Raban und Röiven Der Feuervogel. Norbert Wibben

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Raban und Röiven Der Feuervogel - Norbert Wibben


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festsitzen. Warum sollten sie dort keine Figur der Hekate auftreiben und aktivieren können, die ihnen dann als Zeitportal in die Zukunft, also in Rabans Gegenwart, dienen würde? Doch sprechen Tieropfer, die in heidnischen Steinkreisen oder fünfzackigen Sternen aus toten Vögeln niedergelegt werden, dafür? So ganz scheint das nicht zusammenzupassen.

      »Ob ich Röiven oder Sorcha um Rat fragen sollte? Vielleicht wissen sie noch nichts von den seltsamen Vorkommnissen? Zumindest mein Freund wird davon keine Ahnung haben, da er ja keine Zeitung lesen kann. Gut! Ich werde zuerst den Kolkraben besuchen.«

      Der Junge geht grübelnd nach oben in sein Zimmer und nimmt eine Tafel Schokolade aus einer Schublade seines Schreibtisches. Dann konzentriert er sich und versucht seinen Freund zu kontaktieren.

      »Röiven, kann ich dich sprechen? – Röiven, bitte melde dich!«

      »Hallöchen, mein Freund«, krächzt es sofort in seinen Gedanken. »Hast du Sehnsucht nach einem Gespräch mit deinem alten Kumpel? He, he. Obwohl ich natürlich noch nicht alt bin! Ich bin ja gerade erst Vater geworden. Also Ainoa, meine Tochter und mein Augenstern, hält mich ganz schön auf Trab. Nicht, dass ich mich beschweren möchte, aber sie hat es doch vorgestern geschafft, einen ganzen Schwarm Dohlen … Bist du noch da, Raban? Du unterbrichst mich ja gar nicht. Geht es dir nicht gut?«

      »Schön von dir zu hören, mein Freund. Nun, ich wollte dich nicht unterbrechen, obwohl es mir gut geht. Hast du Zeit für eine kleine Beratung, oder musst du Ainoa vor diesen Dohlen retten?«

      »Nö! Das hat sie doch ganz allein … Aber was gibt es denn Wichtiges? Ärger?«

      »Es könnte tatsächlich Ärger bedeuten, was ich in der Zeitung gelesen habe. Ich bin mir nur nicht sicher, welchen. Passt es dir gleich jetzt? Ich habe auch eine kleine Stärkung für dich. Ich weiß doch, wie sehr dich deine Tochter auf Trab hält.«

      »Was? Willst du dich über mich lustig machen? Wenn ich das richtig gehört habe, sei es dir aber verziehen. Schokolade ist tatsächlich ein von mir gern genommener Energielieferant. Also, beeile dich, ich kipp schon fast vom Ast. Hä, hä.«

      Damit endet die Verbindung. Raban verlässt sein Zimmer und informiert kurz seine Mutter. Anschließend führt er mit

      »Portaro« den magischen Sprung zum Eingang des geheimen Waldes aus. Nachdem er dort kurz die Wächter begrüßt hat, steht er sofort darauf unter der großen Linde, die zu Röiven und Zoes Lieblingsbaum geworden ist.

      »Hallo Röiven, wo steckst du? Du bist doch nicht wirklich vom Ast gefallen?«

      »Nö, so schwach bin ich denn doch nicht. Hallo, mein Freund.« In diesem Moment fällt ein schwarzer Schatten aus der Baumkrone herab. Der Kolkrabe fängt seinen Sturzflug ab und hockt augenblicklich auf der Schulter des Jungen. Er legt seinen Kopf schräg und klappert mit den Augendeckeln.

      »Hallo, mein Freund«, begrüßt ihn Raban. »Setzen wir uns doch auf die Wiese in den Sonnenschein. Noch ist die Sonne ja nicht untergegangen. Ist Zoe auch hier? Sie kann gerne etwas von der Schokolade abbekommen.«

      »Nein. Ich will sagen: Zoe könnte gerne etwas abbekommen, aber sie besucht ihre Verwandten im Norden. Ok, dann berichte, was du in eurer Zeitung gelesen hast. Die Stärkung sollten wir uns dabei schmecken lassen.«

      »Du bist ja ein richtiger Schlaumeier. Wenn ich erzähle, kann ich doch keine Schokolade essen!« Raban zerteilt dabei die Tafel und legt die Brocken grinsend ins Gras.

      »Beim Zuhören ist das kein Problem. Aber keine Angst, ich lasse dir auch etwas übrig.« Schon ist das erste Stück im Schnabel des Vogels und wird hinuntergeschluckt, dem sofort ein zweites folgt.

