen würde.

      Heute quälte er anders.

      Er bedauerte es, dass er die Wahrheit der Kirche nicht in seine Gefolgschaft rein prügeln konnte. Das war verboten. Aber er konnte gut mit Worten umgehen und so betonte er in seinen Predigen gerne, dass auch körperliche Züchtigung bei Frauen und Kinder durchaus angebracht war. Bisher hatte sich noch keiner darüber beschwert. Nun, in seiner Kirche saßen ausschließlich Menschen, denen solche Gedanken gefielen. Wie hätte es auch anders sein können?

      Zufrieden kaute er an seinem Schinkenbrot, das er sich in der Mitarbeiterküche geschmiert hatte. Nun, die kleinen Snacks für zwischendurch waren seine kleinen Sünden, die er sich ab und zu gönnte. Man konnte es an der Wölbung seines Bauches sehen, dass er dem Essen zugeneigt war. Nun, was sollte es? Kleinen Sünden waren erlaubt, besonders bei so einem schweren Auftrag, den er inne hatte, wie die großen Sünden der Kirchenmitglieder aufzuspüren und auszumerzen.

      Aber insgeheim dachte er, dass es noch andere Probleme in der Gemeinde gab. Tiefgründigere. Es war eine heikle Angelegenheit. Aber seit er die Fortbildung gemacht hatte, bei einem Pastor, älteren Semesters, der mit seinem unerschütterlichen Glauben und seiner Weisheit, ihm neue Dimensionen der Erkenntnis geöffnet hatte, lies das Ganze ihm keine Ruhe mehr. Dieses Kapitel des Glaubens hatte er nämlich bisher stark vernachlässigt. Wohl wissend, dass er auf Widerstand stoßen würde, wenn er sich in diese Gewässer vorwagen würde. Das Dämonische. Es war faszinierend und erschreckend zu gleich. Und er war sich sicher, dass es auch in seiner Gemeinde zu finden war. Nur in welcher Form, das wusste er noch nicht.

      Nachdenklich biss er ein weiteres Stück Brot ab und kaute es gut durch. Er hatte gehört, dass man abnahm, wenn man sich beim Essen Zeit ließ. Das wollte er versuchen. Irgendwie war es ihm peinlich, dass man seine Sünde der Völlerei so offenkundig sehen konnte.

      Aber wo war das Dämonische hier?

      Hannelore pfefferte die Schreibtischschublade dermaßen zu, dass es ein Wunder war, das diese heil blieb. Sie konnte machen, was sie wollte, der PC ging stets eigene Wege. Sie hasste das Ding, auch wenn sie wusste, dass es sehr viel mühseliger war, auf einer elektrischen Schreibmaschine die Korrespondenz zu tippen, als auf einem PC. Trotzdem verfluchte sie das Ding.

      Ach, wäre ich doch nur nicht Sekretärin geworden, sondern irgendetwas anderes, Aufregendes, draußen an der frischen Luft, dachte sie bei sich. Sie hüstelte. Sie hatte den Eindruck, dass die billige Teppichware ihr den Atem nahm. Sie konnte so viel lüften wie sie wollte, der Gestank nach Plastik ließ sich nicht entfernen. Und eine Atemmaske konnte sie auch nicht tragen, denn ab und zu kam ja ein Besucher und was sollte der dann denken?

      Ihre Mutter hatte sie dazu gedrängt, was Anständiges zu werden. Und Sekretärin war halt der Beruf, der als seriös und anerkannt für eine Tochter aus gutem Hause galt. Hannelore seufzte. Sie hatte sich nie getraut, ihrer Mutter Paroli zu bieten. Jetzt hatte sie einen Chef, bei dem sie sich nicht traute, auch nur das kleinste bisschen zu sagen und wenn es auch noch so sehr gerechtfertigt war. Doch nahm sie sich vor, bei der nächsten Mitarbeiterrunde das Teppichwaren-Problem anzusprechen. Sie befürchtete, irgendwann von den giftigen Ausdünstungen, Lungenkrebs zu bekommen. Ein schrecklicher Gedanke!

