Die schönsten Weihnachtsgeschichten I. Charles Dickens

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Die schönsten Weihnachtsgeschichten I - Charles Dickens


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keck und liebenswürdig zugleich!

      »Es ist ein komischer, alter Knabe«, sagte Scrooges Neffe; »das ist wahr, und nicht so sympathisch, wie er sein könnte. Aber seine Fehler rächen sich an ihm selbst, und ich habe ihn nicht zu verurteilen.«

      »Er mag sehr reich sein, Fritz«, meinte Scrooges Nichte. »Wenigstens sagst du es immer.«

      »Was interessiert das uns, Liebe!« sagte Scrooges Neffe. »Sein Reichtum hat für ihn keinen Nutzen. Er tut nichts Gutes damit. Er gönnt sich ja selbst nicht einmal etwas Gutes. Er hat auch nicht das Vergnügen zu denken – hahaha –, daß er auf diese Art uns am Ende damit eine Freude machen wird.«

      »Ich habe kein Mitgefühl mit ihm«, bemerkte Scrooges Nichte. Die Schwester von Scrooges Nichte und all die andern Damen waren der gleichen Ansicht.

      »Oh, ich habe es«, sagte Scrooges Neffe. »Ich bedaure ihn; ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn ich's wollte. Wer leidet unter seinen bösen Grillen? Er selber, sonst niemand. Jetzt hat er es sich in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden zu können, und will auf unsere Einladung hin nicht zum Mittagessen kommen. Was ist die Folge? Er verliert viel an unserem Gastmahl.«

      »Erlaube mal, er verliert ein sehr gutes Essen«, unterbrach ihn seine Frau. Die andern sagten dasselbe, und man mußte sie als kompetente Richter gelten lassen, weil sie eben das Hauptmahl verspeist hatten und jetzt mit dem Dessert beim Lampenlicht um den Kamin saßen.

      »Nun, das freut mich zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil ich kein großes Zutrauen zu diesen jungen Hausfrauen habe. Was meinst du dazu, Tropper?«

      Man sah es deutlich, Tropper hatte ein Auge auf eine der Schwestern von Scrooges Nichte geworfen; darum antwortete er, daß er ein Junggeselle sei, ein unglücklicher, ausgestoßener Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen. Bei diesen Worten wurde die Schwester von Scrooges Nichte – die Dicke mit dem Spitzenkragen, nicht die mit den Rosen im Haar – rot.

      »Weiter, weiter, Fritz!« sagte Scrooges Nichte, in die Hände klatschend. »Er beendet niemals, was er angefangen hat! Er ist ein so komischer Kerl.«

      Scrooges Neffe brach in ein neues Gelächter aus, und es war unmöglich, davon nicht angesteckt zu werden, obgleich die dicke Schwester sogar mit einem Riechfläschchen versuchte, sich dagegen zu wehren; sein Beispiel fand einmütige Nachahmung.

      »Ich wollt ja nur sagen«, begann Scrooges Neffe, »daß die Folge seines Ärgers über uns und seiner Weigerung, mit uns vergnügt zu sein, nur die ist, daß er einige heitere Momente verliert, die ihm nicht geschadet hätten. Ich bin sicher, daß er dadurch eine angenehmere Unterhaltung verliert, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem modrigen alten Kontor oder in seinen staubigen Wohnzimmern bieten. Ich will ihm jedes Jahr die Gelegenheit dazu bieten, ob es ihm nun paßt oder nicht, denn er tut mir leid. Er mag auf Weihnachten höhnen, bis er stirbt; aber er muß doch endlich besser davon denken, wenn er mich jedesmal in guter Laune zu sich kommen sieht, mit den Worten: Onkel Scrooge, wie geht es Ihnen? Wenn es ihn nur zu dem Vorhaben veranlaßt, seinem armen Diener fünfzig Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas; und ich glaube, ich ergriff ihn doch gestern.«

      Es war nun die Reihe zu lachen an ihnen, bei dem Gedanken, daß er Scrooge ergriffen hätte. Aber da der Neffe durch und durch gutartig war und sich nicht sehr darum kümmerte, worüber sie lachten, wenn sie nur überhaupt lachten, so ging er auf ihre Lustigkeit ein und ließ die Flasche fröhlich kreisen.

      Nach dem Tee wurde etwas musiziert. Denn sie waren eine musikalische Familie und wußten, was es auf sich hatte, wenn sie mehrstimmig ein Lied oder einen Choral sangen, dessen könnt ihr sicher sein. Topper zumal konnte den Baß brummen nach Noten, ohne daß die Adern auf seiner Stirn anschwollen oder sein Gesicht rot wurde. Scrooges Nichte spielte gut die Harfe, und sie spielte unter andern Stücken auch ein kleines Liedchen (eine reine Nichtigkeit, man hätte es in zwei Minuten pfeifen gelernt), das das Kind, von dem Scrooge aus der Schule geholt worden war, wie es der Geist der vergangenen Weihnacht vorgeführt, oft gesungen hatte. Als Scrooge dieses Liedchen hörte, empfand er alles, was ihm der Geist gezeigt hatte, wieder aufs deutlichste in seinem Innern. Er wurde weicher und milder und dachte, wenn er es vor Jahren oft hätte hören können, so hätte er die gemütlichen Seiten des Lebens genießen können, ohne erst flüchten zu müssen zu des Totengräbers Spaten, der Jakob Marley beerdigt hatte.

