Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich

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Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich


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       „Nicht näher, nur vom Ansehen, Herr Nachbar.“

       „Halten Sie ihn für gut?“

       „Ich sage Ihnen ja, dass ich den Herrn nur von Ansehen kenne.“

       „Hm ja – na, dann wissen Sie meinswegen auch nichts.“

       „Aber weshalb fragen Sie danach? Will er etwa Geld bei Ihnen borgen?“

       „Geld bei mir? Ne!“ lachte der Hofapotheker und drückte sein gesticktes Morgenkäppchen zu dem geringst möglichen Kubikinhalt zusammen. „Aber sehen Sie, da schickt mir ein Schwager von mir, der Apotheker Reuter in Berlin, der meinswegen eine Schwester meiner Frau geheiratet hat, eine Rechnung für den Herrn Baron, die ich hier einkassieren oder einklagen soll, und das ist mir höchst fatal. Der Herr Baron kauft ebenfalls bei mir, und ich weiß selber nun nicht recht, wie ich eigentlich mit ihm stehe.“

       „Hat er denn so viel Krankheit im Hause?“

       „Na nu, ne“, sagte Herr Semmlein, indem er versuchte, sein Käppchen vollständig entzwei zu drehen. „Außer einer Schachtel Pillen zum Abführen ist von Medizinen noch gar nichts vorgefallen, aber vier Dutzend Selterswasser und meinswegen ein Dutzend Magenbitter, wie Pfefferminzplätzchen und Morsellen scheint er viel zu brauchen – auch manchmal gebrannte Mandeln. So viel macht das ja auch nicht, und es ist mir nur um die spätere Kundschaft. Bei meinem Schwager stehen aber meinswegen hunderteinundachtzig Taler zweiundzwanzig Groschen und sieben Pfennig – auch meistenteils für so Kram -, und jetzt weiß ich nicht recht, wie man die Sache am besten anfinge.“

       „Hunderteinundachtzig Taler ist freilich schon eine bedeutende Summe, aber haben Sie denn den Herrn von Schaller schon gefragt, ob er die Rechnung anerkennt und sich weigert, zu bezahlen?“

       „Gott bewahre, noch nicht!“

       „Nun, sehen Sie mal, es könnte ja doch möglich sein, dass er die Sache früher, in dem Gewirr des Umzuges, einfach vergessen hat.“

       „Hm“, lächelte Herr Semmlein verlegen. „Ist mir eigentlich nicht recht wahrscheinlich, und ich habe bei den Herren Adeligen schon meinswegen ein ganz hübsches Sümmchen sitzen lassen, wobei ich ihrem Gedächtnis doch immer dann und wann zur Hilfe kam. Mein häusliches Kriegsministerium meinte übrigens auch, ich sollte doch erst einmal höflich anfragen.“

       „Nun, versteht sich von selbst“, sagte der Notar. „Das ist doch das Einfachste und Natürlichste. Weigert er dann die Zahlung oder hält er den Termin, den er Ihnen vielleicht stellen könnte, nicht ein, nun gut, dann müssen wir uns vor allen Dingen von Ihrem Schwager eine Vollmacht kommen lassen, und wenn Sie es dann noch wollen, verfolgen wir den Rechtsweg.“

       „Sehr schön“, nickte der Hofapotheker vor sich hin, „sehr schön, wenn ich nur erst meinswegen drüben gewesen wäre. Es ist eine verzweifelte Geschichte, und ich mahne überhaupt so ungern jemand. Nur meine Mietsleute. Wenn die nicht pünktlich zahlen, sitze ich ihnen wie ein Wetter auf dem Halse!“

       „Haben Sie Not mit Ihren Mietsleuten?“ fragte der Notar. „Oben in den Dachstuben wohnen freilich einige ärmere Leute.“

       „Nein, mit denen geht’s“, sagte Herr Semmlein. „Der Schuster lässt sich wohl meinswegen manchmal ein wenig drücken, ehe er die landesübliche Münze herausgibt, aber die kleine Näherin, die Peters, zahlt auf die Minute. Morgens um acht Uhr an jedem Ersten klingelt sie mit dem Glockenschlage und bringt ihre paar Groschen – nein, die Part in der zweiten Etage, der alte Kommerzienrat, zahlt auch pünktlich, und von meinem neuen Mietsmanne, dem Oberstleutnant, weiß ich’s noch nicht, aber die vor ihm darin wohnten, die adlige Familie, der konnte ich meinswegen das Logis einlaufen, ehe ich die Miete kriegte. Aber was kann’s helfen! Also werde ich wohl in den sauren Apfel beißen und Herrn von Schaller mahnen müssen.“

