AYESHA - SIE KEHRT ZURÜCK. Henry Rider Haggard
Читать онлайн книгу.Mähne, und sein Bart bedeckte die breite Brust. Sein Gesicht – so viel der Bart davon freiließ - war von männlicher Schönheit, von Wind und Wetter braun gegerbt, nachdenklich und edel, und darin leuchteten, klar wie Kristall, seine großen grauen Augen.
Und ich - ich war, was ich immer gewesen bin - hässlich und behaart, jetzt eisengrau geworden, aber noch immer voller Kraft, denn meine Kraft schien mit den Jahren zu wachsen, und meine Gesundheit ebenfalls. Während all dieser Jahre waren wir beide, trotz aller Strapazen und mehrerer Unfälle, nicht einen Tag krank gewesen. Die Härten unseres Lebens schienen uns eine eiserne Konstitution gegeben und unsere Körper gegen jede Krankheit immunisiert zu haben. Oder war es, weil wir als einzige unter den Lebenden einst den Atem der Essenz des Lebens gespürt hatten?
Unserer Sorgen entledigt - denn trotz unserer Nacht ohne Essen zeigte keiner von uns Zeichen der Erschöpfung - wandten wir uns um und betrachteten die Landschaft. Unter uns, hinter einem schmalen Streifen fruchtbaren Bodens, begann eine weite Wüste von der Art, mit der wir vertraut waren: sandig, salzverkrustet, baumlos, wasserlos, und hier und da streifig mit dem ersten Schnee des bevorstehenden Winters. Hinter der Wüste, achtzig oder hundert Meilen entfernt, erhob sich ein weiteres Gebirgsmassiv, ein wahres Meer schneebedeckter Gipfel.
Als die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne den Schnee rot färbten, verdüsterte sich Leos Gesicht. Er wandte sich rasch um und blickte zum Rand der Wüste hinab.
»Sieh!«, sagte er und deutete auf einen vagen, riesigen Schatten. Kurz darauf erreichte ihn das Licht der aufgehenden Sonne. Es war ein mächtiger Berg, der nicht mehr als zehn Meilen weit entfernt aus dem Boden der Wüste wuchs. Dann wandte er der Wüste seinen Rücken zu und starrte die Hänge der Berge hinauf, an deren Fuß wir während der Nacht entlanggezogen waren. Sie lagen noch im Dunkel, weil die Sonne hinter ihnen stand, doch kurz darauf begann das Licht über ihre Gipfel zu rollen wie eine Flut. Immer tiefer und tiefer strömte es herab, bis es ein kleines Plateau erreichte, das knapp dreihundert Meter entfernt direkt oberhalb von uns lag. Und dort, am Rand dieses Plateaus, stand ein riesiges, halb verfallenes Idol, ein gigantischer Buddha, der in die Unendlichkeit der Wüste hinausblickte, und hinter ihm sahen wir, aus gelben Steinen errichtet, den halbmondförmigen Bau eines Klosters.
»Endlich!«, schrie Leo. »Mein Gott, endlich!« Und er warf sich zu Boden und vergrub sein Gesicht im Schnee, als ob er es verbergen wollte, als ob es etwas ausdrückte, das selbst ich nicht sehen sollte.
Ich ließ ihn eine Weile in Ruhe; ich verstand, was in seinem Herzen vorging, und auch in dem meinen. Dann trat ich zu dem Yak, diesem armen Tier, das nicht an unserer Freude teilhaben konnte und mit hungrigen Augen umherblickte. Ich lud die Felldecken auf seinen Rücken, dann berührte ich Leo an der Schulter und sagte mit sachlicher Stimme: »Komm! Wenn das Kloster nicht verlassen ist, können wir dort vielleicht Nahrung und Schutz finden. Es sieht so aus, als ob gleich ein Schneesturm losbrechen würde.«
Er erhob sich wortlos, klopfte den Schnee aus seinem Bart und seiner Kleidung und half mir dann, das Yak auf die Beine zu ziehen, denn das hungrige, erschöpfte Tier war zu schwach, um allein aufzustehen. Ich warf einen verstohlenen Blick auf Leos Gesicht und entdeckte einen glücklichen, fast verzückten Ausdruck; er schien von einem tiefen Frieden erfüllt.
Wir stiegen den tief verschneiten Berghang hinauf und zogen das Yak mit uns. Als wir die Terrasse erreichten, auf der das Kloster errichtet war, kam es uns verlassen vor. Wir konnten nirgends Anzeichen von Leben entdecken, nicht einmal Fußspuren im Schnee. War das Kloster nur noch eine Ruine? Davon hatten wir eine Menge gefunden; dieses Land schien voll von Bauten, die einst Heime frommer, gelehrter Männer gewesen waren, die vor Hunderten oder sogar Tausenden von Jahren gelebt hatten und gestorben waren, lange bevor unsere westliche Zivilisation geboren wurde.
