Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich


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       So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville, jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung hatte. Viele Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht mehr, denn Billy Jones Mann hatte wieder eingespannt, um Rosemores Platz noch vor Dunkelwerden zu erreichen; Fräulein v. Seebald erfragte und zahlte deshalb ihre Zeche, und wenige Minuten später rasselte der Wagen wieder, jetzt auf etwas besserem Wege, durch den Wald weiter und mehr nach Norden hinauf, seinem Bestimmungsort zu.

       «Dort liegt Oakland Grove!» sagte der Fuhrmann plötzlich, als sie einen kleinen, sandigen Hügel hinaufgefahren waren und in der Ferne durch den Wald ein paar helle Fenzen35 herüberschimmern sahen.

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       «Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?»

       «Stadt? – Was für eine Stadt?»

       «Oakland Grove.»

       «Ist keine Stadt, unsere Farm und der Wald hier heißt so.»

       «Und wo liegt die nächste Stadt?»

       «Das ist Batesville;36 aber noch ein hübsch Stückchen Weg, bis man dahin kommt.»

       Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Veranda miteinander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten, deren ganzes Aussehen wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verriet. Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen, Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum, wie eine Meute kläffender, wohlgenährter Hunde gaben dem Platz etwas Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.

       Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein v. Seebald, noch in der Tür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes Äußere schon einen unendlich wohltätigen Eindruck auf sie machte, nach kurzen, einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in selbstgewebte Stoffe, aber nichtsdestoweniger höchst geschmackvoll gekleidet waren; als diese dann alles mögliche taten, es der Fremden bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum erstenmal wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben, weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier überall getroffen, hatten gar zu ärmlich und dürftig ausgesehen, die Menschen so kränklich und das Notwendigste selbst entbehrend, was man doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das anders, auch der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor der Tür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war doch möglich – die Wildnis bedingte nicht ein fast indianisches Leben; die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten, wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfnis dazu vom alten Vaterland mit herübergebracht.

       Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Möbel; sogar einen Sekretär und ein kleines, dichtbesetztes Bücherbrett. Große, reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Moskitonetz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus; große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster, mit reinlichen Gardinen daran, waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.

       Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden, als sie erst erfuhren, w e s h a l b und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an. Das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt. – Hier in der stillen Einsamkeit des Forstes, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten, egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, um in die Arme der Geliebten zu eilen.

       Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd37 hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag von Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallenlassen), oder Olnitzkis ,improvement’, wie es die Leute auch hier nannten. Wenn sie beizeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut am Mittag erreichen, und dann – wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzuteilen aus der Heimat, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach d e m Verlust doch immer schmerzlich und mußte die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch’ traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater, noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wiederzusehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt, seine Einwilligung zu einem Bündnis zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, um sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie ja alle ihre Briefe bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile je erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbstgewählten Leben, daß sie bereue, den Schritt getan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.

       Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem l e t z t e n Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahre her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seitdem, und nach dem Tode der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimat mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen und von diesem erfahren habe, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.

       Wunderbarerweise behaupteten aber auch Rosemores, nicht imstande zu sein, ihr genügende oder nähere Auskunft über die doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki kam allerdings manchmal herüber zu ihnen, ja, hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.

       «Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?»

       «Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer, hatte sich etwa eine Meile oberhalb des ,postoak hollow’ niedergelassen. – Beide waren verheiratet und verkehrten gewiß miteinander. Besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes, braves Weibchen.

       Wunderbarerweise wußten diese ,Nachbarn’ nicht einmal, ob Olnitzkis


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