Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.auch nicht arm machen.“
„Sie sollen das Geld haben,“ flüsterte das arme Mädchen, drehte sich ab und schritt langsam wieder dem Hause zu.
„He, Franzosenmädchen, Franzosenmädchen!“, riefen ein paar Jungen spottend hinter ihr drein. Sie hörte es wohl gar nicht, nur an dem Wagen einer Hökerin, die Blumen mit zu Markte nehmen wollte, blieb sie noch einmal stehen und kaufte für das wenige Geld, das sie noch bei sich trug, Blumen für die tote Mutter. Dann ging sie still nach Hause. Da aber, wie sie wieder das Zimmer betrat, als ihr in den bleichen, eingesunkenen Zügen der Geliebten der ganze über sie hereingebrochene Jammer in furchtbarer Wahrheit vor die Seele trat, da vermochte sie sich nicht länger zu halten. Auf das Bett der Mutter flog sie zu, warf sich über die Leiche, die sie krampfhaft mit ihren Armen umschlang, und schluchzte laut.
Dann traten, nach einer Weile, Fremde in das Zimmer, Frauen, die sich hinsetzten und über die Verstorbene in ihrem Beisein sprachen. Ein Mann kam, der gleich die Länge des Körpers maß; auch die „Leichenfrau“ traf ein, und alles wurde so laut und geschäftsmäßig betrieben, daß es das arme Kind, das in den letzten Tagen kaum gewagt hatte, hier zu flüstern, wie mit Messern durch das gequälte Herz stach.
Aber auch das ging vorüber; die fremden Menschen ließen sie wieder mit ihrer toten Mutter allein, und sie behielt jetzt wenigstens Zeit, die mit den Blumen u schmücken und ihr Lager herzurichten. Erst dann kauerte sie sich neben der Geliebten nieder, den Kopf an ihren kalten Arm gelehnt und verzehrte, mit dem Salz ihrer eigenen Tränen, das trockene Stück Brot.
Zwei Tage hielt sie bei der Teuren getreue Wacht, am dritten kamen die schwarzen Männer und legten sie in den Sarg.
Draußen war schlechtes Wetter, ein kalter Nordostwind fegte über das flache Land, und der Regen schlug in Strömen herunter, wer hätte da mit „zur Leiche“ gehen sollen. Schmucklos auf dem schwarzen Wagen stand der einfache Sarg, den zwei Pferde zu seiner letzten Ruhestätte führten, und hin/6/ter ihm, einen Blumenstrauß in den Händen, durch Sturm und Unwetter, in dem dünnen Kleid, folgte einsam und allein, wie es von jetzt ab durch das Leben gehen sollte, das arme Kind.
Trotz des schlechten Wetters hatte sich der protestantische Geistliche eingefunden und sprach ein paar freundliche Worte über das Grab der Armen; auch dem Kinde redete er zu und sagte ihm, daß es auf Gott bauen solle, so würde es noch gute Menschen finden, die sich seiner annähmen.
Und dazu der peitschende Regen auf dem erweichten Lehm des Kirchhofs! Die Todtengräber hatten mit Ungeduld das Ende der Rede erwartet, und nur Valerie stand daneben und zitterte vor dem Augenblick, wo der Sarg in die Gruft gesenkt werden mußte.
Der Geistliche gab dazu das Zeichen - hastig gehorchten die Leute, die unter das schützende Dach zurückzukehren wünschten - an den nassen Seilen rutschte er nieder, und Valerie warf ihm ihre Blumen als letzte Liebesgabe nach. Dann schaufelten die Männer das Grab wieder zu; der Geistliche stieg in den schon seiner harrenden Wagen - und nur Valerie, das Herz zum Brechen voll, ihre dünnen Kleider vollständig durchnäßt, suchte, wie sie gekommen, mit schweren Schritten ihre öde Heimath wieder auf.
Dann kam eine bittere, wehe Zeit für sie - der Verkauf der ärmlichen Hinterlassenschaft, um die bei Doctor wie Apotheker aufgelaufenen Schulden, das Begräbniß und noch manche andere Kleinigkeiten zu decken. Es mußte fast Alles verkauft werden, und zugleich drängte sich dem Ortsvorstand die Frage auf, was nun mit dem Kinde selber werden solle, da man dies doch nicht allein in der leeren Wohnung lassen konnte.
Jetzt wurde, freilich etwas spät, nachgeforscht, woher die Familie stamme, und wo sie also ihr Heimathsrecht habe, aber die darum befragte Kleine wußte nichts, als daß sie bei ihrer damaligen Uebersiedelung weit bis zu dieser Stelle hergekommen wären. Papiere fanden sich gar nicht, und Valerie gestand ganz offen, daß sie, kurz vor der Mutter Tod, ein Kästchen voll Briefe habe im Ofen verbrennen müssen. /7/ Jedenfalls hatte die Sterbende Alles vernichten lassen, was Licht über Valerie's Herkunft geben mochte. Weshalb das geschehen war, wußte natürlich Niemand zu sagen; aber daß es in Osterhagen augenblicklich die schlimmste Auslegung erfuhr, läßt sich denken - der andere Fall wäre gegen Menschennatur gewesen. Es verstand sich von selbst, daß sie oder ihre nächsten Verwandten irgend ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben mußten, wonach der Name „Edmund" auch ein angenommener war - und das letztere fand allerdings darin eine Art von Bestätigung, daß der Gerichtsbeamte in dem letzten, noch gebliebenen Betttuch das mit einer Krone versehene Zeichen V.de.F. fand, über welches das Kind natürlich keine Aufklärung geben konnte.
