Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern
Читать онлайн книгу.Der Vater fragte nicht. Ich zog mich um, kochte in der Waschküche Kartoffeln für die Schweine, die Hühner. War ich auch nicht stark, bloß das Fritzchen, das dauernd krank auf der Nase lag und das nicht hinterm Pfluge herging wie Jerard oder ab heute richtiger: wie Jerard gegangen war, so hatte der Vater doch immer Verwendung für mich. Die Süße vom ständigen Kartoffelkochen mein Zuhause-Geruch, den ich gar nicht merkte, wusste ich nur von Margarete, die sagte, es würde bei uns immer nach Schweinekartoffeln riechen. Ich ging zu Lotte, putzte sie mitten am Tag, trotzdem dass der Hermann das schon am Morgen getan hatte. Während der Vater frühs die Kühe stripste, machte sich Hermann über die Pfäre her, weil das Putzen, das Striegeln noch mehr Kraft erforderte. Die Zotten sollten sauber auf den Acker. Was war das für ein Bauer, der seine Jäule dreckig gehen ließ, da konnten einem die Tiere leid tut, und die anderen Bauern sahen auf denjenigen herab.
Ich wusste, die Lotte mochte es, und ich wollte ihr zeigen, ich war auch wer. Dann stellte ich mich gegen ihren Hals und spürte die Wärme und das Fell ihres Körpers. Ich griff nach ihrem Kopf, damits ich ihr warmes Schnauben in meiner Hand hatte, und ließ meine Finger von ihren Lippen bekosen. Was immer eine Wonne is, so ne sanften Pferdelippen. Auf einem Bauernhof, wie wir ihn haben, muss man sich nie ganz verlassen fühlen. Man kann immer bei die Tiere gehen. Mein Vater allerdings schimpte mits mir. Er sagte, ich solle die Jäule nicht wie meinesgleichen behandeln, wie sollen sie sonst Respekt bekommen. Was die Jäule betrifft, mein Vater hat recht. Um mits Jäule auf dem Acker zu arbeiten, müssen sie einem aufs Wort und bloß einen Wink folgen und wissen, wer der Herr ist, sonst geht gar nichts und hat man das schönste Durcheinander in den Fähren, den Furchen. Und wenn mein Vater auch grob zu unsen Jäulen war, sie haben immer seine Liebe rauserkannt. Da waren sie manichmal schlauer als wie iche.
Von unse Lotte ging ich bei unse Oma, von meinem Vater die Mutter. Weil sie bloß noch so hutschen konnte mits ihre offene Beine und der kranken Hüfte, stellte sie mich an. Ich war ja bloß der Klane. Schad nischt, dass de aach Wiepchen-Arbeit machst, sagte sie immer. Brichst diche kane Zacke aus de Krone. Was solln wern, wenn iche mir mal for immer fortmache. Und ich antwortete: Der liewe Jott werd dir jor niche nehm, Oma, wail de musst off uns offpassn. Daraufhin lachte unse Oma. Aber sie hörte immer gleich auf und seufzte: Wenn ich erlehm kennt, dass der Hermann ane Frau anbrächte, wär mir schon liewer. Was sie für Gedanken darüber hatte, dass unser Vater nach dem Tod von unse Mutter nicht wieder heiratete, darüber hat sie sich nicht ausgesprochen. Es ist ihr gegangen wie die meisten ollen Wiepchens auf die Dörfer. Die haben sich aufhalsen lassen an Last, bis sie fast drunter zusammengebrochen sind. Standen mits einem Bein im Grabe und mits dem anderen noch immer am Kochtopp. Waren es so jewohne, kannten nichts anderes als wie Kleeje. Ich denke mal, indem sie mich anstellte, mir vorbetete, was alles in der Hauswirtschaft gemacht werden müsste, hat sie sich ihre Sorge, wenn es mits ihr gar nicht mehr ginge, ein bisschen weggeredet.
Kurz vor zwölf kam Hermann mits Alwin und Juste vom Acker. Ich half ihm beim Ausschirren, wischte die Pfäre mits Stroh ab, weil sie nass waren von der Kleeje und der Hitze. Während er sie tränkte, sagte ich wie nebenbei: De Schiggedanzens sin innen Westen jemacht! In Wirklichkeit tat ich mich wieder ein bisschen groß mits der Nachricht, trotzdem die ja für mich die bisher traurigste meiner Kindheit war, da ich das Hinsterben meiner Mutter nicht bewusst erlebt hatte. Oje, sagte Hermann. Da is ja aach der Jerard mitsen mit.
Ja, antwortete ich und fand keine weiteren Worte, trotzdem ich im Grunde noch nicht glaubte, dass Jerard weg war.
An Unjlick isses!, sagte mein Bruder.
Mer sin nun noch de anzijsten in Siehleken, die noch niche unterschriehm ham, erwiderte ich, wollte mich nun wieder aufspielen mits Wichtigkeit über unse Stellung im Dorf.
Die wern sich off uns sterzen!, bestätigte der Bruder. Wenn der Pappa niche so stur wer, man Jott! LPJe Typ I, wo mer die Viechter behaltn kann. Mer kann sich doch niche jejen die Zait stelln!
Oder mir machn aach fort, schlug ich vor, sagte es bloß dahin in gar keiner Hoffnung, mein Vorschlag würde bei Hermann auf freundlichere Ohren als die von meinem Vater treffen.
