Shira und Paul der Mahner. Helmut Lauschke

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Shira und Paul der Mahner - Helmut Lauschke


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in dem wir keine Rinder, keine Schafe halten können.

      Paul. Bedenkt, der Frieden ist verspielt, verloren, Städte und Dörfer sind bis auf den Grund geschoren, ganze Völker brechen entzwei. Was uns blüht, wir werden’s sehn, auch wenn wir es nicht sehen wollen, und keiner kann sich vor dem verstecken, was uns erwartet mit dem Elend und der Not. Drum geht in eure Zelte zurück und lebt in dieser Magerkeit, die Nacht wird euch das Weitere lehren. Ermahnt jene, die da lauthals klagen und wimmern, dass sie die Zeiten, wie sie sind, nicht ändern können.

      Shira. Seht Herr, ich bin schwanger, bringe ein Kind in die zerbrochene Welt. Ich frage euch, wo führt das hin, wenn neues Leben in das Lager kommt, das vollgestopft mit mageren Menschen ist?

      Paul. Was ich dir sagen kann, ist die traurige Botschaft, denn von der Heimat sind wir getrennt, sind abgeschnitten von den Wurzeln unsrer Herkunft, sind verwaist von dem, was uns erzog und uns gehörte.

      Shira. Wer kennt die Menschen, wie sie sind, das hier im Lager mit dem Elend und jene Menschen draußen in der Fremde? Die Not drückt, es wird mir angst und bänger, je länger wir in dieser Verlorenheit hausen.

      Paul. Was du siehst, ich glaub’s, ist doch nicht alles, viel mehr ist’s, was hinter den Hügelhöhen sich versteckt und unter der oberen Wüstenschicht begraben liegt. Es sind Wunden der geschundenen Moral, dass auseinander bricht, ja in Brocken und Stücke zerfällt, was seit Menschengedenken sich zusammenstellt.

      Shira. Wie sollen die Stücke zusammengesetzt werden, dass wieder ein Ganzes daraus wird und das Leben seinen Sinn und seine Ordnung wiederbekommt?

      Paul. Ich sage dir: ich bin weder ein Philosoph noch ein Prophet, doch sehe ich den Himmel ohne Wolken. So sag ich dir aus meiner Kenntnis, dass es auch in diesem Jahr keinen Regen geben und das Fiasko bleiben wird. Denn ohne Regen gibt es weder Reis noch Korn.

      Shira. Das heißt, dass der Hungerschmerz die Menschen krümmt.

      Paul. Ja nicht nur die Menschen krümmt, sondern in großer Zahl die Menschen zu Boden wirft. Die Wunden werden nicht heilen bei der allgemeinen Magerkeit, und die Kinder werden zu Skeletten vertrocknen, denn ohne Milch und Mais und Wasser geht das Leben nicht.

      Shira. Der Herr, was meine Mutter sagt, ist dies: Mein Kind bedenke, in einer Zeit wie dieser bringe kein Kind zur Welt, denn es fehlt am guten Boden, dass der Hunger das junge Leben zerstört.

      Paul. Die Frau soll auch ans Wasser denken, bedenken soll sie, die Brunnen trocknen aus. Der Weg führt immer weiter weg, um das Wasser herbeizutragen, und oft ist der Brunnen vermint, wenn er weitab vom Lager ist. Was ich damit sagen will, ist, die Zeit ist uns nicht mehr freundlich gesinnt, und wir sind nicht mehr weit entfernt, dass uns der Hunger verzehren wird, wenn nicht die Cholera und manch andere Unwesen uns vorher in den Tod getrieben haben.

      Shira. Ja, die Zeit ist uns nicht wohlgesonnen, und das Lager reißt die Würde von den Körpern, sprengt die Hoffnungen aus den Köpfen, zerfurcht die Gesichter immer tiefer und wirrer, dass die Melancholie auf unschuldige Kindergesichter schlägt. Mein ältester Sohn sagt: Mutter, das ist kein Leben im Lager, hier wird jeder noch verrückt. Schau, wie sie schlürfen die hageren Körper, bald werden sie im Abseits liegen, weil ihnen der Atem ausgegangen ist.

      Paul. Das ist, was mich nachts nicht schlafen lässt, weil mir die armseligen Gestalten mit dem Frageblick des Wie-lange-noch vor dem inneren Auge stehn und auf Antwort warten und so meine Träume dermaßen beschweren, dass an den Schlaf nicht mehr zu denken ist.

      Shira. Da kommt zum äußeren Elend die innere Not dazu mit dem Bewusstsein der verlorenen und zerstörten Heimat und der totalen Hoffnungslosigkeit im Wohin, der Frage: Wo können wir noch menschwürdig leben?