       „Wenn ich für Sie hineinbeiße“, lächelte der Notar, „wird er noch saurer.“

       „Da haben S i e wieder Recht!“ nickte Herr Semmlein, indem er sich vom Stuhl erhob. „Na, nichts für Ungut, Herr Nachbar, werde die Sache noch einmal mit meiner besseren Hälfte – hahaha! – bereden, und es wird nachher wohl so herauskommen. Sie haben doch hier meinswegen eine prachtvolle Aussicht“, setzte er hinzu, als er in das Eckfenster hineintrat und den Blick umherwarf. „Bei mir drüben können Sie die Kaffeekannen auf dem Tische sehen, und die ganze Nachbarschaft, und meinswegen auch die hübschen Mädchen da oben“, bemerkte er mit einem halbverschmitzten Seitenblick auf den Notar, wonach er dann wieder zu Klingenbruchs hinaufsah. Dort, an dem offenen Fenster, stand eben Henriette und beschäftigte sich mit einem Blumenstock.

       „Allerliebstes Kind“, fuhr der Hofapotheker fort. „Auch sehr ordentliche Leute, sehr anständige Familie – die Kleine dort ist aber meinswegen ein Prachtstück. Der Teint, die Augen und das Haar – sehn Sie nur einmal, wie hübsch sie den Stock festbindet und wie graziös!“

       Püster sah hinauf und bemerkte ebenfalls, dass sie den Blumenstock mit einem ziemlich breiten und roten Band befestigte, was man doch eigentlich sonst nicht zu diesem Zweck benutzt.

       „Ja, ein recht nettes Mädchen, aber nur...“ nickte er.

       „Wird einmal eine famose Partie“, fügte Herr Semmlein hinzu und stieß den Notar dabei, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog, mit seinem Ellbogen an.

       „Meinen Sie?“ sagte Püster trocken.

       „Wenn die Alte stirbt, die Mäusebrod“, flüsterte Herr Semmlein. „Heidenmäßig viel Geld, sage ich Ihnen, heidenmäßig viel Geld, Herr Notar, und die beiden Mädchen kriegen meinswegen alles, die Frau Oberstleutnant hat es schon meiner Frau erzählt.“

       „Das wäre allerdings ein Glücksfall“, bemerkte der Notar. „Aber so viel ich weiß, ist jene Dame noch in den besten Jahren und kann vielleicht die jungen Damen, so jung sie auch sein mögen, überleben.“

       Herr Semmlein sah sich vorsichtig im Zimmer um, als ob er einen Horcher befürchte, dann bog er sich zu dem Notar über und sagte leise: „Die nicht.“

       „Die nicht?“ erwiderte Püster verwundert. „Und weshalb nicht?“

       „Weil sie Opium nimmt“, versicherte der Apotheker. „Und alle Wochen zwei Flaschen Magenbitter braucht, und die Flaschen sind meinswegen ziemlich groß.“

       „Opium?“ sagte kopfschüttelnd der Notar. „Unsinn – ohne ärztliches Rezept kann sie den ja gar nicht bekommen!“

       Herr Semmlein zuckte mit den Achseln. „Einmal verschreibt ihr der Doktor etwas – denn vorgeschwatzt wird sie ihm genug haben, - und dann kann sie es sich auch meinswegen unter der Hand verschaffen; aber das sage ich Ihnen, Herr Notar, wer einmal richtig anfängt, Opium zu nehmen, der treibt es auch nicht mehr lange, und dann werden aus den jungen Backfischen da drüben meinswegen Goldfische. Doch ich muss wahrhaftig fort“, sagte er, und versuchte, sein kleines, inzwischen fast bis zur Größe eines Hühnereis zusammengedrehtes Käppchen wieder auseinander und in Form zu bringen. „Muss ja doch auch mit dem Ministerium meiner häuslichen Angelegenheiten die Rechnungssache in Ordnung bringen und überlegen – aber was ich Ihnen noch sagen wollte, Herr Nachbar, Sie kennen doch den Schreinermeister Handorf?“

       „Gewiss“, erwiderte Püster. „Er arbeitet auch für mich und ist ein sehr braver und zuverlässiger Mann.“

       „Sie wissen, dass er einen Sohn im Zuchthaus hatte?“

       „Ja, allerdings, deshalb ging er auch immer so gedrückt einher, ich habe ihn eigentlich nie lachen sehen.“

       „Der Sohn ist jetzt freigekommen und zurückgekehrt.“

       „Lieber Gott, das wird auch ein schwerer Tag im Hause gewesen sein! Wenn man keine Kinder hat, bedauert man es manchmal, und wenn man sie hat, wie furchtbare Sorgen machen sie uns oft!“

       „Der Junge hat noch als ganz junger Bursche einen Juden totgeschlagen und beraubt.“

      


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