Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern

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Nachrichten aus dem Garten Eden - Beate Morgenstern


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einen Hof oben am Barch gekauft und hätte sich nachhert noch einen größeren kaufen können. War er aber zu vorsichtig. Und nach der Währungsreform wars Geld weg. Sagte ich woll schon. Im Dorf hat er viel geholfen, mits Rat und Tat, mits Geräten, den ganz Armen auch mits Nahrung. Von einer Frau, die nicht in der Lage war, ihr Leben zu meistern, hat er nach dem Krieg die drei Kinner durchgebracht. Ist er nach Aserschlehm rein, hat er sich mits Kanter Köhler abgesprochen und rückwärts immer eine Fuhre, Kohlen für die Leute, Dünger und was sonst so anfiel, mitgebracht. Hinwärts die Fuhre leichter als rückwärts den langen Aserschlehmer Barch hoch. Mein Vater hat sich viel mits ihm beraten und auf ihn gehört wie auf niemand sonst. Mein Vater war zunächst fürs Bauernsein nicht bestimmt, trotzdem er in der Kindheit und Jugend auch hat ran müssen. Das Bauernsein ist erst über ihn gekommen nach dem Unglück, bei dem sein Vater und sein älterer Bruder ums Leben kamen. Mein Großonkel Ernst war sozusagen die Ansprechstelle in der Familie für das Landwirtschaftliche. Vielleicht war mein Großvater wie er. Ich weiß nichts von ihm. Es muss damals so schlimm in unse Familie eingeschlagen haben, warum der Vater nicht den Mund mehr aufkriegte über ihn, und selbst unse Oma nicht und selbst nicht Tante Ruth, die Schwester von meinem Vater.

      Man Mann war for das Amt niche jeschaffn, das wars, fuhr meine Tante im Erzählen fort. Jrade damals niche, wo alles jlaich bolitisch wurde. Er war ja kan bisschen ernsthaft, jede Voraussicht hatm jefehlt. Hattn Leitn vertraut. Dass immer an schlechter Mensch dabei is, jink anfach niche in san Kopp, da konnt ich reden, was ich wollde. Im Jrunde kann man das, wasser jemacht hat, niche mal als was Bolitisches ansehn. War rane Dummhait.

      Un weswejen sin die draie nu abjewandert?, fragte ich. Mits de Friedensdante hattes doch zu dun?

      Endlich kamen wir auf den Punkt. Ich von dem Vor und Zurück, dem Hüben und Drüben schon ganz dumm im Kopf.

      War 53. Wir gerade in der ersten Klasse, lernten bei unse Frau Münz auf Schiefertafeln die Buchstaben schreiben. Ein Geschmiere war das. Immer wieder mits dem Schwämmchen rüwwer und denn die Griffel dauernd abgebrochen. Ein Tag im März Stalin tot. An die Nachricht kann ich mich nicht erinnern, an kein Geheule oder Zusammenbrechen von Menschen. Auch nicht an heimliche Freudenausbrüche. Aber doch hat es eine Freude gegeben. Oder die drei, der Sylkener Schulze, der Arnröder, sein Stellvertreter, und der Buchhalter saßen ehmt so in der Kneipe. Doch ich nehme mal an, sie haben auch aus Freude einen über den Durst getrunken. Wie sie da hocken und einen heben, taucht die Friedenstante, viel schöner auch Friedenstaube geschimpt, in der Kneipe auf, groß, in ihren abgetragenen Sachen, ein Strickmützchen auf dem Kopp. Sie hatte wohl gehört, da könne man die drei Männer finden. Menschenscheu, wie sie war, muss es sie große Überwindung gekostet haben, überhaupt nach Sylken hoch zu gehen und noch dazu in die Kneipe. Sie sieht die drei fröhlichen Zecher und geht demütig, bloß ehmt eine alte Frau mits allerdings festen Ansichten und einem sehr, sehr dringenden Wunsch, einem Herzenswunsch, auf die drei zu. Was is, Olle?, fragt der Buchhalter. Kommste in alten Taren noch offs Saufen? – An Schnaps for unse Börjerin, ruft der Sylkener Schulze, mein Onkel, dem Wirt zu. – Sie will etwas, sagt der Arnröder, was ein alter Offizier ist, mal ein hohes Tier gewesen in der Wehrmacht, verwickelt in die Geschichte um den 20. Juli, wobei er da gut rauskam und man ihm dardarschwejen auch nach dem Krieg nicht an den Kragen ging. Der war keiner aus der Gegend und mehr feiner, denke ich mir. Die alte Frau tut also beherzt einen Schritt nach dem anderen auf die Männer zu, die über ihren Anblick in immer größere Freude geraten. Sie ist nun am Tisch angelangt und spricht sehr gefasst gegen die drei. An den übrigen Tischen wird es still, weil man hören will, was die Frau zu sagen hat. Wird wieder was ganz Verrücktes sein, da ist man schon darauf eingestellt. Ich will nach Moskau reisen, sagt die alte Frau. Sicher doch, sagt der Sylkener Schulze, mein Onkel. Unsen Sejen haste! Jrüße de sowjetischen Jenossen von uns. Die bekümmerte Miene der alten Frau aber hellt sich nicht auf, denn um eine Delegierung einfach so geht es ihr nicht. Aber das Reisegeld!, gibt sie zu bedenken. (Ich nehme mal an, sie ist nicht aus unse Gegend, sondern wegen dem Krieg auf dem Wiepstein gelandet.) Ich kann das viele Geld nicht aufbringen. – Aber klar doch, das bekommst du, sagt der Arnröder augenzwinkernd zu dem Sylkener. Die Frau schaut zu dem Sylkener, ob der auch einverstanden ist, denn der ist ja der richtige Schulze. Mache diche kane Jedankn, sagt der. Unnen Blechkranz spendiern mir darzu, damits der Stalin hört, wenns rejent! Der rote Kopf von meinem Onkel wird noch röter, und auch die der anderen kriegen Feuerfarbe vor Anstrengung, nicht laut rauszulachen. For so ne Raise muss Jeld san! Wenn mirs uns aach aus unsen ajenen Rippen schnaiden missten, gibt der Buchhalter Seins dazu. Die Friedenstante zieht ab. Vorfreude quillt in ihr auf, macht sich zwischen der Trauer breit. Die Liebe in ihrem Herzen zu dem großen Stalin und der Sache des Kommunismus hat ihr nach vielen Entsagungen, Spott und Hohn nun doch einen Lohn eingebracht. Sie hat die Ehre, als Abgeordnete der Gemeinde Sylken/Arnrode ins Freundesland zu reisen, wenn der Anlass auch erschütternd ist und sie über den Verlust dieses ausgezeichneten Genossen Stalin wohl nie hinwegkommen wird.

