Blühende Zeiten - 1989 etc.. Stefan Koenig

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Blühende Zeiten - 1989 etc. - Stefan Koenig


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indem wir möglichst viele Aktivitäten unserer Kinder durch unser Interesse und unsere Teilnahme belohnen. Wir sollten keine Angst haben, dass die Schule dabei zu kurz kommt.“

      „Die Hobbys der Kids sind selten der Grund für Schulversagen“, sagte Stefan, „weit häufiger ist es das Verbot der Hobbys durch die Eltern. Das ist jedenfalls meine bescheidene Erfahrung. Je vielseitiger ein Kind aktiv ist, desto schneller kann es sich auf neue Situationen einstellen und wird damit auch leichter mit schwierigen Situationen in der Schule fertig.“

      „Du sprichst ganz sicher aus eigener Erfahrung“, sagte Gunnar und lächelte Stefan über die Salatschüssel hinweg an.

      „Schon ein elterliches Lächeln kann sozial belohnen!“, lachte Stefan zurück. Wir beschlossen den Sauna­abend mit einem Umtrunk und wünschten uns eine gute Nacht.

      In dieser Nacht zitterte eine Frau einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegen. Sie konnte kaum ein Auge zumachen. Nur drei Kilometer Luftlinie von unserem Wohnort entfernt lag das Preungesheimer Frauengefängnis. Am Morgen des nächsten Tages erlebte diese Frau, die ihre beiden Töchter durch Mord verloren hatte, eine schreckliche Enttäuschung. Die Mutter der ermordeten Kinder hieß Monika Weimar. Man hatte sie in Fulda ein Jahr zuvor als Mörderin ihrer beiden Mädchen verurteilt. Aber sie hatte stets ihre Unschuld beteuert, wenngleich sie sich schuldig fühlte, weil sie die Mädchen an jenem verhängnisvollen Abend, dem 3. August 1986, ihrem unberechenbaren Mann zur Betreuung überlassen hatte. Ihre Ehe war damals bereits kaputt, eine Trennung stand bevor. Sie war ausgegangen und hatte sich einen schönen Abend gemacht. Unverzeihlich?

      Jetzt, am Mittag des 17. Februar 1989, wurde sie in das Büro der Sicherheitsbeamtin gerufen. Sie teilte der Gefangenen mit, dass die Revision abgelehnt worden war. Die beiden schwersten Formfehler, die die Anwälte aufgeführt hatten, das Valium bei den Prozessterminen und die Gegenwart der Journalisten bei den Ortsterminen, hatte der Bundesgerichtshof nicht gelten lassen.

      Frau Weimar fing an zu weinen und schrie: „Das kann nicht wahr sein!“ Ihre Hoffnungsgerüst – ein volles Jahr lang Stunde um Stunde gehegt – brach in diesen Sekunden zusammen. Kurz danach rief auch schon ihr Anwalt direkt aus Karlsruhe an. Er sprach mit einer Sozialarbeiterin. Sie ging sofort zu der Gefangenen, nachdem man diese in ihre Zelle zurückgebracht hatte, um sie zu trösten. Aber das konnte niemand mehr. Monika Weimar bekam daraufhin Beruhigungsmittel und schlief irgendwann ein.

      Ein Jahr lang hatte sie darauf gehofft, dass ihr Prozess neu aufgerollt werden würde, damit sie endlich ihre Unschuld beweisen konnte. Das Urteil in erster Instanz wies allerlei grobe Ungereimtheiten auf. Nun hatte sie endgültig das Gefühl, dass die Welt sie und das ihr angetane Unrecht vergessen würde. Sie glaubte, dass sie auf unabsehbare Zeit hinter verschlossenen Türen würde leben müssen. Weiter so leben wie seit zweieinhalb Jahren.

      Hundekacke ist Scheiße

      Emma und ich wollten nicht mit diesem Hundehaufen vor unserer Haustür leben. Fast jeden Morgen und jeden Abend hinterließ ein Hund genau vor unserem Eingangsbereich im Vorgarten einen riesigen Haufen.

      „Verdammte Köter!“, fluchte Emma, und auch ich war not amused, schließlich musste ich die stinkende, pampige Hinterlassenschaft sorgsam entsorgen – das hieß: sie so einzuwickeln, dass uns nicht der Gestank noch Tage später aus der schwarzen Tonne entgegenschlug.

      „Blöde Hundebesitzer! Es ist aber auch unverfroren, dass sie die Scheiße ihres Hundes einfach liegen lassen!“, empörte auch ich mich.

      „Es müsste ein Gesetz geben, dass diese Typen verpflichtet, die Kacke aufzusammeln. Und wer sich nicht dran hält, muss die Kacke seines Hundes fressen“, regte sich Emma auf.

      Fast jeden Tag aufs Neue beglückte uns solch ein Haufen Glück. Denn für den Hund war es gewiss ein Glück, seinen einzigartigen Toilettenort gefunden zu haben. Hier endlich konnte er sich glücklich erleichtern. Wir versuchten einen Glückstreffer zu landen und den oder die Hundebesitzer ausfindig zu machen. Aber es gelang uns nicht. Wir riefen in der Saunarunde zur öffentlichen Denunziation auf, doch niemand hatte je etwas gesehen. Wir gaben auf, ärgerten uns aber regelmäßig aufs Neue.

