Die Sprache des Traumes – Eine Darstellung der Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 3 – bei Jürgen Ruszkowski. Wilhelm Stekel
Читать онлайн книгу.an Angstzuständen leidender Postbeamter träumt:
(461) „Es war in den Magazinen des Zollamtes, wo während der Weihnachtsperiode die Post ihre Lokalitäten aufgeschlagen hat. Während des Jahres ist in diesen Räumen Öl in Fässern aufbewahrt, welche öfters rinnen; deshalb ist im Fußbodenpflaster in der Mitte des Kellers eine Rinne angebracht, um dieser Sickerflüssigkeit einen Weg zu bahnen.
Es schien mir, dass ein Individuum ein Zündhölzchen wegwarf, wodurch das in der Rinne befindliche Öl Feuer fing. Das Feuer breitete sich rasch aus und griff auf einen Berg von Postfrachten über, welcher in der Nähe aufgeschichtet war. Ich stand abseits; bald aber fing auch mein Rock Feuer, und ich spürte und sah, wie sich das Feuer an mir emporschlängelte. Ich hatte riesige Angst, nicht so sehr wegen meiner Person, als des Zustandes wegen, dass ich für die, für die Feuersicherheit in diesen Räumen zu treffenden Maßnahmen verantwortlich war. Ich schrie, um die Leute auf die Gefahr aufmerksam zu machen und sie zum Löschen und Retten anzueifern.“
Die Sexualsymbolik ist ziemlich durchsichtig. (Fass, Rinne, Öl usw.) Auch verrät sich der Brandstifter in klarer Weise: Er ist das Individuum, das einen schweren Brand verursachen wollte. In seinem Elternhause standen im Keller viele Petroleumfässer. Der Traum verrät seine infantilen Rache- und Zerstörungsphantasien, die sich jetzt in Angst verwandelt haben.
Ähnliche Umkehrungen sind unendlich häufig: Menschen, die an Alpträumen leiden, in denen sie gewürgt werden, haben jemanden erwürgen wollen. Die Angst vor dem Fallen, der bekannte typische Traum des Abstürzens, hat ebenfalls diese kriminelle Wurzel. Diese Neurotiker hatten Wunsche, ein anderer sollte fallen, oder wollten den andern gar hinunterwerfen, wie uns eine in diesem Kapitel vorgebrachte Erinnerung berichtet.
Den Schluss dieses Konvolutes von Gräuelträumen möge ein Traum des Herrn X. Z. (vgl. Nr. 19) bilden:
Der Traum von der fliegenden Post
(462) „Ich komme durch einen Spalt zwischen zwei Brettern aus der „Radstube“ hervor. Die Wände triefen vor Wasser. Knapp vor mir ist ein Bach, darin steht ein wackeliges, schwarzes Klavier. Ich benütze es zum Überschreiten des Baches, denn ich bin auf der Flucht. Hinter mir her ist ein Haufen Männer. Ihnen allen voran mein Onkel. Er feuert die anderen an, mich zu verfolgen und brüllt und schreit. Die Männer haben Bergstöcke, die sie gelegentlich nach mir werfen. Der Weg geht durchs Grüne bergauf und bergab. Die Straße ist mit Kohlenabfällen besät und daher schwärzlich. Ich muss mich furchtbar plagen, um vorwärts zu kommen. Manchmal komme ich mir vor, wie angewachsen, und die Verfolger kommen mir immer näher. Plötzlich kann ich fliegen. Ich fliege in eine Mühle durchs Fenster hinein. Darin ist ein Raum mit Bretterwänden, an der gegenüberliegenden Wand ist eine große Kurbel. Ich setze mich auf das Heft, halte es mit den Händen fest und fliege in die Höhe. Wie die Kurbel oben ist, drücke ich sie durch mein Gewicht wieder herunter und setze so die Mühle in Gang. Hierbei bin ich ganz nackt, ich sehe aus wie ein Amor. Ich bitte den Müller, er möge mich hier bleiben lassen, ich würde ihm dafür die Mühle auf die besagte Art treiben. Er aber weist mich ab, und ich muss zu einem anderen Fenster wieder hinausfliegen. Da kommt oben draußen die „fliegende Post“ vorbei. Ich setze mich vorne neben den Kutscher. Bald werde ich aufgefordert zu zahlen, aber ich habe nur drei Heller bei mir. Da sagt mir der Kondukteur: „Ja, wenn Sie nicht zahlen können, dann müssen Sie sich unsere Schweißfüße gefallen lassen.“
Nun ziehen wie auf Kommando alle Insassen des Wagens einen Schuh aus, und jeder hält mir einen Schweißfuß vor die Nase.“
Wenn wir von der Geburts- und Mutterleibsphantasie absehen, entpuppt sich Herr X. Z. als ein schwerer Krimineller. Er kämpft mit bewussten Mordideen. Er fürchtet, er könnte den Onkel oder die Mutter erschlagen. Er ist sehr fromm. Aber seine Seele ist schwarz wie die mit Kohlenabfallen übersäte Straße. Seine bösen Gedanken (auch die homosexuellen!) verfolgen ihn. Er kommt in die Mühle. Es ist die Mühle Gottes. Diese Mühlen mahlen langsam, aber sicher. Sein Gewicht (seine Sündenlast) treibt die Mühle. Er wird vertrieben... Er kommt in die „fliegende Post“. Es ist die Post, die Himmel und Erde verbindet. Er soll zahlen, d. h. seine Sünden büßen. Er hat erotische Sünden. (Drei Heller = das Genitale!) Seine Sünden und Missetaten stinken gegen Himmel (Schweißfüße). Der Kondukteur ist der Tod... Die Radstube geht auf das Rädern der Verbrecher. Das Wasser ist Blut... Das wacklige schwere Klavier ist die Mutter, die er erschlagen hat. Der Bach symbolisiert hier das Blutbad. Er geht über die Mutter und den Onkel hinweg...
