Zwanzig Monate in Kriegsgefangenschaft. Bernhard Domschcke
Читать онлайн книгу.verliehen wurde. Als solcher nahm er an der ersten Schlacht bei Bull Run teil, in welcher er sich den Beinamen "Stonewall" erwarb. Eine Rebellenbrigade wurde nämlich von den Unsrigen zurückgeworfen und nur Jackson hielt stand; da rief der kommandierende General Bee den zurückweichenden Rebellen zu, erneut vorzudringen und auf Jackson zu sehen, der fest wie eine "Steinmauer" stehe. Von dieser Zeit an stieg Jackson sowohl auf der Skala der militärischen Würden, wie in der Gunst der Soldaten und der südstaatlichen Bevölkerung. Ein hervorstechender Zug in seinem Charakter war eine Art von religiöser Mystik; Jackson war im Heere als ein frommer Mann bekannt. Sein untergebener General Ewell, der, ehe er bekehrt wurde, sehr freigiebig mit Fluchworten umging, soll einst bemerkt haben: "Wir beide, ich und Jackson, passen gut zusammen; ich besorge das Fluchen und Jackson besorgt das Beten." Schon früher hatte sich Jackson mit der Dichtung religiöser Lieder versucht, zu welchen er selbst die Melodien komponierte. Sein Hang zum Mystischen geht auch aus einer Äußerung hervor, welche er in einem Gespräche über Feldzüge und Schlachten machte; er sagte: "Mysterium ist das Geheimnis des Erfolges." [Anm. d. Hrsg.: Hier übersetzt Domschcke das Jackson-Zitat "Mystery is the secret of success" wohl ein wenig zu wörtlich. Jackson bezog sich hierbei auf die Unergründlichkeit der eigenen Absichten für den Feind und nicht auf eine Mystik im religiösen Sinne.] Ein solcher Charakter mochte für den Psychologen interessant und für seine Gesinnungsgenossen doppelt anziehend sein, aber in unseren Augen ließen sein politischer Verrat und die Beteiligung an einem inhumanen, auf die Vernichtung der Freiheit abzielenden Unternehmen seine Größe bedeutend schwinden.
Die Richmonder Rebellenzeitungen, welche wir in Ermangelung anderer Lektüre sehr genau und sorgfältig lasen, waren im Vergleich zu der nordstaatlichen Presse sehr mager und armselig, was Berichte, allgemeine Nachrichten und journalistische Vielseitigkeit betraf, aber in einem waren sie bewunderungswürdig geleitet, nämlich in der Verteidigung der Rebellion und der Aufhetzung des Volkes. Ein unbeschreiblicher Fanatismus beseelte diese Presse; von allen möglichen Gesichtspunkten aus, unter rücksichtslosester Anwendung von Haarspaltereien und Entstellungen und in einem Stile, der oft an die eifernde und geifernde Weise der fanatischen Mönche früherer Jahrhunderte erinnerte, stellten sie die Rebellion als eine große Welttat, als die gerechtfertigte Erhebung eines großen, herrlichen Volkes gegen die Tyrannei eines tückischen und brutalen Usurpators dar. Waren sie schon rücksichtslos genug in dieser Selbstglorifikation, so waren sie es noch mehr in der Aufstachelung der wilden Leidenschaften der Masse. Es war, als seien diese kuriosen Artikel mit Dolch und Gift geschrieben. Kein Mittel, kein demagogisches Kunststück wurde unversucht gelassen, um dem südstaatlichen Volke die Idee, dass ihm Unrecht geschehen sei, beizubringen und dasselbe bis zum äußersten Widerstande zu entflammen. Mit diesen Mitteln arbeiteten alle Zeitungen im Reiche der Rebellen und dieser Einmütigkeit hatte die Konföderation zum großen Teile die Erfolge zu verdanken, welche sie zeitweise errang. Während im Norden die Presse geteilt war, während viele nordstaatliche Zeitungen nach Kräften daran arbeiteten, unsere Regierung zu lähmen, das Volk zu entmutigen und der Rebellion Vorschub zu leisten, wirkte die gesamte südstaatliche Presse mit einigen wenigen Ausnahmen einmütig für die Rebellen. Zwar fehlte es nicht an Stimmen, welche Jefferson Davis attackierten, aber diese Opposition war eine rein persönliche; in der Sache waren sie alle einig und einer überbot den anderen in der Schmähung der "Yankees" und in der Verherrlichung der Rebellion.
Eines ihrer beliebtesten Mittel, welches die südstaatlichen Zeitungen und von denen in Richmond namentlich der "Enquirer", der im Sommer und Herbst 1863 unter der Leitung des berüchtigten Iren John Mitchel stand, anwendeten, um das südstaatliche Volk aufzureizen und sein Selbstvertrauen zu kräftigen, war die Beweisführung, dass das südstaatliche Volk gar nicht der verkommenen angelsächsischen Rasse angehöre und dieser in intellektueller, moralischer, sozialer und politischer Beziehung weit überlegen sei. Einem unterrichteten und objektiv urteilenden Menschen wird dieser Satz unzweifelhaft lächerlich und eine Argumentation für denselben fast unmöglich erscheinen, aber nichtsdestoweniger bemühte sich der "Enquirer", durch allerhand Trugschlüsse, historische Fälschungen und statistische Verzerrungen, den Südstaatlern klar und deutlich zu beweisen, dass sie das Volk Gottes seien, welches für eine neue Ordnung der Dinge sein flammendes Schwert ergreifen müsse und schließlich gegen das nordstaatliche Zwergenvolk obsiegen werde, welches in der ganzen Welt verachtet sei und sich auch selbst nicht achte.
