Wake up - Gedanken-Wecker. Walter Rupp

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Wake up - Gedanken-Wecker - Walter Rupp


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ist längst nicht mehr nur seine Sache. Die Umwelt giert danach, es zu erfahren. Jeder soll sich äußern: Der Bankkaufmann, der Gymnasiast, das Model und der Unternehmer. Die Raumpflegerin genauso wie der Herr Professor. Jede Meinung gilt gleich viel. Am Ende heißt es dann: 27,7 Prozent würden, wenn…; 46,3 Prozent hielten es für total, für nur teilweise oder nicht verkehrt…; und 32,2 Prozent besuchen regelmäßig, selten oder nie eine Kirche oder ein Konzert. Meinungen werden heute - auch wenn sie wie die Mode launisch sind - mit großem Ernst gehört, mit penibler Sorgfalt registriert, in dicken Lettern publiziert und sklavisch servil hofiert. Weil sie sich aufgeschlossen geben.

      Überzeugungen gelten als geistiger Stillstand. Aber spiegeln demoskopische Umfragen wider, was in den Köpfen oder Herzen der Menschen vor sich geht? Braucht man nur drauflos zu fragen, wenn man die Wahrheit wissen will? Mit Zahlen und Prozenten kann man imponieren, sie suggerieren Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Zahlenmaterial schüchtert ein: „Wie kannst du es wagen, dich gegen eine Mehrheit zu stellen?“

      Eine neue Wahrheit ist im Kommen, die sich nicht mehr auf tragfähige Argumente stützt, sondern auf das, was die vielen sagen oder denken. Und eine neue Ethik bildet sich heraus: die Ethik der Statistik, die sich nicht mehr am Gewissen orientiert. Bald gilt der als gut, der sich der Mehrheitsmeinung beugt, und böse, wer sich weigert, ein Schaf zu sein in einer großen Herde.

      Dichter

      Der griechische Dichter Homer soll blind gewesen sein. Es ist ein Rätsel, wie er, der sich nur tastend durch die Welt bewegen konnte, die Welt, die er nie gesehen hat, so wirklichkeitsgetreu beschreiben kann. Dass ihm ein so großartiges, erzählerisches Werk wie die Ilias gelang, kann man nur bewundern! Vielleicht muss ein Dichter blind sein, wenn er die Wirklichkeit beschreiben will und darf sich nicht von den schillernden Eindrücken und den Reizen ablenken lassen, die seinen Blick trüben und eine Scheinwelt vorgaukeln.

      Die Fähigkeit zu sehen ist noch keine Garantie, dass man klar sieht. Mancher Schriftsteller wird heute Schriftsteller, weil ihm beim Erzählen niemand zuhört. Und ein Heer von Schriftstellern, die schon in der Schule schlechte Aufsätze geschrieben haben, schreiben aus Rache. Sie möchten nachträglich beweisen, dass ihre Lehrer ihr schriftstellerisches Talent nicht erkannten. Die vielen Nebenbei-Schriftsteller schreiben heute nur, weil ihr Beruf sie langweilt und nicht ausfüllt. Es sollte jedoch nur schreiben, wer an seinen brodelnden Gefühlen und sprudelnden Gedanken ersticken würde, ließe er sie nicht heraus.

      Dass in unserer Zeit auch Analphabeten, die man sonst nicht beachten würde, schreiben, weil sie sich einen Ghostwriter leisten können, ist gewiss kein Fortschritt. Die Fabeldichter der Vergangenheit, ließen Tiere sprechen, wenn sie die Menschen belehren wollten. Die heutigen Fabeldichter ziehen es vor, uns auf dem Umweg über den Bildschirm zu belehren.

      Dummköpfe

      Das Gehirn eines Dummkopfes – meint Bernard Shaw – verdaut Philosophie zu Torheit und Wissenschaft zu Aberglauben. Der Dummkopf produziert Ideologien, Phrasen, Pseudokunst und Pseudowissenschaft. Bei ihm kommt immer nur Unsinn heraus. Es wäre darum für ihn besser, wenn er sich weniger Wissen und Bildung aneignen würde, dann könnte er seine Umwelt weniger verwirren und ihr weniger schaden. Natürlich besitzen auch Dummköpfe Verstand. Sie könnten gescheit sein, wenn sie ihn zu gebrauchen wüssten. Ihre Tragik besteht darin, dass ihnen die Unterscheidungsgabe fehlt: was ist gut und was ist richtig und wie setze ich es sinnvoll ein? Denn es kommt nicht darauf an, wie viel Nahrung einer zu sich nimmt, sondern wie er sie verdaut.

      Auch Gehirne können unter Verdauungsschwierigkeiten leiden. Wer Eindrücke und Gedanken wahllos und hastig schluckt, muss damit rechnen, dass sie ihm Blähungen bereiten. Christoph Lichtenberg äußerte einmal - in der ihm eigenen Ironie - den Zweifel, ob das Gehirn wirklich das edelste Organ des Menschen ist. Und er sagt zu Recht: Während der Magen alles Verdorbene schon nach wenigen Minuten erbricht, behält das Gehirn verdorbene Nahrung oft bis ans Lebensende. Dummheit ist entmutigend, weil keine Aussicht auf Besserung besteht. Der französische Schriftsteller Dumas wagte deshalb die Behauptung, dass Schlechtigkeit der Dummheit vorzuziehen sei: denn schlechte Menschen können ab und zu gut auch sein, Dumme aber sind immer bloß dumm. Und das ist entmutigend.

