Alptraum Wissenschaft. Anne-Christine Schmidt

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Alptraum Wissenschaft - Anne-Christine Schmidt


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Baumaßnahmen waren an den Fakultäten Finanzmittel vorhanden; für die Entfristung der Nachwuchswissenschaftler nicht. Die Kollegen, die auf ihrem Weg zur Arbeit an den Beerensträuchern naschten, laufen nun mit starren Blicken in das Gebäude hinein.

      Abiturienten genießen eine freie Studienwahl. Sie wählen das Fach, was sie am meisten interessiert, ohne in ausreichendem Maße darauf hingewiesen zu werden, was sie im späteren Berufsleben erwartet. Ich hätte auch ein anderes Fachgebiet studiert, wenn ich als 18jährige Schülerin richtungsweisende Beratungen erhalten hätte. Was ich letztlich in meinem Studium an unzähligen Zusammenhängen lernte, benötigte ich auf meinem Berufsweg nie wieder. Zwar arbeitete ich über ein Jahrzehnt als Naturwissenschaftlerin, doch die fachlichen Ausrichtungen lagen im Umfeld der verfügbaren Arbeitsplätze in gänzlich abweichenden Gebieten.

      I.III Die goldene Zeit

      Als zum Ende meines Studiums die Zeit meiner Diplomarbeit heranrückte, bot der damalige Professor für Allgemeine und Angewandte Botanik ein Thema in Zusammenarbeit mit einer außeruniversitären Forschungseinrichtung an, welches die Arsenaufnahme und die stoffliche Umwandlung der Arsenverbindungen durch Pflanzen auf Altlastenstandorten des Zinnerzbergbaus behandelte. Da die praktische Durchführung der Thematik in der chemisch-analytischen Abteilung des Forschungszentrums geplant war, schien mir diese Kombination ein guter Kompromiss zu sein, Botanik, Ökologie und Chemie zu verbinden. Eine Ansammlung vielfältigster analytischer Messgeräte, die mit elektrischem Strom zu betreiben und von Computern zu bedienen waren, stand im Mittelpunkt des Geschehens. Biologische Proben sollten mittels diverser Analysentechniken hinsichtlich ihrer Gehalte verschiedener chemischer Elemente und Verbindungen analysiert werden. In Bezug darauf galten die aus pflanzlichen Ursprungsmaterialien zu präparierenden Proben wegen ihrer komplexen Zusammensetzung als schwer handhabbare Matrix. Zunächst zog ich Pflanzen verschiedener Art auf von einer Bergbauhalde geholtem Schlamm in einem einfachen, kleinen Gewächshaus. Nach einiger Zeit meinten meine Betreuer, die Bedingungen darin hinsichtlich Luftfeuchtigkeit, Lichtintensität, Beleuchtungsdauer und Temperatur seien zu unkontrolliert. Daraufhin zogen meine Versuchspflanzen in so genannte Phytokammern um, um darinnen unter kontrollierten Bedingungen zu wachsen. Von nun an sahen sie keine Sonne mehr. Die Phytokammern waren licht- und außenluftdichte Schränke, worin die zuvor „unkontrollierten“ Parameter des Gewächshauses auf technischem Wege exakt eingeregelt wurden. Solche Umstände muten zwar unnatürlich an; man benötigt aber laut wissenschaftlichem Konsens einen vergleichbaren Bezugspunkt in Hinsicht auf die Untersuchung der Arsenaufnahme aus dem Boden. Reflektiert dies dann wirklich die natürliche Situation der auf einer Bergbauhalde sich ansiedelnden Pflanzengemeinschaft? In allen Zweigen der Naturwissenschaft herrscht die Mode, sich möglichst physikähnlicher und vor allem mathematischer Methoden zu bedienen, „und zwar gleichgültig, ob diese für die Erforschung des betreffenden Objektes Erfolg versprechen oder nicht.“ [10] Auch zehn Jahre später, nachdem ich viele Stationen der Naturwissenschaft passiert hatte und längst in einer anderen Stadt arbeitete, verwickelte mich einer meiner Kollegen in eine Diskussion über meine Pflanzenanzuchten. Er kritisierte wie dereinst meine Promotionsbetreuer die unkontrollierten Wachstumsbedingungen und schlug vor, die Pflänzlein unter technisch geregelten Licht-, Temperatur- und Feuchtebedingungen zu kultivieren, damit sie immer denselben Stoffwechselstatus aufweisen und folglich auch stets reproduzierbare Metallgehalte akkumulieren. Selbst wenn die Pflanzen dies tun, was ich aus jahrelanger Erfahrung stark bezweifle (man müsste wenigstens noch eine Abschirmung der mit den Mondphasen und dem Sonnenlauf durch den Tierkreis wechselnden kosmischen Einflüsse erfinden), welche Erkenntnis gewinnen wir daraus? Wenn wir die Pflanzen in den gegenüber der Außentemperatur abgeschirmten Phytokammern anzogen, zeigten sie im Winterhalbjahr keinerlei Wachstumsfreude, obwohl sie doch von der draußen herrschenden Jahreszeit eigentlich gar nichts mitkriegen sollten. Mein Kollege untermauerte seine Ansicht mit den schönen roten Tomaten aus holländischen Gewächshäusern, die das ganze Jahr über auf unseren Tellern landen und seiner Meinung nach auch immer dieselben gesunden Inhaltsstoffe beinhalten. Über die Künstlichkeit der holländischen Tomaten im Winterhalbjahr mag man sich streiten. Wohlmöglich war dem armen Mann noch nie in seinem Leben eine Gelegenheit vergönnt, eine reife Sommertomate aus dem eigenen Garten zu kosten.

