Ein Mann will nach oben. Ханс Фаллада

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Ein Mann will nach oben - Ханс Фаллада


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höllisch brannten. Langsam ging er auf den regenerweichten Fußwegen, sah das entfärbte Grün des Rasens wohlgefällig an, als habe er so etwas schon Jahre nicht mehr gesehen, und besann sich schließlich sogar auf seine Frühstücksbrote, die noch immer die Taschen seiner Joppe strammten. Auf und ab wandelnd, verzehrte er sie. Berlin war nicht ganz so strahlend, wie er es sich erträumt hatte, aber es war auch nicht so schlimm, wie es an diesem grauen Novembertage aussah: er würde die Stadt schon kriegen! Freilich, als er dann den Humboldthain wieder verlassen mußte, als er in die Wiesenstraße einbog, als er dann über die Höfe ging, als er die Treppe zur Buschschen Wohnung hinaufstieg und es ihm wieder klar wurde, daß er nun gleich der Rieke würde erzählen müssen, er hatte keine Arbeit, er hatte aber ihren Vater um seine Arbeit gebracht, und daß der Vater wieder in einer Schenke saß und trank – da fiel alle Aufmunterung von ihm ab, und er war nur noch ein Junge, der etwas ausgefressen hat, der sich seiner Taten schämt und der nur den Wunsch hat, die nächste Viertelstunde möchte erst vorbei sein.

      Doch Rieke kam noch gar nicht, und das war ihm auch wieder nicht recht. Die Wohnungstür war verschlossen, drinnen hörte er Tilda trappeln und schwätzen, draußen hing eine Schiefertafel mit dem Satz »Bin um Fier wieder da«, was auf einen nicht völlig erfolgreichen Schulbesuch Riekes schließen ließ. Blieb als letzte Hoffnung nur die Witfrau Bromme, und die wußte auch nicht viel Tröstliches. »Der Schlüssel? Na, den einen hat die Rieke, die is uff ihre Abwaschstelle. Die kommt nur schnell um vieren vorbei und sieht nach Tilda und jibt ihr Milch. Und denn jeht se ins Büro von Rechtsanwalt Schneider reinmachen, da kommt se nich vor siebenen zurück –« War also Beichte und Aussprache bis auf den Abend verschoben, und dann war vielleicht der alte Busch schon wieder in der Wohnung, aber in welchem Zustand! »? und den anderen Schlüssel hat der olle Busch, biste denn mit dem nich losjezittert, Jung?« Doch das war er, nur ... »Hat wohl nich so jeklappt mit de Arbeet? Ha' ick mir jleich jedacht! Wat haste denn jemacht den janzen Morjen? Koks jetragen? Ick seh's an deine Hände! Wat haste denn dafür jekriegt? Nischt? Ach, red nicht – entweder biste doof oder du schwindelst!«

      »Ich soll um vier bei einem Herrn in der Kurfürstenstraße sein«, lenkte Karl Siebrecht ab.

      »In der Kurfürstenstraße? Det is ja der feine Westen! Da würde ick nich hinjehen, det ist doch nischt für unsereinen! Bleibe im Lande und nähre dich redlich!«

      »Und da hätte ich gerne mein anderes Zeug angezogen ...«

      »Ach so! Desterwejen der Schlüssel! Ja, Jung, da kann ick dir ooch nich helfen! Wenn de nich bis vieren uff Rieken warten willst? Det Zeug von meinem Seligen ist dir zu füllig. Aber der Bäcker, der Bremer, liegt ja uff sein Bette und pennt, weil er Frühschicht jehabt hat – vielleicht det der dir seine Klamotten pumpt. Dieselbe Jröße habt ihr ja, nur det der Bäcker breiter is ...«

      Der Bäcker Ernst Bremer lag wirklich auf dem Bett, in seinem Arbeitszeug, das genauso weiß bestäubt aussah wie sein Gesicht, mit den traditionellen nackten Bäckerfüßen: die Latschen lagen vor dem Bett. Aber er schlief nicht, sondern blinzelte mit seinen dunklen Augen den Karl Siebrecht an. Der brachte, ein wenig stockend, sein Anliegen vor. »Nee!« sagte der Bäcker und drehte sich mit einem Ruck zur Wand. »Ick kenn dir ja jar nich! Und überhaupt –!«

      »Und was überhaupt?« fragte Karl Siebrecht die Bremersche Rückseite, nun doch etwas verblüfft über die schroffe Abweisung. Gestern Abend hatten sie doch noch ganz vergnügt und kollegial mit den Körben geschleppt. Aber er bekam keine Antwort. »Na, denn nicht!« sagte Karl Siebrecht und wußte jetzt, warum er sein Anliegen vorhin nur so stockend vorgebracht hatte: er konnte diesen Bäcker Ernst Bremer einfach nicht ausstehen, gleich von Anfang an nicht.

      Und Karl Siebrecht mußte sich mit einer gründlichen Waschung in der Küche begnügen.