      Am Mittwoch, dem 1. März, warf ich mich morgens in Schale. Ein blaugestreifter Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte mussten herhalten. Ich fühlte mich in dieser Verkleidung nicht wohl, es war nicht mein Stil – aber dem Anlass zuliebe sprang ich über meinen Schatten. Am Vorabend, während der Saunarunde, hatte ich meine Nachbarn mit der Frage genervt, ob man als Geschäftsführer zur Eröffnung des Umweltzentrums Rhein-Main unbedingt Anzug tragen musste.

      „Selbstverständlich brauchst du einen Anzug!“, hatten sie wie aus einem Mund geantwortet. So war diese widerlich-demokratische Entscheidung über mich hereingebrochen, und ich beugte mich ihr. Auch Emma hatte mich zuvor schon bekniet und nun alles herausgelegt, womit ich ausstaffiert werden sollte.

      Die Kinder hatten wir an diesem Tag Oma und Opa überlassen. Gestylt, als ginge es zu einer Modenschau, wollten sich meine Frau und ich gerade auf den Weg zu Frankfurts Zentrum machen. Wir betraten die Straße vor unserem Haus. Und prompt trat ich in den Scheißhaufen. Kommando zurück – zur Haustür, den Schuh vorsichtig ausziehen; es war eine wahre Kunst, sich nicht mit der braunen Masse noch mehr zu versauen, als man schon versaut war. Emma ging voran zur Besenkammer, holte eine Plastiktüte und steckte den verschissenen Schuh hinein. Die Tüte und der sauber gebliebene Schuh mit dem Reinheitsgebot blieben im Vorgarten liegen, wo sie uns nach unserer Rückkehr erneut beglückten. Wir hatten einen Brass auf Hunde. Für mich hieß es jetzt: neue Schuhe, neuer Start, neues Glück.

      Wir fuhren los und kamen rechtzeitig an. Frau Wenzel und eine ihrer Sekretariatsmitarbeiterinnen hatten alles bestens vorbereitet. Das Foyer war – wie auch alle anderen Räume – mit Kunstwerken Frankfurter Maler, die einen Umweltbezug mit ihren Bildern hergestellt hatten, geschmückt.

      Die Dozenten waren, rein klamottentechnisch, ein Kunstwerk für sich, ebenso wie ich. Jedenfalls fühlte ich mich wie eine Kunstfigur und überhaupt nicht authentisch. Auch die Dozenten hatten sich tatsächlich in Schale geworfen, total unabgesprochen. Die Kursteilnehmer, die allesamt zur Eröffnung eingeladen worden waren, hatten bereits in den Stuhlreihen im Foyer Platz genommen oder standen in den Gängen; es waren vielleicht an die hundert. Ein Streichquartett war neben dem blumengeschmückten Rednerpult platziert, jederzeit bereit, seine musikalischen Streiche zu vollbringen. Bald schon legten die Musiker los, während ich die Ehrengäste und Beiratsmitglieder persönlich begrüßte. Nach ewigen Shake-hands mit Gastrednern und Besuchern aus Behörden und Firmen musste ich den Anfang machen und trat hinter das Rednerpult.

      „Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung des Umweltzentrums Rhein-Main. Ich begrüße Sie im Namen des Vorstandes des Umweltzentrums und im Namen der Geschäftsführungen des Umweltinstituts Offenbach und der Gesellschaft für Technologie und Umweltschutzberatung.“ Uff, wie hatte ich diese formalen Begrüßungen früher immer verabscheut! „Hey Leute!“ wäre damals meine Anrede gewesen.

      Dann rasselte ich in lange geprobter Weise, aber mit feierlicher Stimme, die Begrüßungsliste herunter. Als Vertreter des Umweltbundesamtes begrüßte ich Professor Dr. Wicke, als Umweltbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland Professor Dr. Oeser, als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Frau Reetz, als Vertreter des Landesarbeitsamtes Hessen Dr. Hauschild.

      Den GTU-Beiratsvorsitzenden, zugleich Vertreter des Zentralinstitutes für Curriculumforschung der Freien Universität Berlin, meinen guten Freund Jan Hoffer, und meinen Studienkollegen aus alten OSI-Zeiten, den Politologen Dietrich Holtmann stellte ich als nächste Redner vor. Dietrich war als SPD-Kandidat inzwischen zum Bürgermeister einer Stadt in der Pfalz gewählt worden. Eigentlich sprach er nun stellvertretend für viele andere umweltbewusste Gemeindevertreter, denn er hatte es vermocht, weitere 60 Bürgermeister rund um die Verbandsgemeinde Eisenberg zu einer »Initiative gegen den Tieffluglärm« der US-Airforce zu veranlassen.

      Doch bevor ich ihm den Stafetten-Stab als Gastredner übergab, holte ich etwas Luft, sah in die zweite Reihe der vor mir sitzenden


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