Finn und Tea bei den Kreuzrittern. Anja Obst

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Finn und Tea bei den Kreuzrittern - Anja Obst


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      Leopold ergriff die Zügel und lenkte seine Stute weg von der Mauer. Die vielen Zuschauer von vorhin hatten sich mittlerweile verstreut, nur wenige liefen mit Körben oder Waren über den Platz.

      »Adieu!«, rief der Reiter und trieb sein Pferd in den Galopp.

      »Adieu!«, rief Finn, obwohl er wusste, dass Leopold ihn nicht mehr hören konnte.

      Finn drehte sich zu Tea und fragte:

      »Sag mal, wieso findet Leopold es eigentlich nicht komisch, mit einer Puppe zu reden?«

      »Weil ich ihn verhext habe natürlich!«

      Tea pustete auf ihre Fingerkuppen, als ob sie sich gerade die Nägel lackiert hätte.

      »Ihm ist einfach nicht bewusst, dass ich eine Puppe bin.«

      »Aber er sieht dich doch und muss dann auch sehen, dass du ganz klein und, nun ja, eben eine Puppe bist.«

      »Muss er?«, fragte Tea.

      Sie schaute sich um und forderte Finn auf, sich den Goldklumpen vor ihm im Sand genau anzuschauen. Er funkelte so sehr in der Sonne, dass Finn zwinkern musste.

      »Nun, wie sieht der aus?«

      »Wie Gold halt aussieht, gelb«, antwortete Finn mit krausgezogener Stirn.

      »Dann schau doch noch mal genauer hin!«

      Finn konnte kein Funkeln mehr entdecken. Dort, wo eben der Goldklumpen war, lag nun ein Stein in der gleichen Größe und mit den gleichen Unebenheiten.

      »Wo ist das Gold?«

      »Da war nie Gold. Das habe ich dir nur eingeredet.«

      »Aber zu Leopold hast du doch gar nichts gesagt, woraufhin er dich für eine normale Person halten könnte.«

      »Da kannst du mal sehen, dass auch vieles ohne Worte geht.«

      Tea grinste breit. Wie unheimlich, dachte Finn, wer weiß, ob das, was ich sehe, tatsächlich immer da ist?

      »Ist es, Finn«, beantwortete Tea die ohne Worte gestellte Frage. »Dieser Hexereien bediene ich mich nur, wenn es unbedingt notwendig ist.«

      Finn blieb noch einen Moment auf dem Mauervorsprung stehen, verdaute die Information und sah sich dann noch einmal um. An einem der Verkaufsstände sah er ein mit Kreide geschriebenes Wort, pesce.

      »Was ist denn ein Peske?«, fragte er Tea.

      »Das ist italienisch und bedeutet Fisch.«

      »Italienisch? Wieso steht das da auf Italienisch?«

      »Na, überleg doch mal, welche Gründe könnte es wohl geben, dass hier alles auf Italienisch steht?«

      Finn kratzte sich am Kopf.

      »Wir sind in Italien?«, fragte er dann ungewohnt zaghaft.

      »Benissimo!« Tea hob ihre Daumen, um sich die Antwort zu sparen, dass benissimo sehr gut bedeutet.

      »Hm, wenn wir in Italien sind, dann sprechen ja alle Italienisch, oder?«

      »Das kommt durchaus vor in Italien.«

      Theatralisch verdrehte Tea ihre Augen.

      »Aber wie kommt es, dass ich sie alle verstehe? Ich kann gar kein Italienisch!«

      »Du stehst unter einem Bann«, flüsterte sie und fuchtelte mit den kurzen Ärmchen herum, wie ein Zauberer, kurz bevor er das Kaninchen aus dem Hut holt.

      »Dem Bann meines magischen Translatomates!«

      Die Bewegung der Arme hörte abrupt auf. Finn kicherte.

      »Was für Tomaten?«

      »Keine Tomaten, mein Translatomat!«, betonte sie. »Eine meiner besten Erfindungen, ach, was sage ich, die beste Erfindung aller Zeiten!«

      Finn ist schon von ihrer Begeisterung angesteckt, ohne zu wissen, was das eigentlich sein soll.

