Schwindende Gewissheiten. Ursula Reinhold
Читать онлайн книгу.eröffnete ihrem Johannes sogleich, welchen Part er zu übernehmen habe. Sie fuhren für einige Tage in ein Wochenendhäuschen in die Nähe von Königs Wusterhausen. Das nahegelegene Krankenhaus wirkte für Gisela beruhigend, die überrascht zusah, mit welch praktischer Umsicht Johannes an ihr den notwendigen Eingriff vornahm. Zuvor rang er die Hände, rief, es sei unerträglich für ihn, sie so quälen zu müssen.
Als sie beide schnellen Schritts zum dörflichen Telefon eilten, bemerkte sie, dass bereits Blutungen eingesetzt hatten. Schon begannen auch Schmerzen im Leib. Der Notarzt, den sie herbeigerufen hatten, überblickte die Situation offensichtlich sofort, ließ sie mit einem Krankenwagen in die Klinik bringen. Dort angekommen, ließen die Schmerzen nach, Blut tröpfelte nur noch ganz schwach. In ihrem Klinikbett überfiel sie plötzlich große Angst, dass sie das Kind nun doch austragen müsse, es vielleicht mit einer Behinderung zur Welt käme. Sie lag reglos, registrierte die zudringlichen Fragen der Schwester wie aus großer Ferne. In der Nacht setzten die Schmerzen erneut ein, ruckartig und heftig. Das ging einige Stunden so, dann brachte ihr die Schwester ein Becken. Sie solle aufpassen, dass sie das Bett nicht schmutzig mache. Es gelang ihr, die blutige Frucht ins Becken zu entbinden. Sie schaute nicht hin, als die Schwester das Gefäß nahm und forttrug. Schon am nächsten Tag kam sie zur Curettage, wie der Vorgang hier medizinisch genannt wurde. Als sie wieder in ihrem Bett erwachte, fühlte sie sich leer und benommen. In diesem Zustand war sie noch, als Johannes am Nachmittag kam. Er saß an ihrem Bett, streichelte ihre Hände. „Morgen kann ich dich schon abholen“, ließ er sie freudig wissen.
Sie lag apathisch, während er ihr erzählte, was sie schon am Sonntag aus dem Rundfunk gehört hatte. Die Grenzen nach Westberlin waren dicht gemacht worden. „Eine Maßnahme zur Sicherung des Friedens“, meinte Johannes, während er sie wissen ließ, dass er Ärger zu gewärtigen habe. „Ich bin Offizier der Reserve, muss mich bei außergewöhnlichen historischen Ereignissen bei meinem Stab melden“, sagte er erklärend. Wegen mangelnder politischer Bereitschaft und Zuverlässigkeit würde er eine Rüge bekommen. Die Genossen hätten recht, wenn sie ihn straften, fügte er hinzu. Er konnte ihnen nicht einmal erklären, warum er nicht wenigstens im Laufe des Tages nach Berlin zurückgekommen sei. „Ich nehme es auf mich“, betonte er nachdrücklich, auf Gisela hinunterblickend. Offensichtlich litt er unter der Tatsache, ein wichtiges historisches Ereignis versäumt zu haben. Solches Empfinden hatte Gisela für sich nicht. Sie fühlte sich im Krankenbett von der Anspruchslast politischer Betätigung enthoben, die sie sich abzuverlangen gewillt war. Manchmal schon hatte sie das Gefühl, etwas tun zu müssen, aber sie wusste nicht was. Und auch jetzt konnte sie sich nicht vorstellen, welchen Part sie bei der Sache zu übernehmen hatte. Bei so großen Dingen kam es auf sie denn doch nicht an. Sie musste nur sehen, dass sie hier so schnell wie möglich herauskam.
Nach wenigen Tagen zu Hause, begann sie wieder mit der Arbeit. Des Abends brach sie in ein heftiges, für alle überraschendes Schluchzen aus. Unversehens hatte sie ihre Brust berührt, die steif und fest war. Milch war eingeschossen. Damit drang ihr das ganze Elend der vergangenen Tage in die Seele. Die Mutter verordnete kalte Umschläge auf die stramme Brust und Ruhe. Leidlich beruhigt schlief Gisela ein.
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