GEN CRASH. Peter Schmidt

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GEN CRASH - Peter Schmidt


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      "Oh, Kompliment, Haag – Sie haben eine gute Beobachtungsgabe. Riesenbaby, ha, ha. Nein, der Mann, der mit der Handgranate hantierte, kam dabei um. Einer von diesen englischen Schwachköpfen, die MI5 uns für Sonderaufgaben zugeteilt hatte.

      Er nahm das Ding aus einem Verschlag im Fußboden – und blieb am Abzug hängen."

      "Sie war mit einem dünnen Perlonfaden an der Ringöse zwischen den Bodenbrettern befestigt, als Sicherung gegen Unbefugte? Es war ein geheimes Waffenlager?"

      "Sie sind ein Schlaukopf, Haag. Er hatte die Regeln vernachlässigt. Die Regeln zu vernachlässigen, heißt in unserem Gewerbe nun mal, sein Leben zu riskieren."

      Der Rest unserer Begegnung in Holland war eine merkwürdig ungreifbare Farce. Später habe ich mich oft gefragt, ob er mich bewusst ins Leere laufen ließ – um mich zu disziplinieren und mir schon in dieser frühen Phase zu zeigen, wer der Herr im Hause war – oder ob sich alles ganz zufällig so entwickelte.

      Er hätte mir abgegriffene schmierige Schwarzweißfotos von kleinen Mädchen in winzigen Negligés zeigen können – oder ein ebenso schmuddeliges Foto mit seiner Freundin, er war unverheiratet, das sie beide in eindeutiger Pose zeigte. Bilder von seinen Jahren in Kambodscha, wo er als Söldner und militärischer Berater Pol Pots gearbeitet hatte (tatsächlich aber als Agent der Gegenseite), den Fallschirmspringerstiefel auf einem Haufen bleicher Totenschädel und seine israelische Maschinenpistole mit soviel Selbstgefälligkeit und Arroganz auf dem Unterarm, als posiere er für ein Safarifoto im Busch von Kenia.

      Es hätte mich, nach allem, was ich über ihn wusste, weniger verblüfft als das winzige Erkerzimmerchen mit Blick auf die Dünen, in das er mich an jenem Sonntagnachmittag führte.

      Eine komplett eingerichtete Idylle: englische Mahagonimöbel, niederländische Variante, Standuhr, grüne Hartblattgewächse, die wie beim Wettbewerb der Floristen in ihren porzellanenen Übertöpfen prunkten, lindgrün gestrichener Dielenboden, ein gemütliches Dreisitzer-Sofa, Rüschenkissen, Nippfiguren.

      Und inmitten dieser anheimelnden Puppenstube eine echte holländische Kaffeetafel. Gedeck für zwei Personen.

      "Wo sind die anderen?", fragte ich. "Wir arbeiten doch nicht allein?"

      "Hier hat früher der alte van der Haaren gehaust", sagte er. "Das Erkerzimmer war sein Refugium, sein Fluchtpunkt, wenn ihm der Hotelbetrieb auf die Nerven ging. Verschlang Unmengen Sahnehörnchen und Cremeschnitten, der arme Kerl. In seinen besten Zeiten ließ er sich Schwarzwälder Kirsch aus Deutschland einfliegen. Sie sind doch auch kein Kostverächter, Haag?"

      "So, wie kommen Sie darauf?"

      "Ihre Frau, mein Bester, traf sie mal auf Forums Geburtstag. Sein zweiundvierzigster. Sie kamen damals etwas später, Ihr Taxi hatte eine Reifenpanne. Unter uns gesagt, glauben Sie nicht auch, dass er vom anderen Ufer des Flusses herübergesetzt hat?", fragte er und blinzelte arglos.

      "Soviel ich weiß, ist Forum glücklich verheiratet."

      "Das beweist gar nichts."

      Ich verspürte wenig Lust, mich über seine sexuellen Gewohnheiten auszulassen. Außerdem hielt ich Sehlens Bemerkung für ein Ablenkungsmanöver. Er hatte sich zu weit vorgewagt, er hatte zu erkennen gegeben, dass er sich vor unserem Treffen gründlicher als nötig über mich informiert hatte, und das gab mir zu denken.

      "Meine Frau hat Ihnen das anvertraut?"

      "Sie sind zwar ein magerer Hering, wegen der Drüsen, oder was weiß ich, aber für die letzte Cremeschnitte schubsen Sie doch 'ne alte Frau von der Rolltreppe, Haag."

      "Ich frage mich bloß, wie Sie auf diesen Mist kommen, Sehlen?"

      "Margrit und ich sind so gut wie befreundet miteinander – seit damals." Seine braunen Augen mit dem südländischen Flair versuchten ein einnehmendes oder beifallheischendes Lächeln. Aber irgendwie kam ihm dabei seine blaurote Narbe unter dem Wangenknochen in die Quere. Es wurde eine Grimasse von unbestimmter Bedeutung, weder Fleisch noch Knochen.

