Blühende Zeiten - 1989 etc.. Stefan Koenig

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Blühende Zeiten - 1989 etc. - Stefan Koenig


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wie kann man den Fehler – durch unser erzieherisches Verhalten das Kind in die Opposition zu drängen – vermeiden?“, fragte eine leise Stimme. Sie gehörte zu Anne. Anne und Tobias hatten ihre behinderte Tochter Lydia vor einem Jahr verloren, als die Kleine, kaum vier Jahre alt, die Treppe hinuntergestürzt war. Ihr Sohn Philip war jetzt ihr Ein-und-Alles. Beaufsichtigungs- oder Erziehungsfehler wollten sie mit aller Macht vermeiden – so jedenfalls kam es mir vor. Ihr Verhalten äußerte sich in einer ständigen Beobachtung des Jungen, dabei beurteilten und bevormundeten sie ihn permanent. Das ließ dem Kleinen wenig Freiraum.

      Emma stellte die Salatschüsseln auf den Tisch und fragte: „Was sind denn eigentlich die Anlässe, die zwischen uns und unseren Kids oft zu Streit führen? Es sind doch oftmals Nichtigkeiten: die Länge der Haare, die Kleidung, Radio-Lautstärke, Schönschreiben bei Hausaufgaben und solche Dinge. Was wir uns dabei immer fragen sollten, ist doch: Wie wichtig ist es für die Zukunft des Kindes, dass es die Haare kurz trägt? Dass es schön schreibt? Dass es sein Spielzeug nicht kaputt macht?“

      Einen Moment herrschte Schweigen und man hörte nur das Klappern des Geschirrs, das Moni gerade auf dem Esstisch verteilte.

      „Wenn es nicht wesentlich ist“, unterbrach Stefan die Stille, „sollten Eltern mit ihren Erwartungen einfach auch mal zurückstehen können. Liebe, Freiheit und Vertrauen sind die Stichworte.“

      Emma ging zu unserem neuen Schallplattenspieler und legte Anette Humpes Single Codo von 1983 auf.

      „Seit zweitausend Jahren lebt die Erde ohne Liebe

       Es regiert der Herr des Hasses“

       Hässlich, ich bin so hässlich

       So grässlich hässlich

       Ich bin der Hass

       Hassen, ganz hässlich hassen

       Ich kann‘s nicht lassen

       Ich bin der Hass

      „Attention, attention

       Unknown flying object approaching the planet“

      „Identify unknown flying object“

       Codo, der Dritte, aus der Sternenmitte

       Bin ich der dritte von links

      „Unknown flying object identifies as Codo!“

       Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt

       Und bring‘ die Liebe mit

       Von meinem Himmelsritt

       Denn die Liebe, Liebe, Liebe

       Liebe, die macht viel Spaß

       Viel mehr Spaß, als irgendwas

      „We do not need any love on this planet

       Tötet Codo, vernichtet die Liebe“

      „Zielansprache Gamma Delta 731 über Raum“

       Codo aus der Ferne, der leuchtenden Sterne

       Ich düse so gerne durch‘s All

       Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt

       Und bring‘ die Liebe mit

       Von meinem Himmelsritt …

      „Objekt überwindet den Hassschirm“

       Ätzend, ich bin so ätzend

       Alles zersetzend, ich bin der Hass

       Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt

       Und bring‘ die Liebe mit

       Von meinem Himmelsritt

       Denn die Liebe, Liebe, Liebe

       Liebe, die macht viel Spaß

       Viel mehr Spaß, als irgendwas

      „Was die früher nur immer mit dem Hass am Hut hatten, so hasserfüllt war doch die Gesellschaft vor zehn oder zwanzig Jahren gar nicht!“, sagte Tobias.

      „Du gehörst zu der Generation, die den Hass der Alten auf die Jungen nicht mehr kennt. Du hast den kleinbürgerlichen Hass auf die damalige Ideenwelt der Jugend, die von einem menschlichen Paradies träumte, nicht mehr miterlebt“, sagte Doris.

      Mich wunderte, dass sich unsere Optikerin so prononciert über die Zeit des damaligen demokratischen Neuwagnisses äußerte. Sie war eher konservativ strukturiert und hatte sich stets aus allem, was auch nur im Ansatz politisch zu sein schien, herausgehalten. Doris hatte sich offenbar gewandelt und fand nichts mehr dabei, Stellung zu beziehen.

      „Na ja, ist auch egal. Das mit der Liebe ist ja das Wesentliche, denn die macht viel mehr Spaß als irgendwas“, sagte ausgerechnet unser furztrockener Tobias mit einem derart sexy Grinsen im Gesicht, wie ich es bei ihm noch nie gesehen hatte. Es erinnerte mich an das gutbürgerliche Ehepaar, das in früherer Zeit über meinem Sou­terrainzimmer mit lustvollem Bettgestöhne mein Kopfkino als Sechzehnjähriger in Gang gesetzt hatte. Fast hätte dies meine damalige Sicht über die prüde Erwachsenenwelt ins Wanken gebracht.

      Und heute brachte mich die Bemerkung von Tobias etwas aus der Balance. Aber da waren bereits die Gespräche der Frauen über das Leistungsprinzip im Gange. Man dürfe nicht den elterlichen ungezügelten Ehrgeiz auf das Kind übertragen, meinte Doris, die sich mit ihrem kinderlosen Singledasein offenbar abgefunden hatte. Jedenfalls hatte sie seit Monaten keinerlei Bemerkung mehr über partnertaugliche Männer fallen lassen.

      „Den meisten von euch bedeutet schulischer Erfolg alles. Das ist ein Fehler“, sagte sie.

      Moni fühlte sich betroffen und wehrte ab: „Du siehst das nur aus deiner Perspektive. Das ist einseitig.“

      „Willst du damit sagen, dass ich als Mutter keiner Kinder, keine richtige Sichtweise haben kann?“

      Wir mussten lachen, denn »Mutter keiner Kinder« – das war ein toller Ausdruck.

      „Nein, nein“, wandte Moni ein, „aber ich denke, dass alles an der schulischen Bildung hängt. Sagen wir so: die ganze Zukunft eines Kindes hängt daran. Du kannst das nicht verstehen!“

      „Das sehe ich wahrhaftig anders“, verteidigte sich Doris. Ihr Gesicht hatte eine Rötung angenommen, die nicht allein dem letzten Saunagang geschuldet sein konnte. Man spürte, dass sie sich als Nichtmutter nicht ernst genommen fühlte und Monis Aussage als Frontalangriff empfunden hatte. „Neben der Schule gibt es halt auch noch ein anderes Leben. Spiel, Umgang mit Freunden wie überhaupt den gesamten Bereich des Sozialverhaltens vernachlässigen manche Eltern und ordnen das alles dem schulischen Erfolg unter. Damit belohnen sie ihre Kinder einseitig für schulische Leistungen. Somit wird für das Kind der schulische Erfolg zum einzig erstrebenswerten Ziel, und ein Misserfolg in der Schule muss wie ein totales Versagen erlebt werden.“

      „Was willst du damit andeuten? Die Schule soll zweitrangig sein?“, fragte Gunnar, wahrscheinlich um seine Moni zu verteidigen. Denn diesen Reflex hatte ich bei den beiden schon des Öfteren beobachtet.

      „Ich will auf folgendes hinaus: Ein Kind, dessen Selbstwertgefühl weitgehend von Erfolg oder Misserfolg in einem einzigen Lebensbereich abhängig ist, steht unter dauerndem Prüfungsstress, und sein psychischer Zustand wird so labil sein wie seine Leistungen auf dem betreffenden Gebiet.“ Doris schaute


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