      »Langsam, mein Freund. So schnell, wie du die Schokolade zu dir nimmst, kannst du ihren Geschmack doch gar nicht genießen.«

      »Was? Geschmack? Ich will mich doch stärken, da ist es nur wichtig, sie so schnell wie möglich … Hä, hä. Das war ein Scherz. Natürlich schmeckt sie mir auch.«

      Jetzt dauert es länger, bis der schwarze Vogel einen Brocken schluckt, wobei er genießerisch die Augen schließt und leise Geräusche von Wohlbehagen von sich gibt. Raban nimmt sich ebenfalls ein Stück, das er langsam auf seiner Zunge zergehen lässt, bevor er es hinunterschluckt. Danach räuspert er sich kurz und beginnt:

      »In den Zeitungen der letzten Tage stehen Berichte über seltsame Vorkommnisse.« Jetzt berichtet er, was Ilea auch schon geäußert hat, danach ergänzt er:

      »Heute Morgen gab es noch einen neuen Bericht. Ich habe ihn mitgebracht. Hör genau zu.

      Bestialische Rituale

      In einem der ältesten Steinkreise, im Norden des Landes, wurden gestern erneut Tierkadaver entdeckt. Zuvor waren getötete Tiere innerhalb eines großen, fünfstrahligen Sterns am Boden, der aus toten Dohlen gebildet wurde, oder auch innerhalb eines Steinkreises niedergelegt worden. Diesmal war es eine Kombination aus beiden Varianten: ein Pentagramm war innerhalb dieses alten Steinkreises angeordnet. In jedem der fünf Strahlen lag ein totes, weibliches Schaf, in der Mitte jedoch ein großer Bulle. Zusätzlich waren seltsame Symbole auf alle Steine der großen Anlage mit Ruß oder Holzkohle gezeichnet worden. Darunter befinden sich Sonnen, Sterne und Monde, aber auch hakenförmige Striche sowie Zahlen. Insgesamt muten diese erstmalig angebrachten Zeichen wie eine Nachricht oder eine Beschwörung an, die aber bisher nicht entschlüsselt werden konnte. Professoren der Universität der Hauptstadt versuchen, die Bedeutung zu ergründen, können aber bisher keine Erklärung bieten.«

      Raban zeigt Röiven anschließend ein Foto, auf dem einige der Symbole zu sehen sind. Die folgende Stille ist fast zu greifen.

      »Selbst mit dem Wissen der Elfen, das mir Sorcha im Sommer vermittelt hat, erkenne ich keinen Sinn in den Symbolen oder in den so seltsam angeordneten Tieropfern. Hast du eine Idee, was dahinterstecken könnte?«, fragt er den Raben. Dieser wiegt seinen Kopf hin und her, klappert mit den Augendeckeln und antwortet dann:

      »Nö! Da kann ich nicht helfen. – Sollten wir die alte Eule Minerva um Rat fragen?« Raban hat sich ein zweites Stück Schokolade genommen und lutscht es nachdenklich. Sollten sie vorher Sorcha fragen? Das ist doch naheliegender, da sie ja im geheimen Wald sind. Doch wird sie auch in Serengard, der Elfenfestung, sein? Andererseits verfügt Raban selbst über das bis zum Sommer angesammelte Wissen der Elfen, kann Sorcha denn mehr wissen? Vielleicht hat Röiven Recht, und sie sollten die Eule aufsuchen. Eulen haben ihre eigene Weisheit. Während der Junge noch unschlüssig ist, schreckt er plötzlich auf und blickt forschend um sich. Was war das für ein Schrei? Von wo ist der gekommen, oder war er nur in seinem Kopf?

      »Hast du das auch gehört?«, wendet er sich fragend an den Kolkraben.

      »Wie, was gehört?«, krächzt dieser zurück.

      »Na. Das klang wie ein langgezogener … Da ist es schon wieder.« Während Röiven verneinend den Kopf bewegt, konzentriert sich der Junge auf den Laut. Plötzlich klärt sich sein Gesicht. »Das muss Ilea sein, die mit mir Verbindung aufnehmen will. – Aber sie sagte doch, dass sie das nicht könne. Sollte das jetzt funktioniert haben, also fast?«

      »Warum sollte Ilea das nicht können? Ich habe ihr doch von meiner Zauber…«, knarzt der Rabe, als er schon von Raban unterbrochen wird.

      »Wir haben vor ein paar Minuten telefoniert. Da sagte sie, dass ich ihr noch beibringen solle, wie sie die gedankliche Verbindung zwischen uns herstellen könne.«

      »Aber das ist doch ganz einfach!«, erwidert Röiven erstaunt.

      »Für dich, sicher. Ich musste das auch erst üben, erinnerst du dich nicht mehr an meine Versuche im vorigen Jahr? Jetzt sei bitte still, ich versuche sie zu erreichen.«

      »Ist ja schon gut. Wenn die süß… Entschuldigung!«

      Der schwarze Vogel blickt den Jungen forschend an, der seine Augen geschlossen hält, um sich besser konzentrieren zu können.

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