Mein Leben im CallCenter. Bianca Wörter
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Bianca Wörter
Mein Leben im CallCenter
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Inhaltsverzeichnis
...eigentlich kein Vorwort...
Manchmal ärgere ich mich, dass ich diese Idee nicht schon früher hatte. Als ich 10 Jahre im Reisebüro gearbeitet hatte, hatte ich so viele lustige und Kopfschüttel-Erlebnisse mit meinen Kunden und den diversen Reiseveranstaltern, dass ich damals schon hätte ein Buch schreiben können. Obwohl - es waren mehr Kopfschüttel-Erlebnisse, die so voll gespickt waren mit Interna, dass sie kein Leser als genauso lustig und zum Kopfschütteln empfunden hätte wie die, die sich Tag für Tag mit diesen Erlebnissen haben herumschlagen müssen. Wenn dann noch eine lange Erklärung davor oder danach stattgefunden hätte, wäre die Pointe (Po-Ente) wohl komplett untergegangen, so, richtiggehend abgesoffen (Quak, Quak, Gluck). Würde ich die Erlebnisse jetzt aus dem Gedächtnis rekonstruieren, würde ihnen der natürliche Witz und Elan verloren gehen und es wäre wohl sehr viel mehr Fiktion dabei, als so völlig aus dem Leben einer Reiseverkehrskauffrau gegriffen.
Vor 3 Jahren wechselte ich in die Telekommunikationsbranche, also in ein CallCenter, was bei vielen, denen man davon erzählt, einen Gesichtsausdruck hervorzauberte, der eine Mischung von Entsetzen, Abscheu, Unglauben, Verwirrung, Bedauern, ja, vor allen Dingen Bedauern darstellt. Es ist heutzutage angesehener, wenn man sagt, dass man Hartz IV Empfänger ist, anstatt CallCenterAgent.
„Du arbeitest im CallCenter?", quietschen die entsetzten Bemitleider und nehmen schnell ein paar Schritte Abstand, als handelt es sich hierbei um eine besonders heimtückische Krankheit, deren Übertragungsrate bei 100 % liegt und direkt von Mund zu Ohr verbreitet wird.
Gefolgt wird dieser Kommentar und das panikartige Zurückweichen von dem 2. typischen Satz, den man sich als CallCenterAgent von Verwandten und Bekannten immer anhören muss: "Aber doch nur übergangsweise, bis du was Gescheites findest", nachgeschoben von einem unsicheren: "oder?", verzweifelt, weil der Bemitleider hofft, dass die Mediziner zwischenzeitlich ein wirksames Medikament gegen diese Krankheit gefunden haben.
Der 3. Kommentar lautet dann: "Also, ich würde das nicht machen!", als würde es schon eine Impfung dagegen geben. So auf die Art: "Was? Du arbeitest im CallCenter, das muss doch heutzutage nicht sein, da gibt es doch was dagegen. Gehst du nicht regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung?" Bin ich hirnkrank, oder was?
Ist diese Phase der Kommunikation vorbei, muss man sich stundenlang Erlebnisse anhören, die derjenige, der schon in diversen CallCentern angerufen hatte, durchleben musste:
Von der Warteschleifenmusik, die ewig lang dauerte, bis man mal durchkam, die so schrecklich war, dass man am liebsten aufgelegt hätte,
von der Tussi, die keine Ahnung hatte und der man erst einmal den Marsch blasen musste und den Chef verlangt hatte,
von der Anstrengung, bis mies gelaunte Personen sich endlich mal dazu herabgelassen haben zu verstehen, was man eigentlich will,
von der Unverschämtheit, dass man erst einmal mit dem Vorstand, Verbraucherschutz und Rechtsanwalt drohen musste, bis jemand überhaupt einmal etwas getan hatte, was zu einer Lösung des schwierigen Problems ansatzweise führte, etc., pp...
Spätestens ab diesem Zeitpunkt fühle ich mich sofort wieder an meinen Arbeitsplatz versetzt, selbst, wenn ich in an einem traumhaft weißen Strand die Füße in kristallklares Wasser tauchen und die Sonne im Zusammenspiel mit dem Wind meine Haut streicheln würde - PENG!
Denn diesen Scheiß über das angeblich so
- inkompetente CallCenter (Kunde hat keine Ahnung, was er eigentlich sagen möchte, ich muss manchmal raten, was das Problem des Kunden ist)
- unmenschlich lange Wartezeiten in der Warteschleife (Kunden legen nach 2-3 Minuten wieder auf)
- unfreundliche Mitarbeiter (Kunden rufen an, brüllen, beleidigen die Agents persönlich - wer würde da nicht ein wenig reservierter und weniger herzlich mit dem Kunden kommunizieren, schon aus Angst, dass der Kunde nach einem falschen Satz erneut austickt und man sich die ganze Litanei noch einmal von vorne anhören muss)
- inkompetente Mitarbeiter (wenn Kunden ein technisches Problem haben und in der Rechnungsstelle anrufen und nicht verstehen, dass dieser Mitarbeiter sie dann in die Technik durchstellen muss, da in einer großen Firma eben Fachteams zur Verfügung stehen und das nichts mit Kompetenz sondern mit Spezialisierung zu tun hat)
- keine persönlichen Ansprechpartner (DAS muss der Kunde mir mal erklären, wie das bei einer Servicezeit 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, gehen soll!)
also, diesen Bockmist muss ich mir den lieben langen Tag anhören und dazu meine Stimme freundlich lächelnd durch den Hörer schicken - das heißt, dass ich jeden Tag nach der Arbeit reif für den Psychiater bin.
Anstatt für den Psychiater habe ich mich dafür entschieden meine Erlebnisse mit Kunden aufzuschreiben, und zwar genau so und gleich danach, nachdem sie geschehen sind.
DAS ist nun meine Therapie mit dreierlei angenehmen Komponenten:
1. ich baue Stress ab (nach ein paar Tagen bemerkte ich, dass ich mich regelrecht auf bekloppte Kunden freute, da man sich so was einfach nicht ausdenken kann - so was muss passieren und ist dann einfach nur noch lustig)
2. ich tröste meine vielen tausend „Kollegen/innen", egal, in welcher CallCentnerBranche sie arbeiten und zeige ihnen, hey, seht mal, so geht es überall ab, die Kunden sind überall bescheuert, ihr seid nicht allein
3. ich zeige meinen Kunden die Kehrseite der Medaille, damit diese mal sehen, was sie bei uns CallCenterAgents anrichten