Verwehungen. Jutta Aysia

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Verwehungen - Jutta Aysia


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Magen und schleich mich leise in mein Bett.

      Wenn ich morgens die Augen öffne, neckte mich die Sonne durch die Ritzen des alten Rollo/s. Die Vögel zwitschern ihr Morgenlied, ich strecke mich und gähnte laut um dann den Federn zu entsteigen. Den Vorfall vom gestrigen Tage habe ich wieder vergessen. Schon als kleines Kind liebte ich die so sanfte Ruhe und empfand dabei tiefe Geborgenheit. Bei Oma gibt dazu noch stets gutes Frühstück und leckere warme Milch.

      Der Sommer neigt sich dem Ende. In ein paar Tagen würde ich eingeschult.

      Mutter hat mir zur Einschulung ein hässlich grün aussehendes Kleid gekauft und dazu rote Schuhe. Der Schulranzen und die Brottasche aus Rindsleder in der Einheitsfarbe Braun, gehören zu meiner Ausstattung. Man hat nicht die Qual der Wahl, sondern muss sich freuen, überhaupt etwas in der noch sehr jungen sozialistischen Republik zu bekommen.

      Nun soll meine Puppe Bärbel zum Schulanfang auch schön aussehen. Die Oma steht in der Waschküche und bemüht sich dem Opa seine Arbeitshosen sauber zu schrubben. „Oma, darf ich meine Puppe auch waschen?“ Die Oma nickt nur und ist sich nicht bewusst, was das noch für Ärger gäben würde. Ich setze mich auf die Stufen zur Waschküche, die Sonne meint es gut mit mir und ich ziehe meine Puppe Bärbel aus. Die Zinkwanne steht im Hof und lockt mich förmlich an mit seinem Inhalt an. Mit Seife und Lappen geht es Bärbel an den Kragen, was für ein Spaß. Nach dem die Puppe ganz sauber aussieht, trockne ich sie ab, ziehe ihr die Kleider an, setzte sie in den Puppenwagen und bringe sie in den Stall. Dieser befindet sich am Ende des Hofes, gleich gegenüber dem Hühnerstall. Hier habe ich alle Utensilien von mir hin geschleppt und somit auch die Puppe Bärbel. „ So bis morgen, schlaf gut“, zog die Stalltür fest ran und gehe zur Oma, um ihr beim Waschen zur Hand zu gehen, was ich denn so unter Helfen verstand.

      Am nächsten Morgen will ich wie immer mit meiner Puppe spielen, renne in den Hof, saute um die Ecke und hole den Puppenwagen aus dem Stall.

      Bärbel liegt friedlich in ihrem Wagen. „ Na Bärbel, hast du gut geschlafen?“ Langsam hole ich sie aus dem Fußsack. Doch was ist das? Vor Schreck lass ich die Puppe, oder was von ihr übrig ist fallen. Ich habe keine Puppe mehr, da wo mal Arme und Beine waren, liegt nur aufgeweichtes Pappmaschee, nur der Kopf ist geblieben. Der ist aus Porzellan. Wie von der Tarantel gestochen, schreie ich los, dass aber auch Jeder auf unserem Hof mein Gejammer hören kann. Meine Oma erscheint am Fenster, sichtlich erschrocken von Lärm, den ich veranstalte. Ich schreie noch immer, „Meine Puppe, meine Puppe.“ Im Nu erscheinen alle im Hof, die Oma, der Opa, die Uroma und der Uropa und reden auf mich ein. Irgendwann halte ich dann meine Klappe und erzähle unter Tränen, was meiner Puppe Bärbel geschehen ist. Der Opa nimmt mich in den Arm und tröstet mich erst einmal, dann erklärt er mir, dass man nicht alles waschen kann. Nun, und Bärbel konnte man eben nicht waschen. Ihre Arme und Beine und auch der Körper bestehen aus Pappe, nur der Kopf nicht. Oma bekam mit dem Opa noch viel Krach, weil sie mir erlaubt hatte, die Puppe zu waschen. Im selben Jahr zu Weihnachten sollte ich eine neue Puppe erhalten.

      Wenn mein Onkel Klaus von der Schule kommt, nimmt er sich stets etwas Zeit für mich, bevor er seine Hausaufgaben erledigt. Er ist schon groß und hat ewig neue dumme Ideen für mich. Eines Tages fragt mich Onkel Klaus, „ Eh, Judith, willst Fahrradfahren lernen? Komm ich bringe es dir bei.“ Die Idee finde ich großartig. Klaus holt sein Fahrrad aus dem Schuppen, schiebt es vor meine Nase und sagte, „ Komm, steig auf.“ „Ich jetzt hier gleich?“ Dabei schaue ich meinen Onkel unglaubwürdig an. „ Willst nun Fahrrad fahren lernen, oder nicht!“ Natürlich wollte ich, aber wie? „Du krabbelst durch die Stange, hältst dich am Lenker fest, die Füße passen dann auf die Pedalen und dann musst du nur noch treten. Ich halte dich fest.“ Tapfer mache ich alles so, wie Klaus es mir erklärt und trete auf die Pedalen. Mein Onkel schreit, „ Nicht so schnell!“ Ich bemerke, dass ich fahre, nicht kippe und bin stolz wie Bolle. Drehe mich um, damit ich es meinen Onkel zu rufen kann. Wo ist mein Onkel? Weg. Zu spät! Ehe ich mich versehe, endet meine erste Fahrradtour am Tor. Angst und Schmerzen lassen mich mal wieder, wie von einer Tarantel gestochen schreien. Das Knie blutet, die Arme aufgeschrammt, die Hose entzwei. Ich muss wohl wie ein Nilpferd drein schauen haben. Jedenfalls lacht mein Onkel zunächst, als er mich so liegen sieht. Das Lachen vergeht ihm gehörig, er bekommt einen Satz hinter die Ohren von der Oma und einen Redeschwall von Vorwürfen. Es hätte auch ganz böse für mich enden können. Ich für mein Teil, will nie wieder auf einem Herrenfahrrad fahren lernen. Ein anderes Mal fragt mich Klaus: „Na Kleene, willste mal Berlin sehen?“ Natürlich will ich Berlin sehen. „Dann komm her zu mir“ Ganz gespannt mit weit aufgerissen Augen, warte ich darauf Berlin zusehen. Mein Onkel fasst meinen Kopf an und zieht mich ein Stück nach oben. Das tut mir entsetzlich weh und ich fange an laut zu weinen. Schnell setzt er mich auf die Erde zurück, lächelt mich an und fragte, „ Na haste Berlin gesehen?“ Ich schüttele den Kopf und maule, „Nee es hat nur weh getan.“ „ Willste noch mal“, und will wieder an meine Ohren und Kopf ziehen. Ich renne weg und schrei, „ Das sag ich Oma, so.“ Die letzten Tage vor meiner Einschulung gehen wie im Flug.