      "Warum nicht gleich verheiratet?"

      "Sie sollten mir gegenüber keine so krasse Abwehr an den Tag legen, schließlich habe ich Ihnen nichts getan. Dass Sie ausgerechnet mir zugeteilt wurden, ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Es gibt noch genügend andere, weniger halsbrecherische Kommandos momentan. Forum brauchte einen Experten für Ostpolitik, und dabei ist er wohl auf Sie verfallen."

      Einen Augenblick verfinsterten sich seine Züge, man sah seinem Gesicht an, dass er bei dem Gedanken auch nicht glücklicher war als ich. Und merkwürdigerweise versöhnte mich diese Beobachtung wieder etwas. Ich dachte: Jemand, der so offenkundig sein Missfallen zu erkennen gibt, ist kaum der gewiefte Taktiker, für den man ihn hält.

      "Ihr Ruf ist nun mal nicht der beste."

      "Was man in den Diensten über mich erzählt, sind Ammenmärchen, Haag."

      "Warum sollte man Sie zum Buhmann machen?"

      "Keine Ahnung." Er kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. "Jemand wirft irgendeine Bemerkung in den Raum, bei einer Party oder Geburtstagsfeier. Alle sind angesäuselt, die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, und schon macht der Mist die Runde. Nichts entwickelt so viel Eigendynamik wie ein Gerücht.

      Und wie entstehen solche Hirngespinste? Vielleicht hat er's sich ja aus den Fingern gesogen, als er morgens im Bett seinen Kater auskurierte, zwischen Traum und Wachen – mit 'nem Eisbeutel auf dem Kopf! Gott, sicher war ich in Kambodscha. Und wir waren nicht gerade nett zu den Eingeborenen. Aber die Gegenseite war auch nicht nett zu uns."

      "Sie sind das Opfer falscher Verdächtigungen, was?"

      "Ich bin ein Dreckskerl, um es klar herauszusagen. Ich bin einer dieser miesen kleinen Geheimdiensttypen, die ihre eigenen Eier – und die ihrer Freunde dazu – als türkische Delikatesse verhökern würden, wenn es nur genug Silberlinge dafür gäbe. Das wollen Sie doch hören?" Er setzte sich an den Tisch und goss uns aus der Porzellankanne Kaffee ein, dabei zeigte er auf den gegenüberliegenden Stuhl.

      "Ich mag Ihre vulgären Bemerkungen nicht, Sehlen."

      "Also gut, nun setzen Sie sich schon. Ist auch nicht mein Stil – Sie haben mich herausgefordert. Wir sollten kooperieren, das wäre für beide Seiten ersprießlicher." Er streckte seine sonnengebräunte Hand aus. "Nennen Sie mich Ronald. Ihr Vorname ist, glaube ich ?"

      "Den kennen Sie doch genauso gut wie ich."

      "Sie spielen darauf an, dass man sie in Ihrer Jugend immer damit gehänselt hat?"

      "Mein Vater war ein religiöser Eiferer", sagte ich ohne sonderliche Neigung, das Thema zu vertiefen.

      "Er verehrte Ambrosius als Kirchenlehrer. Das gab den Ausschlag."

      "Er setzte gegen den Willen meiner Mutter durch, dass ich diesen Namen bekam. Auf dem Amt riet man ihnen dringend davon ab. Es wurde die Hölle für mich, wie erwartet. In der Schule und auch später."

      Sehlen nickte, als sei er bestens darüber informiert. Mir kam der Gedanke gar nicht mehr so abwegig vor, die Panne des Taxis damals könnte von ihm inszeniert worden sein, um in Ruhe meine Frau auszuhorchen. Er schien keine Ahnung davon zu haben, dass ich später den Vornamen Adrian angenommen hatte. Selbst einige meiner engsten Freunde ahnten nicht, dass ich Ambrosius hieß. Ich war mir sogar nie zu schade gewesen, meinen Pass eilig verschwinden zu lassen, zum Beispiel nach der Passkontrolle, wenn jemand sagte:

      "Lass doch mal einen Blick auf dein altes Foto werfen, Adrian." Oder wenn ich ihn an der Hotelrezeption vorlegen musste:

      "Hübscher alter Pass. Bestimmt tausend Stempel drin, bei deinem Pensum an Fernreisen, Addi? Darf ich ?"

      Es mag seltsam klingen, aber vielleicht war dieser – in den Augen mancher Leute nichtige – Grund auch der Anlass dafür gewesen, dass ich später soviel Gefallen an jenem Spiel mit falschen Pässen fand, das man in unseren Kreisen zu höchster Vollkommenheit perfektioniert hat.

      "Ronald ist auch nicht viel besser. Hat mir irgendein


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