Chuck. Hans Müller-Jüngst
Читать онлайн книгу.von ihrem Fach her natürlich sehr an der Ausstellung interessiert, die sie in Bielefeld ansteuerten und erklärte sich bereit, Chuck durch die Säle zu führen und ihm ein paar erklärende Tipps zu geben, sie nähme es ihm aber nicht übel, wenn er sich der Führung anschlösse, die fast alle mitmachten. Aber Chuck nahm Doris Angebot an, ihn durch die Ausstellung zu führen, wer, wenn nicht Doris, sollte denn die Kompetenz haben, eine sachkundige Führung zu unternehmen? Sie war Oberstudienrätin für Kunst, allein das zeichnete sie als Expertin aus, und darauf wollte Chuck sich einlassen.
Er fand Doris natürlich auch sehr sympathisch, wenngleich eine Beziehung zu ihr wegen des Altersunterschiedes ausschied. Doris und Chuck sonderten sich gleich, nachdem sie die Kunsthalle in Bielefeld erreicht hatten, von den anderen ab, sie vernahmen noch, wann und wo man sich wieder treffen wollte und verschwanden dann in der Kunsthalle, wo sie sich zuerst in das Museumscafe setzten und einen Cappuccino tranken. Sie sahen von dort, das gesamte Kollegium an sich vorbeirauschen, wie die Lemminge hetzten alle der Museumsführerin hinterher, die sie in den hintersten Ausstellungssaal lotste. Da sie von einer Säule verdeckt saßen, konnten sie von den Kollegen nicht gesehen werden, was ihnen beiden auch ganz recht war, denn das hätte sonst nur zu Tuscheleien geführt. Doris begann einen einleitenden Kurzvortrag zum Deutschen Impressionismus, sie schickte die Bemerkung voraus, dass sie sich keinesweges exponieren wollte und Chuck ihr unbedingt sagen müsste, wenn sie zu dick auftrüge. Aber Doris verstand es, mit sanfter Stimme und einfachen Worten überzeugend Dinge zum Deutschen Impressionismus zu vermitteln, sie stellte das große impressionistische Dreigestirn Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt vor.
„Ich bin immer bestrebt“, sagte Doris, „auch die Schüler an den Impressionismus zu bringen, wobei ich aber sehe, wie weit entfernt sie inzwischen davon wären, sich auf die intensive Betrachtung eines Bildes einzulassen.“ Sie erzählte, dass sie in der Oberstufe grundsätzlich vor der Frage stünde, wie sie eine Verbindung zwischen der Welt der Schüler und der des Künstlers herstellen könnte. Chuck beobachtete Doris während ihres Vortrages genau, er sah ihre edlen weichen Gesichtszüge und ihre fast geschlossenen Augen. Doris sah schön aus, sicher, aber man sah auch, dass sie keine dreißig mehr war, man konnte aber nicht sagen, dass sie alt aussah. Ihr Gesicht wurde von einigen wenigen Falten durchzogen, die es aber nicht verunstalteten, sondern ihm etwas Reifes und Überlegenes gaben. Doris bemerkte mit einem Mal, wie Chuck sie beobachtete und fragte:
„Langweilte ich Dich?“, was Chuck aber weit von sich wies:
„Wie kommst Du nur darauf?“, wollte er von ihr wissen, „ich höre Dir sehr interessiert zu.“ Doris musste lächeln, was sie noch schöner aussehen ließ, sie musste früher fantastisch ausgesehen haben, dachte Chuck, sie tranken ihren Cappuccino und gingen in die Ausstellung, immer darauf achtend, nicht den anderen in die Quere zu laufen. Sie blieben eine Zeit lang bei Max Liebermann stehen und Doris sagte, dass die deutschen Impressionisten keineswegs nur ihre französischen Kollegen imitiert hätten, sie hätten vielmehr einen eigenen Weg beschritten, es wäre ihnen aber allen gemein, dass sie den Augenblick des Lichts festhalten wollten. Sie sagte:
„Ihre Motive blieben in dem sie in dem kurzen Moment fixierenden Licht immer einzigartig und sind oftmals nur mit ein paar Pinselstrichen hingehuscht worden.“ Doris war völlig in die ausgestellten Bilder vertieft, fast war sie eins mit ihnen, sie ließ ihre Augen nicht von ihnen. Chuck dachte, was Doris doch für eine gute Kunstlehrerin sein müsste, wenn sie sich so mit den Kunstwerken identifizierte, er selbst spürte die Kraft, die von ihr ausging, während sie von den Werken erzählte und die Künstler in den Himmel hob. Sie liefen dann zur verabredeten Zeit wieder zu den Bussen und wurden vom Kollegium gemustert, was aber weder Doris noch Chuck etwas ausmachte. Die Vorsitzende des Lehrerrates sagte darauf, dass sie mit den Bussen langsam wieder zurückführen und unterwegs an einem Restaurant Halt machten, sie hätten dort reserviert, jeder könnte a la carte essen. Die Fahrt zum Restaurant dauerte ungefähr eine Dreiviertelstunde, in der Doris und Chuck wieder zusammensaßen und in der Chuck Doris für die kompetente Führung durch die Ausstellung dankte. Chuck erzählte danach von sich, dass er viermal in der Woche ins Fitnessstudio ginge, nicht um Muskelaufbau zu betreiben und wie ein Bodybuilder auszusehen, sondern nur, um seine Kondition aufrechtzuerhalten.