Wie der "Enquirer", so donnerte auch der "Examiner" Tag aus, Tag ein gegen die hochmütigen Yankee-Tölpel, welche sich einbildeten, unter der Führung des Barbaren Lincoln, der aus dem Geschlechte der Orang-Utans stamme, das hochherzige Volk der Südstaatler zu bezwingen, welche sich bis auf den letzten Mann zur Wehr setzen würden. Der "Examiner" wurde von Edward A. Pollard redigiert, der etwas gelernt zu haben schien, aber die unerquickliche Manier hatte, mit den verschiedenartigsten Zitaten um sich zu werfen und historische Gleichnisse anzustellen, die in den meisten Fällen hinkten. Er hatte auch ein paar politische Broschüren geschrieben, die aber, wie seine Zeitung, den Stempel der Einseitigkeit trugen und mehr die Produkte einer wilden Polemik waren als Raisonnements eines ruhigen und klarsehenden Beobachters des Zeitgeschehens. Der "Dispatch", der "Sentinel" und der "Whig" bildeten die übrigen Stimmen in dem wütenden Quintett, jedoch war der "Whig" Jefferson Davis nicht gewogen. Er ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seinem Grolle gegen den Herren aller Rebellen Luft zu machen und geißelte Davis nicht selten in recht heiterer Weise, beispielsweise als Letzterer im Herbst 1863 einen Buß- und Bettag ausschrieb und als er eine Proklamation an die südstaatlichen Frauen erließ, die er zu tatkräftiger Mitwirkung an der Rebellion aufforderte. Zeitweise amüsierte uns die Lektüre dieser fanatischen Rebellenblätter, aber tagtäglich ein und dasselbe Gericht ist etwas, was einem schließlich den Appetit verderben muss.
Die erwähnten Klassen, Predigten und Reden, das Lesen der Zeitungen und die Zubereitung der Mahlzeiten ließen uns noch hinlänglich Zeit, welche wir teils durch Schlafen, teils durch Auf- und Abgehen in den Sälen und durch Konversationen hinzubringen versuchten. Viele trieben auch allerhand Unfug und Narrenpossen, zu welchen eigentlich nur die Schuljungen ein Privileg besitzen. Namentlich war dies abends der Fall. Um 21.00 Uhr riefen die Wachen, welche auf der Straße an allen Seiten des Gebäudes aufgestellt waren: "Lichter aus!", worauf wir uns auf unsere bestimmten Plätze legten, aber nicht um zu schlafen, denn in diesem Augenblicke begann allabendlich ein so höllischer Lärm, dass für Stunden an Schlaf nicht gedacht werden konnte. Die lockeren Burschen, deren Übermut noch nicht gebändigt war, schrien und heulten wie die Indianer, sangen lustige Lieder in schriller, unmusikalischer Weise, schlugen mit allem, dessen sie habhaft werden konnten, wie besessen auf den Fußboden, so dass es im ganzen Gebäude widerhallte, kurz, sie verübten einen so teuflischen Krawall, dass diejenigen, die sich an diesen Streichen nicht beteiligten, schier in Verzweiflung gerieten. Eines Abends war der Lärm so gewaltig, dass der Kommandeur Turner einen Lieutenant mit der Order heraufschickte, dass, wenn diese tumultartige Szene nicht schleunigst beendet werde, wir alle auf die Straße marschieren und daselbst einige Stunden stehen müssten. Dies wirkte für dieses Mal, aber am nächsten Abend begann die Teufelei von neuem. Der Amerikaner ist zu dergleichen aufgelegt und wenn er einmal beginnt, Narrenpossen zu treiben, so kann man sicher auf einen wilden Tanz rechnen. Ich glaube, es ist dies Überfülle von Kraft, ein jugendliches Sichgehenlassen, was nicht bös gemeint, aber anderen unter Umständen sehr unbequem ist. Einen merkwürdigen Kontrast zu dieser ausgelassenen Lustigkeit bilden die steife Ernsthaftigkeit und mürrische Laune, deren der Amerikaner ebenfalls fähig ist. Wir sahen manchen sich der ungezwungensten Heiterkeit hingeben und närrische Streiche verüben, der zu anderer Zeit so trocken und mürrisch dasaß, als habe er das Kreuz der Welt zu tragen.
Ein Vorfall rief in der ersten Zeit unserer Anwesenheit im "Libby" einige Aufregung hervor, nämlich die Drohung, zwei Captains zu hängen, weil General Burnside mit ein paar Rebellenspionen kurzen Prozess gemacht und dieselben aufgeknüpft hatte. Sobald die konföderierte Regierung dies erfuhr, ordnete sie an, dass aus der Mitte der Offiziere von Streight und Milroy zwei Captains durch das Los bestimmt und dann getötet werden sollten. Captain Sawyer von einem Kavallerieregiment aus New Jersey und Captain Flinn aus einem der Neuengland-Staaten traf das Los. [Anm. d. Hrsg.: Henry W. Sawyer war Captain von Kompanie K der 1st New Jersey Cavalry; John M. Flinn war Captain von Kompanie F der 51st Indiana Infantry.] Sofort wurden beide in die unterirdischen Zellen gebracht und Turner machte sich täglich das Vergnügen, ihnen anzukündigen, dass sie sich auf den