      Tage vergehen. Auf der Burg lässt sich keiner mits einem Geld, einer Fahrkarte nach Moskau blicken. Die Friedenstante hat schließlich Geduld genug gehabt, geht aufs Bürgermeisteramt, bloß den Berg runger ins Unterschloss, muss dieses Mal nicht bis in die Kneipe laufen, um den Schulzen anzutreffen. Ich warte auf meine Fahrkarte, mahnt sie den Schulzen.

      Was for ne Fohrkorte?, fragt der.

      Die Fahrkarte nach Moskau zum Genossen Stalin, meint die Friedenstante.

      Erinnert sich der Schulze, mein Onkel? Er sagt jedenfalls nichts davon. Iche waß von kaner Fohrkorte, antwortet er. Wo solln mir das Jeld hernehm, sare mir das?

      Aber ihr habt es mir versprochen!, erwidert die alte Frau und steht in Tränen vor dem Schulzen über solchen Wortbruch. Was auch immer die Friedenstante oder Friedenstaube noch vorbringt, er will es nicht hören und weist ihr die Tür. Doch die draußen vor der Tür kriegen mit, was die Alte von der versprochenen und nun nicht ausgehändigten Fahrkarte nach Moskau redet. Bittere Anklagen erhebt sie, wo auch immer ihr Menschen begegnen. Ein solcher Gram zehrt an ihrem Herzen. Man wird aufmerksam auf sie, von welcher Seite auch immer. Man untersucht. Einer findet sich, der bestätigt, man habe mits der Frau in der Kneipe so und so geredet. Seinen Namen, sein Gesicht wird niemand erfahren. Den Herzenswunsch erfüllt man der alten Frau nicht. Den Genossen Stalin bekommt sie nicht zu sehen, trotzdem er noch lange einbalsamiert gerade für solche wie sie bereit liegt zur Besichtigung im Moskauer Mausoleum. Aber die drei Männer werden bestraft, die sich bei seinem Abgang in zu fröhlicher Laune befanden. Sie wandern dafür ab nach Bautzen, bis eine Amnestie sie nach zweieinhalb statts nach vier Jahren auf freien Fuß setzt.

      Irjendwer muß die draie anjezaicht ham, sagte meine Tante. Ich hawwe aach ne Ahnung, wer. Aner neulich hat mich so neujierig gefracht, ob ich die Jauck-Akten ansehn will. Dem is sicher niche jut jewesn! Awer iche will kane Rache. Iche wills ehmt bloß wissen. Das Verrickte: Aner im Kreis vonner Staatsicherheit hat Wind davon jekricht, dass mer die draie verhaften will, und man Mann anjerufen, er soll abhaun. Un der Arnröder soll aach jewarnt worden san. Awer man Mann hats niche jloobn wolln. Awer doch niche wejen die ollen Dante!, hatter gesaacht. Un ich hawwe jeantwortet: Awer Jünder, doch niche wejen die ollen Dante!

      Un warum denne, wenn niche wejen die?, fragte ich.

      Ich will dir mal was saren, Fritzchen, wer anjelocht wurde, der hatte mehr offm Kerbholz jehabt, als dasser mal an Witz jemacht hat. Da war immer noch was anderschtes im Hindergrund.

      Awer was sollsen jewäsn san bai die draie?, fragte ich.

      Is nich so anfach for miche, das zu saren, Fritzchen. Iche war ja janz anderscht anjestellt jejen Hidler als wie man Mann. Wie iche in Berlin in Scharlottenburch war, da hawwe iche de Hitlerai erläbt, die janzen Aufmärsche. Rejelrecht jejraust hat mersch dardavor. De janzen Fackeln un der Pomp. Da konnte mer doch sehn, wohin das fiehrt. Awer man Mann un der Arnröder, die ham sich was drauf anjebildet, dasse Offziere jewesn worn, und ham sich bai wem im Harz ohm immer noch jetroffn. Un der Arnröder wor noch verrickter, hatn NDPD-Ortsverband jejründet un war aach im Kraisverband, hat vellaicht aach den jejründet. Das waß man doch, dass in die NDPD damals bloß die ollen Nazis rainjingen. Jut, war erlaubt. Awer se ham sich ehmt aach noch haimlich jetroffen. Ich hawwe reden könn, hat nischt jenitzt. Was mir dabai so jeärjert hat: Wenn er werklich innerlich so anjestellt war, denn hätte sich man Mann doch aus Kriechsjefangenschaft


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