      »Der Translatomat verwandelt Sprachen. Und das ganz automatisch. Egal, welche Sprache dein Gegenüber spricht, bei dir kommt alles auf Deutsch an. Und alles, was du sagst, klingt in den Ohren der anderen wie deren eigene Sprache. Toll, oder?«

      »Dann habe ich vorhin also Italienisch mit Leopold geredet?«

      »Nein, er ist ja Deutscher«, lachte die Puppe. »Aber der Papst hatte vorhin auf Lateinisch gesprochen, aber das kam bei dir auf Deutsch an. Du siehst, jede noch so alte oder gar nicht mehr gebräuchliche Sprache wird, schwuppdiwupp, in Deutsch für dich verwandelt.«

      »Du hast mich verhext???«

      »Nein! Also, nicht wirklich.«

      Die Puppe zupft verlegen an einem Faden ihres Gewands.

      »Das ist einfach nur ein kleines Extra für die Reise. Sobald wir zu Hause sind, funktioniert das nicht mehr. Dann bist du wieder ganz der Alte!«

      »Och, das ist ja doof!«

      Finn begann gerade, sich für die neuen Fähigkeiten zu erwärmen, verhext hin oder her. Für den Englischunterricht hätte er das gut gebrauchen können!

      »Und genau das geht nicht«, zerstörte die Hexe seinen verbleibenden Hoffnungsschimmer. »Diese Zeitreise, die wir hier unternehmen, ist nämlich ziemlich kompliziert. Wir reisen in der Zeit, aber auch zu anderen Orten, wie jetzt, nach Italien. Es machte aber keinen Sinn, hier zu sein, wenn du gar nichts verstündest. Also war ich so großzügig, dir ein paar Fähigkeiten zu schenken, für die Reise wohlgemerkt, die dir ganz nützlich sein können.«

      »Aber warum darf ich die denn nicht auch zu Hause behalten?«

      »Dreimal darfst du raten!«

      »Weil es auffallen würde, dass ich plötzlich so viel weiß?«

      »Siehst du, dein Gehirn kann ja doch arbeiten.«

      »Haha, das könnte es auch, wenn ich schon alles wüsste!«

      »Ja, meinst du? Weißt du, wie man Spaghetti mit Tomatensoße kocht?«

      »Was ist denn das jetzt für eine Frage?«

      »Weißt du es?«

      »Nein.«

      »Weil du es nämlich noch nie selbst machen musstest!«

      »Aber es wäre doch viel praktischer, wenn ich schon wüsste, ohne es erst mühsam lernen zu müssen.«

      »Wie langweilig wäre das denn? Du könntest nichts mehr ausprobieren. Du erlebtest nie, wie sich Erfolg anfühlt, wenn etwas gelingt. Oder wie Enttäuschungen dich zu neuen Ideen herausfordern. Es ist noch gar nicht so lange her, dass du stolz wie Oskar die fertig zusammen gebastelte Ritterburg präsentiert hast, oder? Das war doch ein tolles Gefühl!«

      »Ja, stimmt. Aber so ein bisschen mogeln zu können im Unterricht kann doch nicht schaden.«

      Finn grinste, wie er hoffte, gewinnend.

      »Ah, du benutzt ja schon genau das Wort, weshalb es nicht geht!«

      »Mogeln?«

      »Mogeln!«

      »Na gut, irgendwie hast du ja auch recht. Den anderen gegenüber wäre es unfair.«

      Tea klopfte Finn auf die Schulter.

      »Siehst du, nichts wissen hat auch seine guten Seiten.«

      »Haha!«

      »Da ist aber noch ein anderer, nicht unwesentlicher Punkt«, fuhr Tea fort.

      »Und der wäre?«

      »Ich würde dein Zukunft verändern, dürftest du das ganze Wissen mit in deine Zeit nehmen.«

      »Wie denn das?«

      »Na, weil ich dich in jemanden verwandelte, der du gar nicht bist. Ein Mathegenie zum Beispiel.«


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