„Mens sana in corpore sano“, er glaubte an den uralten Spruch, sagte Chuck. Doris entgegnete, dass die meisten viel zu wenig für ihren Körper täten, sie eingeschlossen, es bliebe bei ihr bei Worten und guten Vorsätzen, „vielleicht kannst Du mich einmal mitnehmen in Dein Fitnessstudion“, und Chuck war begeistert von der Idee. Kurze Zeit später erreichten sie das Restaurant, es war ein Ausflugslokal, in dem mitten in der Woche nichts los war, Doris und Chuck hatten mächtigen Hunger bekommen und gingen die Speisekarte durch. Chuck sagte:
„Ich esse im Regelfall mittags nur wenig, ich begnüge mich mit Obst und will dieses Mal eine Ausnahme machen.“ Doris und er suchten sich von der Speisekarte Wild aus, Chuck schlug vor, sich für Hirschgulasch mit Spätzle zu entscheiden, Doris war einverstanden und sie nahmen Hirschgulasch. Sie sprachen vor und während des Essens dann doch über die Schule und einzelne Schüler, die sie beide unterrichteten. Chuck sagte:
„Ich liebe den Unterricht in der Mittelstufe so, weil ich da die Möglichkeit sehe, erzieherisch auf die Schüler einzuwirken.“ Doris entgegnete:
„Mit dieser Haltung bist Du im Kollegium sicher allein auf weiter Flur, die meisten Kollegen hassen den Unterricht in der Mittelstufe, weil die Schüler sich und den Lehrern das Leben durch unbotmäßiges Verhalten schwer machen. Ich verstehe Dich aber, auch ich sehe mich manchmal in der Rolle einer Person, die den Mittelstufenschülern etwas vorlebt, von dem ich glaube, dass es nachahmenswert für sie ist, ich finde es sehr schwer, die Balance dabei zu halten und mich nicht lächerlich zu machen.“ Das Hirschgulasch schmeckte gut, Doris und Chuck aßen langsam und mit Genuss, sie waren beide nie jemand gewesen, der sein Essen verschlang. Sie saßen an einem großen runden Tisch mit weiteren sechs Kollegen, mit denen sie sich aber kaum unterhielten, weil die fast nur Belanglosigkeiten miteinander austauschten.
Nach eineinhalb Stunden wurde die Mittagspause beendet, und man fuhr wieder zur Schule zurück, wo Chuck sich von Doris bis zum nächsten Tag verabschiedete, sie wollten am Nachmittag ins Fitnessstudio. Chuck fuhr mit der Straßenbahn nach Hause, setzte sich in seinem Wohn-/Arbeitszimmer in einen Sessel und dachte über Doris und den Lehrerausflug nach. Doris war zwar schon etwas älter, aber immer noch sehr attraktiv, sie schied aber als Partnerin für Chuck aus. Chuck fand, dass sie viel Wärme ausstrahlte, weshalb es sehr angenehm war, sich in ihrer Gesellschaft aufzuhalten und mir ihr zu reden. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie im Unterricht war, sie konnte auf die Schüler eingehen und ihnen zu verstehen geben, dass sie für sie da war. Chuck ging an dem Tag erst spät ins Bett, schaltete den Fernseher an und sah sich einen „Tatort“ an, den er vor Jahren schon einmal gesehen hatte, es ärgerte ihn, dass ihm als Fernsehzuschauer permanent Wiederholungen alter Sendungen vorgesetzt wurden.
Er lag im Bett noch eine Zeit lang wach, stierte zur Decke hoch und dachte nach, bevor er einschlief und am nächsten Morgen wieder um 6.30 h aufstand. Er brauchte morgens immer zwanzig Minuten im Badezimmer, in denen er sich die Zähne putzte, duschte, sich rasierte, seine Haut mit Niveacreme einschmierte und seine Haare in Ordnung brachte. Gelegentlich stellte er dann noch das Bügeleisen an, um ein Hemd zu bügeln. Das Bügeln hatte er sich während seiner Studienzeit beigebracht, als es niemanden gab, der ihm seine Wäsche gebügelt hatte. Er fand es schon immer sehr schwer, ein Hemd knitterfrei zu bügeln, heute gab es Freiarmbügelbretter, die einem das Hemdenbügeln etwas erleichterten, ansonsten aber war der technische Fortschritt an der Tätigkeit des Bügelns vorbeigegangen. Chuck hasste das Bügeln, liebte auf der anderen Seite aber frisch gebügelte Hemden, also musste er ran und die Sachen glätten. Er parfümierte sich nicht, wie das viele Männer inzwischen taten, er benutzte auch kein Deo, es gab unter den hunderten von Deos solche, die so penetrant rochen, dass einem fast der Atem wegblieb. Manchmal benutzte er nach dem Sport einen Deo-Stick, der aber völlig geruchsneutral war. Das Einzige, was an ihm nach der Badezimmeraktion roch, war die Niveacreme, er war aber auch nicht der Typ, der viel Körpergeruch entwickelte, wie das manche taten. Chuck hasste es, wenn sich manche Zeitgenossen gehen ließen und ihre Umgebung mit ihrem Körpergeruch belästigten, er ertappte sich gelegentlich dabei, wie er drauf und dran war, solchen Leuten das Duschen nahezulegen,