      11. Herr von Senden, Schwager des Kalubrigkeit

      Im Hause Kurfürstenstraße 72 hatte ihn natürlich als erstes der Portier von der marmornen und samtenen Vordertreppe gröblich heruntergeholt und ihn die Dienstbotentreppe hinaufgeschickt. All dies waren neue Erfahrungen für Karl Siebrecht, im ersten Augenblick ärgerlich, bei einigem Nachdenken sofort erträglich. Er war nun eben nicht mehr der Sohn des Bauunternehmers Siebrecht – obwohl er das natürlich noch immer war –, er war der Arbeiter Karl Siebrecht, der arbeitsuchende Karl Siebrecht.

      Auch die dickliche Köchin, die ihm die Hintertür geöffnet hatte, schaute ihn recht mißtrauisch an. »Stimmt das auch?« fragte sie. – Karl Siebrecht versicherte, er sei vom Herrn zu vier bestellt. – »Dann warte man!« sagt sie und ballerte ihm die Tür wieder vor der Nase zu.

      Es hatte höchst sympathisch nach Gänsebraten und Rotkohl gerochen – der Herr Senden, der Herr von Senden, wie das porzellanene Namensschild an der Hintertür auswies, mußte ein wohlhabender Mann sein. Gänsebraten an einem Alltag – das hatten Siebrechts sich in ihren besten Zeiten nicht erlaubt. Es konnte übrigens auch Ente sein – und dem Jungen fiel ein, daß er heute, vermutlich zum erstenmal in seinem Leben, kein warmes Mittagessen bekommen hatte. Bei diesem Gedanken fing sein Magen, trotz der Stullen, auf das unverschämteste zu knurren an.

      Karl Siebrecht machte den Mund weit auf und schluckte mehrmals hintereinander beträchtliche Mengen Luft, bekanntlich ein unfehlbares Mittel gegen solche Rebellion des Magens. Aber der noch immer spürbare Enten-Gänsebraten-Geruch erwies sich als stärker: der Magen knurrte fort. Er knurrte auch weiter, als die Tür aufging und ein grünlivrierter Knabe den Besucher von oben bis unten musterte, dann ziemlich unverschämt sagte: »Mitkommen!« und den Karl Siebrecht erst durch die duftende Küche führte – das Knurren nahm bedrohliche Formen an –, dann durch einen langen Gang, in dem Schritte und Knurren hohl widerhallten, dann durch ein strahlend erhelltes Riesenzimmer – das Esszimmer, das Berliner Zimmer –, in dem eine Dame mit einem Riesenhut mit zwei Riesenpleureusen einsam am endlosen, weißgedeckten Tisch saß und etwas Braungebratenes vom Teller aß – oh, dieses Knurren! –, und ihn schließlich in ein wiederum großes, aber dämmriges Zimmer brachte, in dem der Herr von Senden in einen Sessel gegossen lag, angestrahlt vom rötlichen Gasfeuer im falschen Kamin, die Füße in braunen knöpfbaren Halbschuhen auf dem Kamingitter.

      »Hier ist der junge Mann, Herr Rittmeister!« sagte der grünlivrierte Knirps.

      »Raus!« antwortete der Herr von Senden, der nun also auch noch Rittmeister war. Der Knirps verschwand. Der Rittmeister winkte, ohne hochzuzsehen, mit einer langen weißen Hand, an der viele Ringe saßen.

      »Setz dich, mein Sohn. Du bist doch der vom Bau?«

      »Jawohl!« sagte Karl Siebrecht möglichst laut, denn der Magen knurrte wieder sehr. »Ich heiße übrigens Karl Siebrecht.«

      »Sehr angenehm«, sagte der Rittmeister. »Sitzt du?«

      »Ich stehe ebenso gern«, meinte der Junge, eine Spur trotzig. Der Empfang verdroß ihn. Trotzdem knurrte sein Magen unentwegt weiter; was die Dame im Esszimmer auf ihrem Teller gehabt hatte, war bestimmt eine Gänsekeule gewesen.

      »Aber warum denn?!« rief der Herr von Senden erstaunt. »Zieh dir einen Sessel heran und setz dich. Wozu stehen, wenn man sitzen kann? Wozu sitzen, wenn man liegen kann? – Na also, das ist vernünftig! Ich dachte schon, nach deinen Taten heute vormittag, du seiest der geborene Rebell!«

      »Ich bin überhaupt kein Rebell! Nie gewesen!« erklärte der Junge mürrisch. Er war immer noch nicht mit seinem Gastgeber zufrieden.

      »Und was bist du also gewesen?« fragte der. – Der Junge sagte es, so gut es in vier, fünf Sätzen ging. – »Und so hast du denn«, meinte der Rittmeister von Senden, »dein Herz für die Armen und Elenden, als da sind Trockenmieter, erst entdeckt, seit du selbst arm und elend bist. Findest du das nicht komisch?«

      »Nein«, sagte der Junge böse. »Bei uns zu Haus gibt es so was nicht! Ich finde das gar nicht komisch.«

      »Oh! Oh! Oh!« rief der Rittmeister zweiflerisch. »Du hast also im Himmel gelebt?! Bei euch gab's keine Ortsarmen? Und nicht den bekannten Stadttrottel, den die lieben Bürger in vorgerückter Stunde besoffen machten und in den Stadtteich stießen? Wirklich nicht –?«


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