Mein Herz, und auch mein leerer, hungriger Magen krampften sich bei dieser Vorstellung zusammen, doch während ich so stand und zweifelnd auf das Kloster starrte, bemerkte ich eine dünne Rauchfahne, die sich aus dem Schornstein kräuselte - noch nie hatte sich mir ein erfreulicherer Anblick geboten. In der Mitte des Komplexes befand sich ein großes, ausladendes Gebäude, offensichtlich der Tempel, und in einem uns näherliegenden Teil der Bauten entdeckte ich eine kleine Tür, direkt unter dem rauchenden Schornstein. Auf diese Tür ging ich zu und hämmerte mit der Faust gegen das Holz.
»Macht auf! Öffnet uns, ihr heiligen Lamas! Fremde bitten euch um Obdach!«
Nach einer Weile hörte ich schlurfende Schritte, und die Tür ging knarrend auf. Ich sah einen uralten Mann in zerfransten, gelben Roben.
»Wer ist da? Wer ist da?«, rief er und blickte mich durch die Gläser einer Hornbrille an. »Wer stört unsere Einsamkeit, die Einsamkeit der heiligen Lamas der Berge?«
»Reisende, Heiliger, die genug Einsamkeit gehabt haben«, antwortete ich in seinem Dialekt, mit dem ich gut vertraut war. »Reisende, die hungrig sind und um Obdach bitten.
Eine Bitte«, setzte ich hinzu, »die du nicht zurückweisen darfst.«
Er starrte uns durch seine Hornbrille an, und da er in unseren Gesichtern nichts erkennen konnte, blickte er auf unsere Kleidung, die genauso zerschlissen war wie die seine und ihr auch ähnelte. Wir trugen die Kleidung tibetanischer Mönche, bestehend aus gefütterten, knöchellangen Röcken und einer Robe, die einem Burnus ähnelte. Wir hatten uns an sie gewöhnt, da wir nichts anderes bekommen konnten. Sie schützte uns gut gegen die Unbilden der Witterung und war unauffällig, hätte es in dieser Region jemanden gegeben, dem wir auffallen hätten können.
»Seid ihr Lamas?«, fragte er misstrauisch. »Und wenn, von welchem Kloster?«
»Lamas sind wir«, antwortete ich, »Lamas des Klosters, das die Welt heißt, und wo man hungrig werden kann.«
Die Antwort schien ihm zu gefallen, denn er kicherte ein wenig, doch dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Es ist gegen unsere Gesetze, Fremde bei uns aufzunehmen, wenn sie nicht unseres Glaubens sind, und ich bin sicher, dass ihr nicht zu uns gehört.«
»Und es ist noch mehr gegen euer Gesetz, heiliger Khulighani« - denn mit diesem Titel werden die Äbte angesprochen -, »Fremde verhungern zu lassen«, und ich zitierte eine bekannte Passage aus den Sprüchen Buddhas, die zu dieser Situation passte.
»Ich sehe, dass Ihr die Schriften kennt«, rief er verwundert, »und solchen darf ich das Obdach nicht verwehren. Tretet ein, Brüder des Klosters, das sich die Welt nennt. Aber da ist noch das Yak, das auch Anspruch auf Obdach hat.« Er wandte sich um und schlug auf einen Gong, der hinter der Tür hing.
Ein zweiter Mann erschien, der noch mehr Falten im Gesicht hatte und anscheinend noch älter war als der Abt, und er starrte uns mit offenem Mund an.
»Bruder«, sagte der Abt, »mach deinen großen Mund zu, damit nicht ein böser Geist hineinfliegt. Nimm dieses arme
Yak und füttere es doch gemeinsam mit den anderen Tieren!«
Wir nahmen unsere Sachen von dem Rücken des Yaks, und der alte Bursche, dessen pompöser Titel Herr der Herden war, führte es fort.
Als das Yak gegangen war - ziemlich widerwillig, da es sich nicht gern von uns trennte und seinem Führer misstraute - brachte uns der Abt, dessen Name Kou-en war, in den Wohnraum des Klosters, oder die Küche, da er offenbar für beide Zwecke benutzt wurde. Hier trafen wir die anderen Bewohner des Klosters, etwa zwölf Mönche, die um das Feuer saßen, dessen Rauch wir bemerkt hatten. Einer von ihnen war damit beschäftigt, die Morgenmahlzeit zu kochen, die anderen wärmten sich.
Es waren alles alte Männer, der jüngste von ihnen mindestens fünfundsechzig Jahre alt. Wir wurden ihnen feierlich als Brüder des Klosters, das die Welt genannt wird und wo Menschen hungern vorgestellt, denn der Abt konnte sich nicht von seinem kleinen Scherz trennen.
Die alten Mönche starrten uns an, rieben ihre knochigen Hände, verbeugten sich, hießen uns willkommen und waren offensichtlich froh über unsere Ankunft. Das war nicht erstaunlich, da wir seit über vier Jahren die ersten Besucher waren, wie sich herausstellte.
Und sie beließen es auch nicht bei freundlichen Worten. Sie stellten Wasser aufs Feuer, und während es heiß wurde, bereiteten zwei