Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani

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Transasia. Von Karachi nach Beijing - Ludwig Witzani


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er wieder in seine Normallage herniederkrachte.

      In bewundernswertem Phlegma kletterte der Taxifahrer aus seinem Gefährt, musterte nur kurz die völlig zertrümmerte rechte Vorderseite seines Fahrzeugs und kassierte von mir fairerweise nur den halben Dollarpreis, nicht ohne mir zum Abschied alles Gute für meinen Aufenthalt in Pakistan zu wünschen. Mit einem zweiten, wacheren Taxifahrer erreichte ich schließlich die Innenstadt von Karachi, und, wie nicht anders zu erwarten, waren zu dieser Uhrzeit alle Hotels geschlossen. Da stand ich nun in der letzten Stunde der Nacht auf der Sarwar Sahid Road in der Innenstadt von Karachi und blickte mich um. Langsam wich das Dunkel der Nacht, und wie geisterhafte Schemen schälten sich die Konturen Karachis aus der Finsternis. Die Krähen starteten über Minaretten, Fernsehantennen und Hoteltürmen zu ihrem Morgenflug, und im frühen Licht des Tages wirkten die gesichtslosen Straßenzüge mit ihren abbröckelnden Fassaden wie Schluchten in einem verwunschenen Labyrinth. Auf hunderten von Bettgestellen mit einfachen Drahtrosten, schliefen die Menschen vor ihren Häusern, umschlichen von den Hunden, die in Karachi allmorgendlich als erste erwachten, um vor den Ärmsten der Armen im Marktmüll zu stöbern. Eine Pferdedroschke bewegte sich die halbdunkle Straße entlang, gelenkt vom Milchmann, der mit einem Dutzend unterschiedlich großer Milchkübel auf der Ladefläche seine Morgenrunde drehte. Ein korpulenter Pakistani hatte sich von seinem Drahtbett erhoben und nahm eine Milchkanne in Empfang, während der örtliche Mullah erschien und eine kleine grün gekachelte Straßenmoschee öffnete.

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       Nachtruhe in der Innenstadt von Karachi

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       Mit einem heißen Tschai beginnt der Tag

      Als hätten Milchmann und Mullah das Startsignal des Tages gegeben, rasselten plötzlich die Gitter vor den Läden herauf, und unter allerlei Ächzen und Kühmen erhoben sich die Männer von ihren Charpoys. Der Inhaber des „Nagorni Madina Milk Shop” trat aus seinem Haus, schürte ein Feuer und verrührte in einem badewannengroßen Bottich die dicken Rahmklumpen der Milch zum Tschai. Als sähe er jeden Morgen einen heimatlosen westlichen Touristen an seinem Teestand, reichte er mir wortlos den ersten Tschai des Tages, der ganz ausgezeichnet schmeckte.

      Die meisten Männer, die nach und nach den Teestand betraten und sich gleich mir durch einen heißen Tee zu stärken suchten, hätte man sich mühelos als Hauptpersonen in „Sindbad der Seefahrer” oder ,,Ali Baba und die Vierzig Räuber” vorstellen können. Kräftig und großgewachsen, mit buschigen Augenbrauen und dem unvermeidlichen Schnauzbart unter ihren herrischen Nasen entströmte ihnen eine unerhörte Aura von Virilität. Alle sahen in ihren Shalwar Qamiz Gewändern irgendwie ähnlich aus, und wie es sich für richtige Kerle gehörte, sprachen sie wenig. Von mir nahmen sie keine Notiz, als wäre ich eine zu vernachlässigende Nulldiät, die wie ein Fernsehbild bald aus ihrem Gesichtskreis verschwinden würde. Wieder ertönte der Ruf des Muezzins, und wie auf Kommando verschwanden die meisten von ihnen in die grün gekachelte Moschee.

      Da das Sarawan Hotel noch immer geschlossen hatte, unternahm ich eine kleine Innenstadterkundung. Ich lief an Fassaden mit weit aufgerisssenen Fenstern vorüber, die offenen Mündern glichen, durch die die Kühle des Morgens in die aufgeheizten Häuser eindringen konnte. Im Slalom kurvte ich zwischen auf den Bürgersteigen liegenden Menschen herum, passierte öffentliche Urinale ohne Sichtschutz und beobachtete, wie der Charpati-Bäcker das Frühstück für die Laufkundschaft vorbereitete. Ein Karachi erklomm als erster Kunde den Stuhl eines Straßenfrisörs und erhielt noch vor Sonnenaufgang den landestypisch ölig-glänzenden Haarschnitt. Die wenigen Frauen, die ich sah, waren verschleiert, die Männer trugen den Shalwar Qamiz, einen lang gezogenen Baumwollüberzug, der bis zu den Unterschenkeln reichte und unter dem eine Hose getragen wurde. Ich hörte das Röhren eines alten Esels, der einen überladenen Karren mit Ziegeln über die Straße zog. Rollläden quietschten und eine pakistanische Hausfrau begann ihren Tag mit dem Teppichklopfen auf ihrem Balkon. Und da sah ich ihn, meinen ersten pakistanischen Lastwagen, wie er bunt und herausgeputzt wie ein Streitwagen aus dem Mahabharata um die Ecke bog. Der Verkehr auf den Straßen nahm minütlich zu, und es dauerte nicht lange, da wurden alle Alltagsgeräusche vom Hupen der Autos, Motorrikschas oder Bussen übertönt.