      Unzufrieden hämmerte sie die nächsten Textzeilen in die Tastatur. Sie war froh, dass sie nun alleine in dem Büro saß. Sie hoffte inständig, dass Pastor Krech nicht noch mal heute bei ihr vorbei schauen würde. Bestimmt war er mal wieder nicht einverstanden mit ihrem Arbeitstempo, dabei gab sie sich wirklich Mühe. Na gut, nicht immer. Aber Pastor Krech war auch schwer zufrieden zu stellen. Immer hatte er etwas zu bemängeln. Dieser Mann war die Unruhe in Person. Hannelore konnte sich nicht vorstellen, was Roderich dazu bewogen hatte, Pastor zu werden. Ihrer Meinung nach hätte er besser in den Militärdienst gepasst. Auch konnte sie sich nicht vorstellen, dass Roderich jemals für eine Beziehung offen war, auch nicht in der Zeit als er noch kein Pastor war. Sex hatte er bestimmt auch noch nie gehabt. Er wirkte auf sie so asexuell.

      Holda seufzte über ihrer Handarbeitsarbeit. Kolis trugen selten Stoff an sich. Das war eigentlich eine Angewohnheit der Menschen. Aber seit Abellus die Menschen studierte, wollte er auch Bekleidung wie diese haben. Zumindest wollte er kleinere Kleidungsstücke tragen, die leicht herzustellen waren. Sie mühte sich jetzt schon seit Tagen ab, so etwas wie einen kurzen Rock hinzubekommen. Den Stoff und den Faden hatte Abellus aus einem der Räume in dem Gebäude oben geklaut. Holda wäre es lieber gewesen, Abellus hätte die Gegenstände oben gelassen.

      Ach ja, eine Nadel zum nähen hatte er auch mitgehen lassen. Diese stach regelmäßig in Holdas Finger und machte ihr so deutlich, dass sie lieber nicht mit Menschengegenständen in Berührung kommen sollte.

      Sie leckte das Blut von ihren Fingern und wunderte sich, dass sie diese Arbeit überhaupt für Abellus tat. Schließlich stand es nicht gut zwischen ihnen. Sie machte sich erneut Gedanken darüber, ob sie ihn verlassen sollte oder nicht. Sie zählte die Minuspunkte der Beziehung zu Abellus auf: Sex gab es schon lange keinen mehr zwischen ihnen. Was ihr oft ganz recht war. Miteinander reden taten sie auch nur noch selten und nur dann, wenn es sein musste. Und Abellus schien sich nur noch für die Menschen zu begeistern, für sie dagegen hatte ihr Gefährte kaum noch Interesse. Sie zuckte mit den Achseln. Was sollte sie machen? Sie wusste es wirklich nicht. Nun, bis sie es wusste, konnte sie ja einfach nähen. Warum auch nicht.

      Aber diese Gleichgültig konnte auch ein Fehler sein. Ihre Lebenszeit war zwar noch lang, aber trotzdem ärgerte sie sich, dass sie keinen neuen Partner hatte. Sie hatte es ein mal versucht, von Abellus weg zu kommen. Doch der Neue war eine Enttäuschung gewesen. Zu langweilig. Zu bestimmend. Und schließlich hatte sie doch Abellus vermisst.

      Einige Wochen ging es dann wieder gut zwischen ihnen. Abellus war nicht nachtragend und offensichtlich froh darüber gewesen, dass er nicht länger alleine mit den Erdtieren in seiner Höhle sitzen musste. Aber der Zustand hatte nicht lange angedauert und schneller als gedacht, waren sie wieder an dem Punkt, wo sie zuletzt standen: Langweile und Desinteresse an dem Partner. Abellus begegnete der Langweile, indem er an die Oberfläche flüchtete – und das immer öfters – und sich so die Zeit vertrieb.

      Manchmal dachte Holda, dass sie vielleicht auch ab und zu mal nach oben kriechen sollte. Wenn man Abellus Glauben schenken konnte, war die Welt dort oben aufregender als hier unten. Aber sicher auch gefährlicher. Sehr viel gefährlicher.

      Das Röckchen war fertig und sah schief und krumm aus. Abellus würde darin überhaupt nicht sexy aussehen. Sie verstand nicht, warum er sich so was anlegen wollte. Kolis sahen doch nackt sehr viel besser aus.

      Abellus betrachtete sich in der Pfütze vor dem Kircheneingang. Es hatte jetzt mehrere Stunden geregnet und hier und da stand das Wasser auf den Gehwegen. Das Wasser gab nur eine verzerrtes Spiegelbild von ihm wieder. Er sah sich kaum. Aber das musste fürs Erste reichen.

      Holda wollte wissen, ob sie an dem Rock noch was ändern musste, oder nicht. Er war sich unschlüssig. Für Koli-Weibchen sah er sicherlich damit fürchterlich aus. Aber was sollte es! Er wollte ja kein Weibchen seiner Art aufreißen. Er wollte schick sein


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