      Paul. Das ist dann die Frage des menschlichen Seins, des Daseins mit dem Hiersein, die doch die zutiefst fundamentale Frage ist, wenn aus dem Flüchtlingsdasein mit den bitteren Entbehrungen sich ein Sein von Wert und Würde herausheben soll.

      Shira. Und dieses Sein von Wert und Würde soll näher ans Lager herankommen und sich nicht ins Unabsehbare entfernen.

      Paul. Was die Eile betrifft, da stimme ich dir aus ganzem Herzen zu, aber ich fürchte, dass es ein Kommen von Wert und Würde in absehbarer Zeit nicht geben wird. Dafür hat sich die Not zu breit gemacht und die Fläche von Ländern überzogen, wobei das Elend zum Turm der unvorstellbaren Höhe geworden ist.

      Shira. Dann werden wir in der Wert- und Würdelosigkeit verenden, und die Kinder werden es nicht verstehn.

      Paul. Nein, sie werden fragen, warum sie in diese Welt geboren sind, in der es zu wenig Nahrung und sauberes Wasser gibt, wo die mageren Menschen traurig blicken und an Stöcken gehn und sich nach dem Frieden und den besseren Zeiten sehnen.

      Shira. Und warum das alles so verkommen ist, das kann mit einfachen Worten mir keiner erklären.

      Paul. Das Ungeheuer lässt so einfach nicht begreifen, denk an die Herkunft der Menschen, denk an die Schulen, denke daran, was wir Traditionen und Kulturen nennen. Die Menschen sprechen verschiedene Sprachen, und weil sie das tun, denken sie verschieden über das Leben.

      Shira. Aber was gut und böse ist, daran denken sie doch in gleicher Weise, ich meine, da stimmen sie doch überein.

      Paul. Weil es die traditionellen Unterschiede gibt, verlieren viele Dinge die Gemeinsamkeit, gehen die Meinungen und Kulturen auseinander und machen die Dinge kompliziert, dass es zu Kriegen und zu Morden an unschuldigen Menschen und Kindern kommt. Es ist der Mangel an Verständnis und Verständigung, warum wir in diesem Lager eingepfercht vegetieren, denn ein Leben mit Würde kann man das nicht nennen, während andere Völker unsere Städte und Dörfer verwüsten und unsere Kulturen barbarisch schänden und vernichten. Dabei werden die Menschen nicht verschont, sie werden aus ihren Häusern getrieben, gefoltert und ermordet.

      Shira. Es ist der lange Weg des Leidens ohne Ende, dabei hoffen Menschen auf die lang ersehnte Wende, denn auch die Entbehrung hat ihre Grenzen mit der Enge, dem Hunger und der Magerkeit. Dahin sterben die Alten und mit ihnen die Kinder, denn finster ist auch die Zukunft nicht minder.

      Paul. Und die Finsternis, sie bringt den totalen Tod, da geht es nicht mehr nur ums Brot, wenn Menschen vor den Zelten liegen, denen der Atem weggeflogen ist. Drum setz und erwarte ich fürs Erste die Geduld, auch wenn wir frei sind von der schweren Schuld. Wir dürfen die Hoffnung und den Mut nicht verlieren, wenn es nach vorn und weiter mit uns gehen soll.

      Shira. Weitergehen muss es, sonst sind wir hier am Ende, es wäre fatal, denn auch wir ersehnen die Wende, ich meine die Freiheit, dass die Kinder ihre Mahlzeit bekommen und wieder zur Schule gehen, um zu lernen.

      Paul. Ja, die Kinder sollen lernen und besonders das, was wir verlernt oder versäumt haben zu lernen, ich denke da an das Zuhören mit der Fähigkeit zur Toleranz. Wie anders säh es aus in dieser Welt, wenn wir gelernt hätten, dass auch andere Traditionen und Kulturen ihre positiven und schöpferischen Bildungswerte haben.

      Shira. Doch wir wurden vertrieben durch die Gewalt jener, deren Kulturen der eigenen dazu noch verwandt sind, ich meine Menschen, deren Sprache um Dialektbreite sich von der unsrigen nicht so weit unterscheidet.

      Paul. Ich verstehe den Einwand und fühle die Trauer, die Toleranz liegt vor der Mauer mit Menschen jung und alt, sie wurden gefoltert und ermordet, denen Wert und Würde auf barbarischste Weise geraubt wurden. Darunter sind die Brüder des Glaubens, was sich für uns nicht fassen lässt.

      Shira. Die alten Menschen können es nicht fassen, die mit den Besetzern, den Folterern und Mördern in dieselbe Schule gingen und sich dem selben Glauben täglich hingaben und sich opferbereit darin übten.

      Paul. Das macht die Sache umso schwerer, schneidet aufs Schmerzlichste


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