Dardarvon kann kane Rede niche san!, entgegnete Hermann wütend. Wie de dir das vorstellst! Als Knecht bei jemand jehn? Was anderschtes, als wie Bauer san, kann iche niche und will iche aach niche. Un for die im Westen sin mir doch bloß Flichtlinge. Denke mol an de Ostler, die nach uns kamen.
Der Astel werd uns erscht recht schigganiern, hielt ich dem Bruder vor.
Soller!, sagte Hermann. Denn machn mir ehmt in de Jenossenschaft wie de andern. Da hat mer wenichstens aach mal Zait for was anderschtes als wie bloß Kleeje tachein-tachaus.
War mein Bruder schon zu genossenschaftlicher Arbeitsweise bekehrt?
Nachmittags bekam ich Besuch von Margarete. Was isn mits euch los?, fragte sie. Beim Gerhard is am Hof son Gummi mits Stempel un Strippchen, woll ein Siegel, dass mer nich reinkann. Margarete sprach Hochdeutsch, aber kein übertriebenes. Un du warst auch nich in der Schule.
Du frächst!, sagte ich und erzählte ihr.
Son Mist, meinte sie nach meinem Bericht. Nu sin mir bloß noch der Udo, du un ich von Sylken und von Arnrode Helmut und Kläuschen.
Ganz übriggelassen kamen wir uns vor. Viele waren wir, der Jahrgang 45/46, ja nie gewesen. Bis in die Siebente war unsere Zahl immerhin durch Sitzenbleiber aufgebessert. Schon ab der Fünften lernten wir – gegenüber der anderen Klasse erheblich in der Minderheit – hauptsächlich im Stillen das Russische, weil uns Frau Münz meist Stillarbeit aufgab. Frau Münz hat das Russische auch bloß nach 45 in Kursen gelernt. Sie war Neulehrerin, trotzdem sie älter war. Weil man die alten Nazilehrer nicht haben wollte, ließ man viele von anderen Berufen als Neulehrer umlernen.
Neulehrer hatten wir und Neubauern. Das waren die, die sich nach 45 neu einrichteten. »Neuland unterm Pflug« von Scholochow wurde nachhert auch ein wichtiger Roman in der Schule. Neu ein ganz beliebtes Wort, wie man an vielen Benamsungen entnehmen kann wie »Neues Deutschland«, das »Zentralorgan« von unse führenden Partei. Jetzt ist man mehr auf Restauration aus. Wie das liebe Wort Wiedervereinigung oder Wiedereinrichter. Ihr wisst vielleicht, die Bauern, die sich auf dem Hof der Eltern selbstständig machen.
Für uns war Frau Münz eine gute Lehrerin außer in Russisch, was aber nicht an ihr lag, sondern weil unse Klasse Jahr um Jahr geschrumpft war. 56 die Wiepsteinbande weg. Anfang der Fünften verließ uns Evchen. Durch eine Amnestie – in Moskau war inzwischen Entstalinisierung im Gange und Chruschtschow an der Macht – waren die Bürgermeister von Sylken und Arnrode und der Buchhalter früher freigekommen, und Evchen machte mits ihrer Mutter ihrem Vater nach in den Westen. Die fünfte Klasse war vorbei, da verließ uns unser zeitweiliger Schulleiter und mits ihm auch seine in unse Klasse weilende Tochter Kerstin. Margarete verblieb als alleiniges Mädchen. In der Sechsten kriegten wir einen Neuen von den Leuten, die das »Grüne Röckchen« neben der Eine in Arnrode übernommen hatten, wo im Saal ein Barren stand, und ein gepolsterte Ledermatte lag für unseren Turnunterricht bei Herrn Münz. Der Junge war schon hängengeblieben und blieb es wieder und ging damits aus der Sechsten ab.
Margarete fand, wir müssen uns beistehen in unsem Erstaunen über Jerards fortdauernde Abwesenheit. Denn bin ich ehmt mal nich da!, sagte sie darüber, dass ihre Mutter sie diesen Nachmittag umsonst rufen würde, dies und das zu tun. Zunächst sahen wir uns genau die Verklebung am Schickedanz-Hof an. Die sin wohl bleede!, sagte ich, und Margarete schüttelte heftig den Kopf, trotzdem sie mehr als ich schon voraussetzte, dass die Behörden die Dummheit gleich tellerweise gesoffen hätten. Die Einstellung hatte sie von ihrem Vater her, der dem Staat nicht grün war, in keinster Weise. Was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte. Wir schlenkerten durchs Dorf, wir stromerten über die Felder. Die Kerschen auf den Bäumen am Feldrand leider noch nicht reif. Die waren so lange frei zu pflücken, bis der Öbster seine Bude aufstellte. Vorzuziehen den krepligen, wenn auch süßen auf dem Schiefergestein wildwachsenden Zippelbeern des Wiepstein, Nachkommen von schönen Kirschbäumen, wie sie auch mal auf dem Wiepstein gestanden hatten.
Damals wuchsen an den Feldwegen Obstbäume. Weißkirsche, Herzkirsche, Glaskirsche, schwarze Knacker, was weiß ich noch, Äpfel der verschiedensten Sorten, die nacheinander reiften, vom Staat gepflanzt und von einem