Raumfahrt - wohin und wozu. Thomas Ahrendt
Читать онлайн книгу.nach unseren Bedürfnissen umgestalten oder indem wir uns anpassen - durch biologische Prozesse und/oder durch technische Hilfen.
Vielleicht wird auch von allem etwas eintreffen, die Zukunft wird den optimalen Weg zeigen, falls es ihn gibt. Vielleicht braucht jede Welt eine spezifische Lösung. Auf jeden Fall wird es komplex. Aus Rohstoffen und Energie lässt sich alles herstellen, was gebraucht wird; da unsere abgeschlossene Erde endlich ist, gibt es Wachstumsgrenzen. Aber das trifft für das Weltall nicht zu.
Unsere Welt schwimmt in Energie und wir sind von Raum und Rohstoffen umgeben, wo Platz ist für alle Aktivitäten, die unsere Umwelt bedrohen. (Da Materialien altern und generell der Rohstoffbedarf aufgrund von Bevölkerungswachstum und Lebensstandard steigt, ist auch ein perfekter Material- und Energiekreislauf keine Endlösung für deren Mangel - neue Quellen müssen erschlossen werden: irdische, wenn nötig - extraterrestrische, wenn möglich.)
Sollten sich unsre Nachfahren dazu entschließen, einen Planetoiden zum Beispiel in eine 24-Stunden-Erdumlaufbahn zu bringen, um sein Material vielleicht für einen Himmelsfahrstuhl zu verwenden, müssten sie eine solare oder nukleare Energieversorgungsanlage auf ihm errichten, um eine EMK, eine elektromagnetische Kanone oder ähnliches zu betreiben, die als Impulsträger dessen Material verwendet. Gehen wir mal von einem 34 m großen Planetoiden mit 100 Kilotonnen Masse aus und nehmen an, dass 5 km/s für den Transport ausreichen, dann wäre die EMK-Strahlgeschwindigkeit 3,125 km/s.
Die Leistung der Energiequelle wäre 3,2 MW (elektrisch) beziehungsweise 12,8 MW (thermisch) über mehrere Jahre lang. Dann würde die Planetoiden-Endmasse bei 20 Kilotonnen liegen. Der Transport hätte einen Energieaufwand von 25,2 kWh/kg; für das fertig aufbereitete Endprodukt etwa 30 kWh/kg, wenn so gut wie alles verwertbar ist - die Fertigprodukte werden also unterwegs hergestellt und können im Erdorbit beziehungsweise im geolunaren oder cislunaren Raum abgeholt werden.
Statt der EMK könnten andere Planetoiden-Antriebsmethoden wirtschaftlicher sein, zum Beispiel A- oder H-Bomben oder Bussardkollektoren. Vielleicht wird gar nicht der Restplanetoid zur Erde gebracht, sondern der "Abgasstrahl" auf die Erde gerichtet - in einen Trichterfänger. Oder der Planetoid wird dort draußen "umgesetzt" und die Fertigprodukte per EMK zur Erde oder zu anderen Planeten geschickt.
Als sich die bemannte Raumfahrt wegen der bevorstehenden Mondlandung in den 1960ern in Hochstimmung befand, hatte man für die Post-Apollo-Ära noch viele andere weiterreichende Visionen. Noch vor der Marsexpedition sollten bemannte Flüge zu ENAs stattfinden. Die Kleinplaneten sah man als nützliche Rohstoffquelle bei der Weltraumerforschung und der Kolonisierung des Sonnensystems an. Unter anderem war geplant, auf rohstoffreichen Planetoiden zu landen und sie in Erdumlaufbahnen zu bringen, eventuell unter Verwendung von nuklearen Sprengsätzen im Megatonnen-Bereich oder von Massenbeschleunigern, um den Planetoiden besser lenken zu können.
Anstatt den Mond, den Mars usw. nur kurzfristig zu erobern und dann wieder zu verlassen, wird ein Langzeitprogramm angestrebt, mit dem wir beziehungsweise unsere Nachfahren dauerhaft fremde Welten besiedeln können. Von der Erde soll nur Material kommen, das für Schürfanlagen auf dem Mond und den Planetoiden benötigt wird, um Rohstoffe abzubauen und Bauarbeiten mit Sonnenenergie auszuführen. Aus 1 Megatonne Planetoidenmaterie ließe sich ein Weltraumhabitat für 10.000 Personen bauen; dazu würde eine Astronautenmannschaft von einer Mondstation oder einer Raumstation im LEO aus mit Bergbaumaschinen und einem im Weltraum zusammengebauten Massenbeschleuniger starten, nach einigen Monaten am Planetoiden eintreffen und Kabel an ihm befestigen, dann den Massenbeschleuniger anbringen und den Planetoiden auf Erdkurs (oder Mars- oder Venuskurs) bringen. Unterwegs würden sie beziehungsweise ferngesteuerte Roboter oder andere Automaten einen Stollen ausheben und darin eine Werkstatt mit einem Solar-Kraftwerk errichten und mit der Produktion von Wasser, Sauerstoff, Metallen und anderen Rohstoffen beginnen. Nach 1 bis 2 Jahren befindet er sich dann zum Beispiel im Erd-GSO - dann könnte man ihn zum Bau eines Weltraumfahrstuhls verwenden. (Gleiches gilt für Venus, Mond oder Mars.)