      Schließlich kehrte ich an meinen Ausgangspunkt in der Sawar Shahid Road zurück und sah, dass das Hotel Sarawan geöffnet hatte. Es handelte sich weder um ein Mariott, noch um ein Sheraton, sondern um einen schmucklosen vierstöckigen Bau an einer Straßenecke, den ich aus zwei Gründen gewählt hatte. Erstens wegen der zentralen Lage und zweitens, weil der letzte Lonely Planet Guide die funktionierenden Ventilatoren dieses Hotels gelobt hatte. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass in Karachi regelmäßig der Strom ausfiel und dass dann der Ventilator nur als Zimmerschmuck dient.

      Der Inhaber des Sarawan-Hotels war Herr Ibrahim, ein rustikaler Mann mit pechschwarzen Haaren und herrischem Gebaren, der sofort Vorkasse verlangte. Meine Dollars nahm er gerne entgegen, und da ich gleich für die ganze Woche tauschen wollte, erhielt ich von ihm eine Quittung und ein halbes Pfund abgegriffener pakistanischer Uralt-Rupien, auf denen ich nur die Zahlen lesen konnte. Während dieser Verhandlungen huschten verschleierte Reinigungskräfte um uns herum. Nie habe ich eine von ihnen mit einem Besen gesehen, was ich darauf zurückführte, dass ihre langen Kaftane permanent über den Fußboden schleiften und das Kehren ersetzten.

      Mein Zimmer befand sich im vierten Stock am Ende eines dunklen Ganges und verfügte über den Charme einer Gefängniszelle. Nach dem verschwundenen Gepäck und dem Taxicrash war das der dritte Schock des Tages. Um die Stimmung ein wenig aufzuhellen, schaltete ich meinen Walkman auf Lautbetrieb und hörte das Mandolinenkonzert von Vivaldi, während ich duschte. Obwohl ich den Kalt-Schalter voll aufdrehte, kam nur warmes, braunes Wasser aus dem Duschkopf, eine eklige Brühe, die schon nach zwei Minuten versiegte. Ich legte meinen Schlafsack auf die hoteleigene Bettwäsche und schlief sofort ein.

      Lange kann ich nicht geschlafen haben, denn ich erwachte noch vor Mittag mit rasenden Kopfschmerzen. Zwei Plagen, die mich auf meiner weiteren Reise durch Pakistan begleiten würden, hatten mich geweckt: die Hitze und der Lärm. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müsste ich an dieser Stelle noch den Gestank hinzufügen, denn wie ich bald feststellen musste, existierte die Kanalisation von Karachi entweder nur auf dem Papier oder im im Zustand der permanenten Überlastung. Gottlob schreibe ich das rein theoretisch, denn ein gnädiges Geschick hat mich mit einem extrem unterentwickelten Riechempfinden ausgestattet, so dass ich zwar durchaus wahrnehme, wenn es stinkt, ohne allzu sehr darunter zu leiden.

      Als ich am frühen Nachmittag aus meinem Zimmer in das Hotelfoyer herunterkam, teilte mir Herr Ibrahim mit, dass die Lufthansa angerufen habe und dass mein Gepäck in Kathmandu gefunden worden sei. Spätestens in zwei oder drei Tagen würde mein Rucksack mit dem Rückflug der Lufthansa-Maschine wieder in Karachi eintreffen. Ich nahm diese Nachricht so gefasst auf wie ich konnte, denn sie bedeutete, das ich auf jeden Fall länger als geplant in Karachi bleiben musste. Spontan fiel mir eine moderne Kafka-Variation ein, eine Geschichte, in der es zwar kein Schloss gab, in das ich nicht hereinkam, aber einen Rucksack, auf den ich bis zum Ende meiner Tage warten musste. So schlimm würde es schon nicht werden, tröstete ich mich und schickte mich ins Unvermeidliche.

      Draußen hatte sich inzwischen die Hitze wie ein Verhängnis entfaltet. Die Sonne knallte gnadenlos auf die Vierzehnmillionenstadt, und es war vollkommen unmöglich, in der prallen Hitze durch Karachi zu laufen. Deswegen aktivierte ich mein Hitzschlag-Notprogramm für asiatische Millionenstädte, das einfach darin besteht, sich an den Pool eines Luxushotels zu legen und in der Nähe von Wasserbecken und Duschen so gut wie möglich durch den Tag zu kommen. Nach zwanzig Jahren islamistischem Terrorismus wäre es heutzutage vollkommen unmöglich, in ein pakistanisches Luxushotel einfach hineinzuspazieren und sich an den Pool zu legen. In den Neunziger Jahren war das aber noch kein Problem. Ich brachte mich so gut es ging optisch in Schuss und marschierte zum benachbarten Avari Tower Hotel. Der Türöffner war mit einem Fantasiekostüm ausstaffiert, sagte „Good Morning, Sir”, und verzog keine Miene. Ich grüßte in Richtung Rezeption, durchquerte die Lobby und fand den Poolbereich. Die Liegen waren kaum besetzt, nur eine philippinische


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