Amsterdam. Uwe Hammer
Читать онлайн книгу.selbst auf die Idee kommen, die Tour vor Erreichen der ersten Steigung abzubrechen, unverzüglich zu Grabe tragen musste. Jetzt geht es also los, dachte Dieter, als sich die erste Steigung fast schon provokativ vor ihm auftat. Nur nicht zu schnell fahren immer langsam und gleichmäßig treten, versuchte Dieter sich selbst Mut zu zusprechen.
Bereits nach wenigen Minuten begannen seine Oberschenkel zu brennen als wären sie mit lauter kleinen spitzen Nadeln gespickte, die sich bei jeder Bewegung in seinen Muskel bohrten. Sein Puls hatte die magische Grenze von 190 bereits erreicht und Dieter wusste, dass er diesen Bereich in der nächsten Stunde höchstwahrscheinlich nicht wieder verlassen würde, würde der Tod nicht Erbarmen mit ihm haben. Dieters Blick galt nur noch dem Weg direkt vor ihm. Er hatte es sich abgewöhnt, die Straße weiter nach vorne zu schauen, da ihm der Anblick der nicht enden wollenden Steigung die letzte Kraft zu nehmen schien.
Als noch schlimmer empfand er es, wenn die Straße einen Bogen machte, da dann in ihm die Hoffnung keimte, dass die Steigung nach dem Bogen endlich vorbei sein könnte. Umso größer war der Frust, wenn er um die Biegung herumgefahren war und dann feststellte, dass diese verdammte Steigung mit Nichten zu Ende war und es wahrscheinlich niemals sein würde. Dieter war dermaßen darauf konzentriert alle sich irgendwo in seinem Körper versteckten Kraftreserven aufzuspüren, dass er nicht bemerkte, dass sich gefährlich dunkle Wolken über ihm zusammengerafft hatten. Erst als der Wind, welcher ihm natürlich genau entgegen blies, und somit den Anstieg um noch ein paar Prozent steiler werden ließ, kräftig auffrischte, hob Dieter etwas den Kopf, und realisierte, dass sich über ihm ein kräftiges Unwetter zusammenbraute.
Claudette hatte sich wie gewöhnlich von ihm abgesetzt, und war so weit vorausgefahren, dass Dieter sie längst aus dem Blick verloren hatte. Instinktiv, versuchte Dieter sein Tempo zu erhöhen, musste jedoch bereits nach kurzer Zeit feststellen, dass seine körperliche Verfassung eine Tempoerhöhung einfach nicht zu lies. Noch während Dieter sich die Hoffnung einzureden versuchte, dass er die Gindelalm eventuell noch vor Einsetzen des Regens erreichen könnte, wurde er bereits von den ersten dicken Regentropfen getroffen. Innerhalb weniger Sekunden begann es der Art zu regnen, dass Dieter kaum 10 Meter weit sehen konnte, bereits eine Minute später war Dieter nass bis auf die Haut.
Mehr noch als über den Regen an sich, ärgerte Dieter sich über dessen verspätetes Einsetzen, hätte es nur eine Stunde früher angefangen zu regnen, säße Dieter jetzt gemütlich auf seinem Faulenzersofa, das aufgrund der reichlichen Gebrauchs schon deutliche Abnutzungsspuren aufwies, und könnte sich den Regen gemütlich von seinem warmen Wohnzimmer ansehen. Diese Vollpfosten vom Wetterbericht lagen nicht prinzipiell daneben, ihrer Vorhersage traf leider nur etwas zu spät ein, ein Sachverhalt der Dieters Laune nicht wirklich besserte. Plötzlich fühlte sich Dieter unermesslich einsam, nur er, der Regen und diese verdammte nicht enden wollende Steigung. Dieter spürte seine Beine nicht mehr, eigentlich spürte er überhaupt nichts mehr.
Er befand sich in einer Art Trancezustand, während der Regen ihn zu verschlingen schien, so dass er nichts um sich herum wahrnahm, falls es da überhaupt etwas wahrzunehmen gab. Immer tiefer senkte er seinen Kopf, die real existierende Welt schien 2 Meter vor seinem Vorderrad zu enden. Leider tat ihm die Welt nicht den Gefallen, wirklich nur in einem Radius von 2 Metern um ihn herum zu existieren, ganz im Gegenteil, außerhalb dieses Radius schmiedet die Realität einen üblen Komplott gegen ihn, der sich in Form einer leichten, kaum wahrnehmbaren Rechtskurve manifestierte. Da Dieter diese leichte, heimtückische Rechtskurve nicht bemerkte, leitet er auch keine Maßnahmen ein, die es seinem Fahrrad ermöglicht hätten dem Verlauf des Weges weiter zu folgen. Wie es im bergischen Regionen durchaus häufiger vorkam, fiel der Hang, abseits des Weges steil ab.