Damit schließe ich diese verbrecherischen Träume. Die Menschen müssen Verbrechen träumen, um sie nicht zu begehen. Hebbel sagt: ,,Dass Shakespeare Mörder schuf, war seine Rettung, dass er nicht Mörder zu werden brauchte.“
Auch die Neurotiker retten sich vor dem Verbrechen durch ihre Träume. Meine Analysen haben mir immer aufs Neue bewiesen, wie tief das Kriminelle in allen Menschen schlummert. Wir von des Gedankens Blässe angekränkelten Kulturmenschen haben allen Grund, bescheiden zu sein. War es doch Goethe, der den Satz aussprach: „Ich habe niemals von einem Verbrechen gehört, das ich nicht hätte begehen können.“
Für die Psychoanalyse ist die Kenntnis des Kriminellen von der allergrößten Bedeutung. Wir werden selten eine Neurose vollkommen heilen können, wenn wir nicht den geheimen Verbrecher im Menschen berücksichtigen. Sowohl die Todessymbolik als auch die Symbolik des Kriminellen haben mir die wertvollsten Dienste bei der Auflösung schier unlöslicher Angstzustände und Zwangserscheinungen geleistet. Eines steht für mich fest: Das quälende Schuldbewusstsein des Neurotikers stammt aus diesen Quellen und kann nur auf diese Weise gelöst werden, dass man den Kranken auf das allgemein Typische und Menschliche dieser Phänomene aufmerksam macht. Auch begreifen wir erst jetzt die überragende Bedeutung des religiösen Komplexes. Die Religiosität ist das Negativ der Kriminalität. Alle Neurotiker sind reuige Sünder und fromme Büßer!
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„Auferstehung“ und zum zweiten Male sterben
„Auferstehung“ und zum zweiten Male sterben
„Was heißt Leben? – Leben – das heißt:
Fortwährend etwas von sich abstoßen,
das sterben will. Leben – das heißt grausam und
unerbittlich gegen alles sein, was schwach
und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.
Leben – das heißt also: ohne Pietät gegen
Sterbende, Elende uns Greise sein?
Immerfort Mörder sein? –
Und doch hat der alte Mose gesagt:
Du sollst nicht töten!“ Nietzsche
Wenn die Psychoanalyse keinen anderen Erfolg erzielt hätte, als uns belehrt zu haben, wie fest die Bande sind, die uns an unsere Eltern binden, so hätte sie schon Großes geleistet. Vater und Mutter waren uns nie leere Begriffe, sie galten als das Heiligste, was wir besaßen. Jetzt wissen wir, dass sie das Stärkste sind. Der psychische Infantilismus ist das wichtigste Kennzeichen der Neurose. Die Kranken beharren hartnäckig auf ihrer infantilen Form des Lustgewinnes. Das macht die Grundlage jener unerschütterlichen Treue aus, mit der die Neurotiker an ihren infantilen Idealen hängen. Manche Erscheinungen sehen ja aus wie das Gegenteil: Empörung, Unabhängigkeit, Rücksichtslosigkeit den Eltern gegenüber. Wer mit der merkwürdigen Eigenschaft der Bipolarität aller Symptome vertraut ist, wird sich darob nicht wundern. Er wird die gegenteilige Erscheinung als den Versuch ansehen, sich aus diesen Banden zu befreien. (Adler würde diese Erscheinungen als männlichen Protest gegen das weibliche Empfinden der Hingebung auffassen.)
Haben die Lebenden schon eine so ungeheure Gewalt über uns (Vergleiche Jung: „Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen“ (Jahrbuch 1).), so scheint die Herrschaft der Toten manchmal noch tyrannischer zu sein. Wie viele neurotische Symptome sind nur „nachträglicher Gehorsam“ oder „nachträglicher Trotz“. Also immer Reaktionen auf die Imperative der Erzieher. Der Tod kann hie und da diese Imperative lösen.