      Die Kinderjahre bei meinen Großeltern Letse sollen die schönsten Jahre in meinem noch zu jungen Leben bleiben. Von nun an ändert sich alles.

      Zu meinem Leidwesen ziehen wir um. Die alte Wohnung wird zu eng, außer mir gibt es nun noch eine Schwester und einen Bruder, einen Bruder! Er kommt wie aus dem Nichts. Dirk zählt 5 Jahre, blass und schmal und sagt kaum ein Wort. Meine Eltern erklären mir, dass Dirk so lange krank gewesen und deshalb erst jetzt zu uns in die Familie kam. Später, als ich fast schon erwachsen bin, erzählt mir meine Oma Hausmann eine ganz andere Geschichte. Schwester Dörthe interessiert mich weniger, die machte noch in die Windel und somit Arbeit. Aber mein Bruder, nur ein Jahr jünger als ich, mit dem kann ich fast so gut spielen, wie mit meinem Onkel Klaus. Da dieser für mich nun unerreichbar scheint, rückt mein Dirk an seine Stelle.

      Die vier Jahre Grundschule

      Ach was find ich die Schule schön. Wir malen den ganzen Tag Striche in Hefte. Mal sollen die Striche gerade sein, mal schräg. Da ich von meinem Onkel schon vieles gelernt habe, wird mir die Schule langsam langweilig. Ich widme mich dem Schwatzen, was natürlich viel interessanter ist. Meine Banknachbarin heißt Doris und soll mein ganzes Leben lang meine Freundin bleiben. Wir schnattern und hören nicht die Lehrerin. Und weil ich nicht auf die Ermahnungen der Lehrerin hören kann, sitz ich dann und wann schon mal allein, ganz vorn auf der ersten Bank. Im Laufe der 1. Klasse und im Sinne der sozialistischen Erziehung werden wir Jungpioniere. Zum Montagsappell dürfen wir mit weißer Bluse und blauen Halstuch antreten. Meine Mutter bricht sich fast die Finger, wenn sie mir das Pioniertuch mit richtigen Knoten binden soll. Der Montag beginnt demzufolge mit Ärger und ich finde Halstuch und Bluse schlichtergreifend dumm. Dem Bleistift folgt der erste Tintenfüllhalter. Vater macht eine Wissenschaft daraus, mir zu erklären, wie man das Ding mit Tinte füllt. Lieber hätte er mir erklären sollen, wie Tinte wieder aus Hosen und Blusen verschwindet. Das aber tut er zu meinem Leidwesen nicht und so setzt es öfters mal eine Ohrfeige für Tintenkleckse auf meinen Sachen. Die ersten Buchstaben und Zahlen verdrängen die langweiligen Striche. Buchstaben schreiben erweist sich als erste kleine Schwierigkeit. Da rutschen die O´s und A´s aus den Linien. Die Nase fast auf dem Schreibheft und die Zungenspitze folgen dem Füllfederhalter, versuche ich krampfhaft die Worte in ihre vorgeschriebenen Reihen zu balancieren. Das erste Schreibheft zeugt von der Kunst des Schreiben lernen und außer schiefstehenden Buchstaben wechseln sich Tintenkleckse mit Radiergummilöchern ab. Der Versuch, falsch geschriebene Worte mit einem Radiergummi zu entfernen, entpuppt sich zu einem sinnlosen Unterfangen. Das Ende vom Lied, meinem Vater gefällt meine Schreibkunst nicht. So geschieht es, dass ich eben so ein Schreibheft völlig neu anlegen muss. Zu Deutsch, ich darf alles in Reinschrift in ein frisches Schreibheft übertragen. Mein Erzeuger steht dabei hinter mir. Da mir wieder und wieder ein Wort aus der Schreibreihe rutscht, bekomme ich so eine derbe Kopfnuss, dass ich auf die Tischplatte knalle und die Nase blutet. Noch einmal muss ich die angefangene Seite neu beginnen. Die Tränen laufen mir über das Gesicht. Und draußen spielen die Kinder!

      Mein Schulweg ist der kürzeste von allen Schülern der 1.-4. Klasse. Wir wohnen gleich über die Straße. Somit komme ich in den Genuss, nicht Mittagsruhe halten zu müssen. Nach dem gemeinsamen Mittagsessen


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