Der Planetoid liefert nämlich Rohstoffe, die es auf dem Mond nicht gibt und die auch wegen der viel geringeren Schwerkraft - selbst im Vergleich zum Mond - leichter zu transportieren sind. Mit dem Restmaterial ließen sich weitere Kolonien im erdnahen Weltraum bauen, deren Bewohner dann weitgehend unabhängig von der Erde wären.
ENA-Missionen sind sowohl zur wissenschaftlichen Erkundung als auch zur Erforschung, Erprobung und Durchführung von Impakt-Abwehrmaßnahmen und zu deren Besiedlung sinnvoll. Die Besiedlung von Planetoiden ließe sich auch mit Phobos und Deimos beginnen oder man fängt bei den ENAs an und geht von dort zu den Marsmonden über...
Die Rohstoffe der Planetoiden reichen für Billionen Menschen als Lebensgrundlage. Sie bieten sich geradezu an, sie zur Kolonisierung des interplanetaren und interstellaren Raums zu nutzen - als Rohstoffquellen, als Siedlungen und als Raumschiffe. Freischwebende künstliche Ökosphären könnten sich als die beste Lösung zur Weltraumbesiedlung erweisen: zylinderförmige Kolonien können in beliebige Rotation versetzt werden (die Obergrenze ist durch die Materialfestigkeit gegeben) und haben bei gegebener Masse die größte Innenfläche. Sollten die Kolonisten von der Erde kommen, müsste das Habitat in etwa erdähnliche Gravitation haben; entsprechendes gilt für Mars- oder Mondbewohner. Auch gilt es, einen etwaigen Tourismus zu berücksichtigen...
Ein mögliches Weltraumhabitat könnte zum Beispiel eine 15 km große Kugel sein, mit einer dünnen Außenhaut aus transparentem Material, die das Entweichen der Luft verhindert und die die auftreffende solare Strahlungsenergie ungehindert hindurch lässt. Der Luftdruck seinerseits gibt der Struktur die nötige Festigkeit. Unter der Hülle gibt es Einrichtungen und Vorrichtungen, zur Nutzung der Sonnenenergie, entweder Chlorophylltanks (oder künstlicher Fotosynthese) oder elektrische Anlagen - in dem Fall würde die Kugel über riesige hauchdünne solarelektrische Membranflügel verfügen, um die Fläche für das Sonnenlicht zu vergrößern und über Wärmeraditoren, um eine Überhitzung zu verhindern.
Vor unserer kosmischen Haustür, im Raum zwischen Erde und Mond ist alles das reichlich vorhanden, was auf der Erde knapp wird: Energie und Rohstoffe - in großem Umfang. Durch die geringe Mondschwerkraft wird der Transport von Materialien durch elektromechanische Katapultmaschinen in diesen "geolunaren Raum" außerdem noch viel billiger. Wenn die zu errichtende Station oder Siedlung nahe eines gewissen Punktes der Mondbahn liegt, ist der Geschwindigkeitsbedarf besonders gering. Eine lunare Montanindustrie liefert die nötigen Rohstoffe für den Bau der Erdaußenstation. Von einer weiterhin zu errichtenden Arbeitsstation aus wird die erste Einheit der Weltraumwohnstätten für 10.000 Menschen errichtet, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, weitere Habitate zu bauen, um eine erste Kolonisationsphase einzuleiten. Zunächst müssen Kilotonnen von Material von der Erde ins All befördert werden; soll sich die erste Station reproduzieren, kommen noch etwa 10 Megatonnen vom Mond zur Abschirmung der primären kosmischen Strahlung dazu.
Die Hauptaufenthaltsgebiete der Siedler in den kosmischen Inseln - mächtige Zylinder von 32 km Länge und 6,4 km Durchmesser - besitzen normale, das heißt irdische Schwerkraft, die durch Rotation erzeugt wird. Der Personen- und Gütertransport erfolgt durch zylindrische Kanäle entlang der schwerelosen Null-g-Rotationsachse und durch Magnetschwebebahnen an der Außenseite. Dadurch gelangt man zu den Produktionsanlagen außerhalb des Habitats. Der Lebensraum im Zylinderinneren kann unglaublich fantastisch gestaltet werden. Diese Megastationen des 3. Typs bietet ausreichend Platz für 10 Millionen Menschen - mehr als in den meisten Großstädten. Allein die Luft im Inneren einer Insel III-Kolonie hätte bei 1 bar 1,2 Gigatonnen Masse.
Andere Weltraumkolonien könnten torusförmig sein, also die Form riesiger Reifen haben. Durch seine Rotation entsteht künstliche Schwerkraft wie auf der Erde, damit sich seine Bewohner normal bewegen können. Der Reifenhohlraum wäre 35 km lang, in seinem Inneren wäre eine Landschaft modelliert und es würde ein Wettergeschehen für seine mehrere Millionen Bewohner geben. Riesige Sonnenspiegel lenken Sonnenlicht durch transparente Wände in die künstliche Ökosphäre und erzeugen somit Tag und Nacht und Wärme.
Die Weltraumkolonien könnten sich zum Beispiel in EML4 und 5 befinden; an diesen Regionen gleichen sich die Anziehungskräfte zwischen Erde und Mond aus und ein dritter Körper mit vergleichsweise vernachlässigbarer Masse verbleibt an diesen Regionen auf einer stabilen Position. Auch der GSO wäre ein bevorzugter Platz, da eine dortige Weltraumstadt gleichzeitig