Der jetzige Ortsvorstand erklärte freilich, und zwar während dieser Untersuchung und in Gegenwart des Kindes, daß sein Vorgänger im Amt vollständig gewissenlos gehandelt habe, eine solche vagabondirende Familie in der Gemeinde zuzulassen und dieser dadurch eine Last aufzubürden; aber die Sache wäre einmal geschehen und nicht mehr zu ändern, und jetzt könnten sie sehen, wo sie das Kind unterbrächten.
Valerie saß, während das Alles verhandelt wurde und die fremden Menschen über das Eigenthum ihrer Mutter nach Gutdünken verfügten, still und lautlos in der Ecke des Zimmers und starrte mit ihren großen, dunkeln Augen die Männer an. Sie weinte nicht - kein Wort der Klage kam über ihre Lippen, keins des Vorwurfs oder der Bitte, ihr dies oder das zu erhalten, was ihr vielleicht als Andenken theuer gewesen wäre. Das Furchtbarste, was hatte geschehen können, war geschehen, und alles Andere schien sie nicht mehr zu kümmern - nicht einmal, daß man sie, als Alles ausgeräumt worden, im Abenddunkel allein in der leeren Wohnung zurückließ, und nur der alten Nachbarin verdankte sie's, daß die Leute nicht auch noch den Strohsack und eine alte Decke mitnahmen - sie hätte sonst nicht einmal einen Platz gehabt, wohin sie ihr müdes Köpfchen legen konnte.
Allerdings beabsichtigte man nicht, sie ihrem Schicksal vollständig zu überlassen; das wäre nicht angegangen, da sie noch nicht einmal confirmirt war; aber heut Abend wenigstens /8/ konnte nichts mehr in der Sache geschehen; morgen früh in der „Gemeinde-Sitzung" mußte das erst entschieden werden, und die Waise indessen in der alten Wohnung bleiben. Die Leute handelten dadurch auch nicht gerade herzlos mit der Verlassenen; der Geistliche selber hätte sie gern zu sich in's Haus genommen, aber das beherbergte fünf eigene Kinder und eine arme alte Verwandte, und bei seinem geringen Gehalt wußte er selber oft nicht, wie er sich ehrlich und anständig durchbringen sollte, er durfte sich keine solche neue Verpflichtung aufladen - schon der eigenen Kinder wegen.
Auch die Frau des Bäckers hätte es vielleicht möglich gemacht, wenn sie nicht gerade eines verstorbenen Bruders Kind, auch ein Mädchen in Valerie's Alter, zu sich genommen. Was sollte sie mit zweien anfangen, und ihr Mann wollte auch nichts davon wissen. Der Ortsvorstand beschloß allerdings, einige der wohlhabendsten Familien im Orte darum zu ersuchen, das Kind zu erziehen, d. h. in Arbeit zu nehmen; Niemand schien aber gewillt, eine solche „Verantwortlichkeit" zu übernehmen, denn wer wußte denn, wie sich die Fremde anließ, und ob nicht durch sie gerade Streit und Unfriede in der Familie entstand.
So blieb dem Vorstand denn nichts übrig, als sie in das Gemeinde-Armenhaus - ein kleines steinernes Gebäude, das nicht weit vom Kirchhof stand - einzuquartieren. Von dort aus konnte sie noch bis zu ihrer Confirmation die Schule besuchen und nachher in Dienst genommen werden. Indessen war man dann auch im Stande, Nachforschungen über ihre Abkunft anzustellen, wenn dieselben auch nur wenig Erfolg versprachen. Wußte man doch nicht einmal, nach welcher Richtung, nach welchem Lande man sich deshalb wenden solle; und war sie gar wirklich aus Frankreich herüber gekommen, wie man allgemein glaubte, so ließen sich dafür nicht mehr die geringsten Beweise bringen - Frankreich hätte sie deshalb auch nie wieder angenommen und versorgt. /9/
2.
Das Gemeinde-Haus.
Valerie hatte, so lange ihre Mutter lebte, nie das Bedürfniß gefühlt, sich an irgend jemand Andern anzuschließen, und deshalb auch mit Kindern ihres Alters wenig oder gar keinen Verkehr gehabt. Diese spotteten ja auch nur über ihre Sprache und ihr ganzes fremdartiges Wesen, und herzlich gegen sie war keins von allen gewesen. Was brauchte sie auch Fremde - ihre Mutter galt ihr Alles auf der Welt, und sie sehnte sich nicht hinaus zu den Menschen!
Jetzt plötzlich war ihr Alles mit einem Schlag genommen, und sie selber nur auf die angewiesen,