Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft. Bernhard Domschcke
Читать онлайн книгу.Zustandes ein, doch trotz seiner zerfallenden Gesundheit nimmt er seine journalistische Tätigkeit wieder auf, bevor ihn die Spätfolgen seiner Gefangenschaft schließlich ans Siechbett fesseln. Bernhard Domschcke stirbt am 5. Mai 1869 im Alter von 43 Jahren.
Domschckes faszinierende Einblicke in einen vergleichsweise selten durch Primärquellen dokumentierten Aspekt des Krieges werden ergänzt durch einen umfangreichen Anhang, der zahlreiche Facetten des Lebens in konföderierten Gefangenenlagern beleuchtet und dabei hilft, die Erlebnisse des Autors in einen breiteren Kontext einzuordnen.
Bernhard Domschckes zeitgenössischer Sprachstil wurde weitestgehend gewahrt und nur dann behutsam an die modernen Gepflogenheiten angepasst, wenn dies für das Verständnis des heutigen Lesers angeraten schien. Fehlerhafte Schreibweisen von Namen wurden stillschweigend korrigiert.
Florian Dexheimer
Kapitel I
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Von Virginia nach Pennsylvania – Die Schlacht bei Gettysburg – Die Gefangennahme
Es war am 12. Juni 1863, als das XI. Armeecorps sein Lager in Stafford County in Nord-Virginia abbrach und sich zum Marsche rüstete. Nach der Rückkehr von der unglücklichen Schlacht bei Chancellorsville wurden jenem Corps Lagerstätten in der Nähe von Brooke's Station zwischen Aquia Creek und Falmouth angewiesen, welche es bis zum Abmarsche an eben genanntem Tage innehatte. Unter den glühenden Strahlen einer Sommermittagssonne verließen wir die öde, steppenhafte Gegend und am Abend erreichten wir Hartwood Church, eine aus wenigen Häusern bestehende Ortschaft. Der Zweck unseres Marsches war uns nur insoweit bekannt, als wir wussten, dass General Robert E. Lee mit seinen Rebellenscharen in Bewegung war. Wo wir mit ihm in Konflikt geraten würden, war der Gegenstand vielfacher Mutmaßungen. Manche glaubten, unsere Armee werde sich in die Verschanzungen von Washington zurückziehen, um die Bundeshauptstadt gegen den heranstürmenden Feind zu verteidigen; Andere träumten von einer dritten Schlacht auf den Leichenfeldern am Bull Run; wieder Andere erwarteten ein Zusammentreffen am Shenandoah River.
Von Hartwood Church marschierten wir über Weaversville, Manassas Junction, Centreville und Gum Springs nach dem Goose Creek, einem Nebenflusse des Potomac River. Wir machten am 17. Juni einige Kilometer vor der Mündung jenes Flusses und etwa zehn Kilometer von Leesburg Halt und blieben sechs Tage an diesem Platze. Es schien noch immer unentschieden zu sein, ob wir dem Feinde in Virginia oder am anderen Ufer des Potomac River begegnen würden; die Frage wurde indes bald gelöst, indem wir Befehl erhielten, den Potomac River bei Edward's Ferry zu überschreiten.
An dem prachtvollen Morgen des 24. Juni betraten wir das Maryland-Ufer, "Gottes Land", nach so vielen Kreuz-und-Quer-Zügen in dem alten, verrotteten Virginia. Der Eindruck, den die wohlangebauten Gärten, die grünen Fluren und die von Wohlstand zeugenden Gebäude der Landbesitzer Marylands auf uns machten, würde uns unvergesslich sein, die wir seit so langer Zeit daran gewöhnt waren, nichts zu erblicken, als langweilige, traurige Kiefernwälder, unfruchtbare, ausgesogene Felder und alte, verfallene Wohnstätten. Wo immer wir in Nord-Virginia waren, sahen wir Stillstand anstatt Fortschritt, Verfall anstatt Erneuerung, den Fluch der Sklaverei anstatt den Segnungen der Freiheit. Alles erschien alt und monoton; Grabesruhe herrschte ringsum in dem traurigen Lande; es war eine Stätte der Toten, ein Platz der Verdammnis, dessen nächtliche Stille nur unterbrochen wurde durch den eintönigen Klageruf der Nachtschwalbe. In der roten Erde dieses stygischen Landes modern die Gebeine von Tausenden unserer Waffengenossen, welche Heimat, Wohlstand und Glück verließen, um die Republik vor ihrem elendesten Feinde zu sichern.
Von Edward's Ferry führte uns der Weg durch eine reiche Gegend nach Jefferson, von da nach Middletown, Frederick und Emmitsburg. Wir kamen am 29. Juni an letztgenanntem Orte an und hielten daselbst eine kurze Rast. Unser Lagerplatz war in der unmittelbaren Nähe des Nonnenklosters, eines großen Gebäudes mit vielen Fenstern und Seiten- und Hintertürchen. Prachtvolle Gärten umgaben diesen stattlichen Palast und die Seitengebäude, in deren einem General Schurz sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Der Superior der Anstalt, ein Europäer mit den Manieren eines Weltmannes und jener feinen Ironie, welche man häufig bei höhergestellten Priestern der katholischen Kirche findet, benahm sich auf das Zuvorkommendste gegen den General und gab die Versicherung, dass er, wenn eine Schlacht in der Nähe stattfinden sollte, alle Räumlichkeiten zur Aufnahme von Verwundeten hergeben werde; es sei hinlänglicher Raum vorhanden für eintausend Mann. Abends ließ Schurz das Musikcorps des 45th New York Regiments kommen, welches vor dem Kloster seine wohleingeübten Märsche, Lieder und Polkas spielte. Der Superior, welcher in seiner schwarzen Tracht zugegen war, wurde von Schurz gefragt, ob die Musik den Nonnen gefallen würde. Ironisch lächelnd bemerkte er: "Es wird ihnen gefallen, aber sie werden sich's nicht anmerken lassen."