      Dummheiten

      Napoleons Äußerung: „Wenn man Dummheiten begeht, sollten sie gelingen“, war – wenn sie nicht scherzhaft gemeint war - ein törichter Ausspruch. Nun, er, seine Majestät der Kaiser, hat selbst wenige Dummheiten ausgelassen und viele sinnlose Feldzüge geführt. Für viele Menschen wäre es ein Glück gewesen, wären ihm seine Dummheiten nicht gelungen, dann wären sie nicht bei einer seiner sinnlosen Schlachten umgekommen. Leider will kaum jemand einsehen, warum nur einige das Privileg haben sollen, Dummheiten zu begehen. Alle wollen diesbezüglich Chancengleichheit und bestehen darauf, das tun zu dürfen, was unsinnig ist und schlimme Folgen hat. Vielleicht unterscheiden sich die Menschen nur dadurch, dass die Dummen immer wieder in dieselben Dummheiten tappen, die Gescheiten es dagegen fertigbringen, immer wieder neue Dummheiten zu erfinden.

      Mancher fragt sich, angesichts der zahllosen Torheiten, die Tag für Tag überall in der Welt geschehen, ob überhaupt zwischen der Durchschnittsintelligenz des Menschen und dem Schwachsinn ein Unterschied besteht. Wer kann von sich behaupten, er sei vor Dummheiten gefeit? Niemand hat da Grund zur Überheblichkeit. Auch die Intellektuellen sind oft nicht so gescheit wie sie sich geben. Oft zeichnen sie sich nur dadurch aus, dass sie abwegige Ideen als vernünftig darzustellen und mit Geschick sich und anderen etwas vorzumachen verstehen. Es ist gut, dass es den Misserfolg gibt: Denn er entlarvt die Torheit, während der Erfolg ihn zudeckt.

      Eigensinn

      Der Eigensinn wird meist als Sturheit abgetan. Wären wir doch eigensinniger und bereit, den eigenen Standpunkt zu vertreten. So viele geben ihn auf, nur weil die vielen anderen anderer Ansicht sind. Der Eigensinnige lässt sich nicht einschüchtern und hält dem Ansturm von Mehrheitsmeinungen stand. Umfrage-Ergebnisse werfen ihn nicht um. Er beeilt sich nicht täglich nach dem Lesen der Tageszeitung und nach der Abendschau seine Meinung zu wechseln. Er nimmt sich das Recht zu prüfen, ob die Behauptung stimmt: die Wissenschaft habe nachgewiesen…, ein Expertenteam habe festgestellt…, die neuesten Forschungsergebnisse hätten ergeben… Er bleibt solange ein Ungläubiger, bis man ihm überzeugende Beweise liefert, dass da keine Mär verbreitet wurde, weil ein Journalist nicht sorgfältig recherchierte und seine Meinung publizierte.

      Der Eigensinnige kapituliert nicht gleich vor einer Meinung, weil man sie lautstark oder hartnäckig vertritt. Und schon gar nicht, weil alle sie vertreten. Wenn alle dasselbe sagen, dann hat meist keiner nachgedacht. Meinungen entstehen nicht nach langem Suchen. Sie sind das Ergebnis von Eindrücken, die man gesammelt hat. Man hat etwas gehört oder gelesen oder von einem guten Bekannten, der es wissen muss. Könnte man aus den vielen Meinungen, die wir täglich inhalieren, und die uns die Meinungsforschungs-Institute präsentieren, den Wahrheitsgehalt herausfiltern, es käme wenig Wahrheit dabei heraus. Wann gibt es endlich Überzeugungsforschungs-Institute?

      Erfahrung

      Aldous Huxley meinte: „Die klugen Menschen suchen sich selbst die Erfahrungen aus, die sie zu machen wünschen“. Und Karl Waggerl gab zu Bedenken, dass Erfahrungen nur dann von Wert wären, wenn man sie hätte, ehe man sie machen muss. Die meisten sammeln Erfahrungen wie Souvenirs: wahllos, wie sie gerade feilgeboten werden. Sie tappen hinein und erschrecken, wenn sie merken, welcher Schaden daraus entstehen kann. Oft sind Erfahrungen ein Umweg. Man muss nicht erst einen Unfall erlebt haben, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass Vorsicht im Straßenverkehr von Nutzen ist.

      Viele gieren nach immer neuen Erfahrungen. Sie können nicht genug davon bekommen, weil sie fürchten, sie würden das Leben sonst versäumen. Aber leider fängt man erst mit 60 langsam an, einiges zu ahnen und erfährt wie Andre Gide: dass „Reichtum, Wissen, Erfahrung - alles zu spät kommt, nur die Krankheit stellt sich rechtzeitig ein."


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