      Aber sie beließen nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer Weile begannen sie mit Pfänderspielen, denn es ist doch zu schön, zuweilen Kind zu sein, und vorzüglich zu Weihnachten, da sein mächtiger Begründer selbst ein Kind war. Halt! Vorerst spielten sie noch Blindekuh. Das war das Richtige. Und ich glaube ebensowenig, daß Topper wirklich blind war, wie ich glaube, er habe Augen in seinen Stiefeln gehabt. Ich vermute, es war zwischen ihm und Scrooges Neffen abgemachtes Spiel, und der Geist der diesjährigen Weihnacht wußte darüber Bescheid. Die Art, wie Topper die dicke Schwester im Spitzenkragen verfolgte, war eine übertriebene Forderung an die menschliche Leichtgläubigkeit. Ob er das Schüreisen umstieß, über Stühle fiel, das Piano anrannte und sich in den Vorhängen verwirrte – überall folgte er ihr und wußte, wo sie zu finden war. Wenn jemand ihm in den Weg getreten wäre, wie einige taten, oder sich vor ihn hingestellt hätte, würde er sich gestellt haben, als mühe er sich, ihn zu greifen, hätte sich aber augenblicklich umgewandt, der dicken Schwester nach. Sie rief oft, das sei kein ehrliches Spiel, und wirklich, so war es auch. Aber endlich hatte er sie erwischt; und trotz ihres Sträubens sperrte er sie in eine Ecke, wo keine Flucht möglich war; und da wurde seine Aufführung höchst bedenklich. Denn sein Vorgeben, er wisse nicht, wer sie sei, er müsse ihren Kopfputz betasten und, um sie zu erkennen, einen gewissen Ring an ihrem Finger und eine bestimmte Kette um ihren Hals befühlen, war abscheulich unerhört. Und sicherlich sagte sie ihm auch ihre Meinung darüber; denn als eine andere Blindekuh an der Reihe war, waren sie hinter den Gardinen sehr freundlich miteinander.

      Scrooges Nichte war keine Teilhaberin an dem Blindekuhspiel, sondern saß behaglich in einer bequemen Ecke in einem Lehnstuhle mit einem Fußbänkchen davor. Der Geist und Scrooge standen dicht hinter ihr. Aber Pfänderspiele spielte sie mit und bekundete die Liebe zu ihren Angebeteten fabelhaft mit allen Buchstaben des Alphabets. Auch in dem Spiele: Wie, wann und wo, war sie obenan und stellte zur geheimen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gar sehr in den Schatten, obgleich diese auch ganz gescheite Mädchen waren, wie uns Topper hätte sagen können. Es mochten ungefähr zwanzig Personen zugegen sein, junge und alte; aber sie spielten alle, und auch Scrooge spielte mit, denn in seiner Hingabe an das Fest vergaß er ganz, daß seine Stimme für sie nicht hörbar war. Er sagte oft seine Antwort auf Fragen ganz laut und riet auch oft sehr richtig, denn die schärfste spitzeste englische Nähnadel, und zwar von dem bekannten Whitechapeler Fabrikat, konnte nicht mit Scrooges Scharfsinn und Spitzfindigkeit konkurrieren, zumal wenn ihm mal der Sinn danach stand.

      Dem Geiste gefiel es sehr, ihn in dieser Stimmung zu sehen, und er blickte ihn so freundlich an, daß Scrooge ihn wie ein Junge bat, noch bleiben zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der Geist sagte, dies wäre nicht möglich!

      »Hier fängt gerade ein neues Spiel an«, sagte Scrooge. »Nur noch eine halbe Stunde, Geist, eine halbe, bitte!«

      Es war ein Spiel, das heißt »Ja und Nein«, bei dem Scrooges Neffe sich etwas auszudenken hatte, während die andern es erraten mußten, was es war. Auf ihre Fragen brauchte er bloß mit Ja oder Nein zu antworten. Das Kreuzfeuer der nun einsetzenden Fragen, die ihm vorgelegt wurden, stellten fest, daß er sich ein Tier dachte, ein lebendiges Tier, ein unsympathisches Tier, ein wildes Tier, ein Tier, das zuweilen raunzte und grunzte, in London lebte, in den Straßen herumlief und nicht für Geld gezeigt und nicht herumgeführt wurde, sich nicht in einer Menagerie befinde und nicht beim Schlächter geschlachtet werde; es sei weder ein Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch ein Bär. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach Scrooges Neffe von neuem in ein Gelächter aus und konnte gar nicht wieder aufhören, so daß er vom Sofa aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die dicke Schwester, in ein ebenso unauslöschliches Gelächter verfallend: »Ich habe es gefunden, ich weiß es, Fred, ich weiß es.«

      »Was


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