      Gleichwohl die Technomanie strahlend erblühte, empfinde ich auch im Nachhinein jene Zeit meiner Diplomarbeit und meiner unmittelbar daran anschließenden Promotion als die schönste Epoche meines Wissenschaftlerlebens. Außerordentlich freundlich wurde ich in die mir bisher fremde Arbeitsgruppe aufgenommen. Der Umgang war humorvoll, geprägt von Verständnis, Kollegialität und fachlicher Aufgeschlossenheit. Es gab sogar viel zu lachen. Die Struktur der Arbeitsgruppe war stabil gewachsen und bestand aus einer ausgeglichenen Mischung jüngerer und älterer Laborantinnen, Ingenieure und Wissenschaftler. Ausländische Gäste aus Russland, Mexiko, Polen und anderen Ländern weilten oft für einige Wochen oder Monate in unserer Abteilung. Auch mit ihnen wurde ein kameradschaftlicher und achtungsvoller Umgang gepflegt. Freilich gab es auch ab und an kleine Ärgerlichkeiten und Streitigkeiten zwischen Kollegen, und ich möchte jene vergangene Zeit auch nicht mit rosafarbenen Tüchern umhüllen, aber in der Relation zu den Personen und Umständen, die mir im dann immerhin promovierten, also höher qualifizierten Zustand an anderen Instituten begegneten, strahlt diese Epoche einen hellen Glanz aus. So verwundert es auch nicht, dass ich in den fünf Jahren, in denen ich als Diplomand und Doktorand arbeitete, kaum einen Tag wegen Krankheit fehlte.

      Eine meiner Hauptaufgaben bestand darin, die Extraktion der von verschiedenen Pflanzenarten aufgenommenen Arsenverbindungen und ihrer metabolischen Umwandlungsprodukte zu optimieren, um die verschiedenen chemischen Verbindungen in nachfolgenden Analysenschritten qualitativ und quantitativ zu charakterisieren. Als Kontrollwert zur Summe der Konzentrationen der extrahierten und getrennten Arsenverbindungen wurde der Gesamtarsengehalt der Pflanzenextrakte bestimmt. Massenspektrometrische und atomspektrospkopische Detektionsmethoden kamen zum Einsatz. Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Untersuchung der Wirkung der Arsenaufnahme auf den pflanzlichen Zellmetabolismus mittels diverser biochemischer Laborverfahren. In diesem Zusammenhang führte ich Stickstoffgehaltsbestimmungen, Proteintrennungen und Toxizitätstests durch. Auch arbeitete ich mit stabilen Isotopen. Meine Laborarbeiten erbrachten eine große Anzahl gut auswertbarer Ergebnisse. Ich arbeitete mit Wissenschaftlern und Laboranten anderer Abteilungen des Forschungszentrums zusammen, so mit der organisch-chemischen Analytik, mit der chemischen Ökotoxikologie und mit einem biotechnologischen Institut, und nutzte deren Laborausrüstung. Dort wie auch in unserer anorganisch-chemischen Abteilung lernte ich sehr viele verschiedene Labor- und Messtechniken, die ich aus meinem Studium noch nicht kannte. Nebenbei absolvierte ich aus freiwilliger Motivation heraus ein berufsbegleitendes Aufbaustudium, wonach ich mich „Fachchemiker für Analytik und Spektroskopie“ nennen durfte und eine Urkunde mit sehr gutem Abschluss erhielt. Im Rahmen dieser in Kurse eingeteilten, zweijährigen Weiterbildung erlangte ich umfangreiche Kenntnisse über chemische und spektroskopische Analytik. Im Verlaufe des wissenschaftlichen Werdeganges gewannen Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere Englisch, an Bedeutsamkeit: man benötigte mündlich und schriftlich fließendes Englisch für den Umgang mit ausländischen Studenten und Gastwissenschaftlern, für das Lesen von Fachartikeln, den Besuch von Tagungen, für internationale Korrespondenzen, für das Verfassen eigener forschungsbasierter Veröffentlichungen sowie länderübergreifender Fachgutachten.

      Doch während jener goldenen Anfangsjahre spürte ich einen ersten kalten Befristungshauch, der von den in kurze Abschnitte von ein- bis zweijähriger Dauer eingeteilten Beschäftigungsverhältnissen auf Projektbasis und der damit verbundenen hilflosen Abhängigkeit herüber wehte und mich mit meiner eigenen Unbedeutendheit in einem kühlen Luftzug umhüllte. Die Bezahlung meiner Arbeit als Doktorandin erfolgte über Projektmittel, die jeweils nur für kurze Zeiträume von ein oder zwei Jahren gewährt wurden. Darum musste ich bereits während meiner Doktorandenzeit einen dreißigseitigen Zwischenbericht samt Fortsetzungsantrag für das Weiterlaufen meiner Promotionsfinanzierung zusammenschreiben, was viel Zeit und Kraft kostete, zumal ich auch ein unerfahrener Antragsneuling war. Nachdem ich die Pamphlete endlich fertiggebastelt hatte und bei der zuständigen Stelle am Forschungszentrum einreichte, wartete ich viele Wochen lang auf eine Antwort. Ich befand mich während dieser Zeit mitten in einer mühseligen, aufwändigen und kräftezehrenden Forschungsarbeit und verfügte


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