Am 30. Juni kam der Befehl, dass wir am anderen Morgen in der Richtung von Gettysburg aufbrechen sollten. Am 1. Juli, morgens gegen 07.00 Uhr, marschierten wir ab. Nachdem wir einige Kilometer auf geebneten und ungeebneten Wegen, über Wiesen und Zäune, durch kleine Bäche und Moräste, welche sich durch den anhaltenden Regen am vorhergegangenen Tage gebildet hatten, marschiert waren, kam der Befehl aus Gettysburg, mit möglichster Eile herbeizukommen. Jetzt begann ein Marsch, der zu den beschwerlichsten und ermüdendsten gehörte, die wir jemals gemacht hatten. Wir erreichten bald die gebirgige Gegend und erstiegen im Eilmarsch die felsigen Berge. Der Regen fiel in Strömen und die Soldaten vermochten kaum, weiter voranzueilen, aber neue Befehle drängten zu größter Eile, denn die denkwürdige Schlacht bei Gettysburg hatte bereits begonnen. Mit Anstrengung aller Kräfte erreichten wir endlich die Stadt, durch deren Straßen wir im Laufschritt nach einem jenseits der Stadt gelegenen offenen Felde eilten, wo sofort die Linien formiert wurden.
Das I. Armeecorps war bereits zu unserer Linken in voller Aktivität und bald waren auch wir im Feuer. Das I. und XI. Armeecorps, zusammen vielleicht 12,000 bis 13,000 Mann, waren zu schwach gegen die unter Ewells Kommando stehenden Rebellen und so kam es, dass wir umzingelt und nach der Stadt zurückgetrieben wurden. Bei diesem Rückzuge wurden viele gefangen genommen und auch der Schreiber dieser Zeilen fiel nebst einem weiteren Offizier und 46 Soldaten von seinem Regimente in die Hände der Rebellen. Mit diesem Augenblicke begann eine Zeit der Qual und des Leidens, an welche alle Beteiligten, so lange sie leben, mit Schaudern zurückdenken werden.
Nachdem ich gefangen genommen und bereits auf dem Wege nach dem Lager der Rebellen war, gestattete mir der Rebellenoffizier, welcher mich gefangen genommen hatte, unter Begleitung einer Wache den Platz noch einmal zu besuchen, auf welchem unser Regiment noch vor wenigen Minuten dem Feinde gegenübergestanden hatte. Ich fand dort manchen Freund tot oder verwundet. Glücklich waren im Vergleich zu den Verwundeten die Toten. Wenn eine Kugel treffen soll, dann möge sie Kopf oder Herz durchbohren und wir kehren zur ewigen Ruhe zurück, aber die Leiden der meisten Verwundeten sind grässlich und der Anblick derselben ist ergreifend. Mancher Verwundete rief mich an, ohne dass ich ihm Hilfe gewähren konnte; mehrere riefen meinen Namen, aber ihre Gesichter waren so mit Blut bedeckt, dass ich die Personen nicht erkennen konnte.
Nach dieser kurzen und traurigen Wanderung ging ich in Begleitung eines jungen Rebellen-Lieutenants, welchem der Krieg bis zu einem gewissen Grade verleidet war und welcher von dem Fragment einer Granate einen kleinen Denkzettel am Bein erhalten hatte, hinüber zum Schlachtfelde der Rebellen, wo ich ähnliche Szenen wie auf dem unsrigen sah, nur war die Zahl der Getöteten größer als die der Verwundeten und die Gefallenen waren meist durch den Kopf oder durch die Brust geschossen, ein Beweis, dass unsere Soldaten gut gezielt hatten. Jener Lieutenant versuchte, wie vorher mehrere andere Rebellenoffiziere, von mir zu erfahren, wie stark unsere Streitmacht sei, auf welchem Wege wir gekommen waren, ob bereits die ganze Army of the Potomac angelangt sei, wer der Nachfolger des früheren Oberkommandeurs Hooker sei und so weiter, aber natürlich wurde die Neugierde der ehrenwerten Herren nicht befriedigt. Auch wünschten sie zu wissen, wie weit Baltimore von Gettysburg entfernt sei, denn die Meisten glaubten zuversichtlich, dass ihr angebeteter General Lee sie im Triumphe nach Baltimore führen werde. Andere fragten vielleicht aus Besorgnis, weil sie glaubten, dass, wenn die Strecke noch weit sei, noch manche Schlacht geschlagen werden müsse, ehe sie von Baltimore aus die Friedensbedingungen diktieren könnten.
Auf