Aus heiterem Himmel spürte Dieter plötzlich wie sein Fahrrad starken Erschütterungen ausgesetzt wurde. Gleichzeitig spürte er eine plötzlich auftretende Beschleunigung, die ihm unter anderen Umständen wahrscheinlich durchaus gelegen gekommen wäre. Es benötigte einige Zehntelsekunden, bis Dieter bemerkte, dass er wohl von der Straße abgekommen war, und im Begriff ist, mühsam zuvor erarbeitete Höhenmeter wieder einzubüßen, indem er eine steile Böschung hinunterfuhr. Wieder einige Zehntelsekunden später leitet Dieter die Notbremsung ein. Der Fahrradhändler von welchem er sein sündhaft teures Fahrrad gekauft hatte, hatte ihm die Vorzüge dieser Carbonfaserbremsscheiben mit einer Begeisterung nahegelegt, dass Dieter es nicht übers Herz brachte, diese nicht zu kaufen. In diesem Augenblick spüre Dieter was der Fahrradhändler mit „Die bremsen, dass es dich vom Sattel fegt“ meint. In dem Moment, als Dieter die Vorderradbremse mit aller in seiner Hand noch befindlichen Kraft betätigte, fegte es ihn tatsächlich aus dem Sattel, da das Vorderrad sofort blockierten, und das gesamte Fahrrad einschließlich ihm selbst sofort mit einer Drehbewegung um die Achse des Vorderrades reagierte, wodurch Dieter im hohen Bogen über seinen Lenker katapultiert wurde.
Die unumgängliche harte Landung auf dem Boden wurde dadurch verzögert, dass Dieter mit dem Gesicht gegen eine Baum prallte, um anschließend mit dem Gesicht an eben diesem Baum entlang zu schlittern. Was dazu führte, dass er sicher etwas sanfter auf dem Boden landete als dies ohne den vorherigen Kontakt mit dem Waldbewohner der Fall gewesen wäre. Gleich nachdem Dieter auf dem Boden gelandet war, schlug sein Fahrrad von hinten gegen seinen Kopf, und er drückte sein Gesicht noch tiefer als dies ohnehin schon der Fall gewesen war in den durch den Regen glücklicherweise aufgeweichten Boden.
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit und nur auf den ausdrücklichen Wunsche, oder eher der ausdrücklichen Anordnung seiner Frau war sein Kopf mit einem Fahrradhelm versehen, was ihn wohl vor noch schwereren Verletzungen bewahrt hatte. Dieter war seiner Frau ausnahmsweise einmal dankbar, dass sie sich grundsätzlich in Dinge einmischte, die sie eigentlich nichts angingen. Und er dankte dem Fahrradhändler, der ihm dieses sündhaft teure Fahrrad aufgeschwatzt hatte, dass immerhin mit 5 kg weniger auf hin drauf gedonnert war, als es sein altes Fahrrad getan hätte.
Der Unfall
Regungslos lag Dieter im Dreck, noch immer hatte sich die Schockstarre nicht gelöst. Es spürte überhaupt nichts, er spürte noch nicht einmal den weiterhin unaufhörlich auf ihn einprasselnden Regen. Doch plötzlich schien der Regen aufzuhören, und Dieter fuhr im strahlenden Sonnenschein mit einem Fahrrad, fröhlich vor sich hin pfeifend eine wunderschöne Allee entlang, die dem Lauf eines friedlich dahinfließenden Flusses folgte. Aber es handelte sich nicht um ein gewöhnliches Fahrrad, es hatte auf der Hinterachse zwei Räder, war mit einem Aufbau versehen der einem Kofferraum glich, und fuhr ohne, dass er sich anstrengen musst, ohne dass ihm die Oberschenkel brannten.
Ein E-Bike dachte Dieter, es muss ein E-Bike sein. An einer besonders schönen Stelle, direkt unter einer großen Linde hielt er an. Im Hintergrund begann die Sonne langsam unterzugehen und verlieh den Himmel einen wunderschönen orangeroten Farbanstrich. Er stieg ab, ging um das Fahrrad herum und klappte einen Teil des hinteren Aufbaus um 180 Grad um, lies zwei Stützen herab, und stellte den umgeklappten Teil auf dem Boden ab, so dass dieser mit dem feststehenden Teil das Aufbaus in einer Linie stand. Dann entnahm er einige Kisten, und stellte diese unter den aufgeklappten Teil des Aufbaus. Aus einer der Kisten entnahm er eine Art Zelt, und baute dieses so auf, dass sein Fahrrad davon umschlossen war. Anschließend blies er eine Luftmatratze auf und legte diese auf die sich aus dem feststehenden und den klappbaren Teil des Aufbaus ergebende Liegefläche, packte einen Schlafsack aus und legte sich auf das gemütlich wirkende Bett. Genau in diesem Augenblick kam Dieter wieder zu sich.
Er wusste nicht ob er nur ein paar Sekunden zwischen den Bäumen im Dreck lag, oder ein paar Stunden. Langsam, aber unwiderstehlich kamen die Schmerzen und er spürte, dass er stark aus der Nase blutet. Sein Fahrrad lag immer noch halb auf ihm. Mit langsamen Bewegungen aus Angst er könne sich etwas gebrochen haben, packte er das Fahrrad und wuchtet es auf die Seite. Mühsam begab er sich zuerst auf die Knie, um sich dann ganz vorsichtig ganz aufzurichten, wobei er den Baum gegen den er geprallt war zur Hilfe nahm indem er sich an diesem hochzog. Zu seiner Erleichterung wurde der gesamte Bewegungsablauf nicht durch plötzlich auftretende Schmerzen begleitet, so dass er schloss sich zumindest an Armen und Beinen nicht ernsthaft verletzt zu haben.
Allerdings spürte er an seinem gesamten Körper ein Brennen. Als er sich genau betrachtet sah er, dass er unzählige mit Schlamm und